Fachbeiträge
Mehr Mut zur Langsamkeit
von Wolfgang Sturz
Telefongespräche, Faxe und E-Mails jagen heutzutage wie selbstverständlich rund um unseren verkabelten und vernetzten Globus. Aber hat sich durch diese zunehmende Quantität auch die Qualität der Kommunikation verbessert? Nicht selten führt insbesondere die Kommunikation per E-Mail zu Verständnis- und Kommunikationsproblemen. Wolfgang Sturz rät hier zu etwas mehr Besonnenheit.
Inhaltsübersicht:
- Die komplexe menschliche Kommunikation
- Wegfall von Kommunikationskanälen
- Wachsende Kommunikationsgeschwindigkeit
- Gefahren der E-Mail
- Und wenn es doch einmal geknallt hat...
- Fazit
Es ist kaum eine Generation her, dass interkontinentale Ferngespräche
so exotisch und kostspielig waren, dass man sich lieber ein Telegramm
schickte. Vor etwa zehn Jahren lagen die Investitionskosten für
Faxgeräte noch im fünfstelligen Bereich, so dass Unternehmen
mit Faxanschluss ihre Telefaxgeräte mangels entsprechender
Gegenstellen kaum sinnvoll einsetzen konnten. Heute jagen Telefongespräche,
Faxe und E-Mails wie selbstverständlich rund um unseren verkabelten
und vernetzten Globus. Kommunikation pur! Hat sich durch diese zunehmende
Quantität aber auch die Qualität der Kommunikation verbessert?
Die komplexe menschliche Kommunikation
Kommunikation
auf der dem Homo Sapiens verfügbaren hohen Kommunikationsebene
umfasst weit mehr als nur einen Austausch von Informationen über
Nahrungsquellen oder Gefahren, wie dies in der Tierwelt bekannt
ist. Menschliche Kommunikation ist Austausch von Gedanken, Ideen
und Gefühlen. Wenn auch die menschliche Sprache bei dieser
Kommunikation eine sehr wichtige Rolle spielt, ist hier zudem der
Einfluss von Artikulation, also Betonung, und Expression, also z.B.
der Gesichtsausdruck, von eminenter Bedeutung. Nicht umsonst gehören
heute Fach- und Sachbücher über freie Rede und Vortrag
oder über Körperhaltung zu den großen Rennern. Die
moderne Forschung hat außerdem nachgewiesen, dass neben diesen
Faktoren sogar der Geruchssinn eine wichtige Rolle bei der zwischenmenschlichen
Kommunikation spielt. Somit sind von den fünf Sinnesorganen,
die der Mensch für die Orientierung in seinem Umfeld benötigt,
vier an der direkten Kommunikation mit dem Gegenüber beteiligt:
Hören, Sehen, Riechen und auch das Fühlen. Denn bereits
der erste Händedruck, bei dem man sich seinen Gesprächspartner
erfühlt, beeinflusst das Bild, das man sich von diesem Gesprächspartner
macht.
Bei der Betrachtung
von Kommunikationsprozessen ist neben diesem Multikanal-Ansatz auch
das Sender-Empfänger-Modell zu berücksichtigen: Der Sender
sendet seine Kommunikation aus einem bestimmten Weltbild heraus.
Dieses Weltbild ist geprägt durch Erziehung, Umfeld und Kultur.
Der Empfänger wiederum verwendet sein Weltbild bei der Interpretation
der empfangenen Signale. Je unterschiedlicher die Weltbilder von
Sender und Empfänger sind, desto größer ist die
Gefahr von Kommunikationsproblemen. Sogar bei gleichem kulturellen
Hintergrund und bei gleicher Ausbildung wird heute in der Kommunikationspsychologie
davon ausgegangen, dass große Teile der gesendeten Botschaft
auf dem Weg zum Empfänger völlig verlorengehen.
Dieses Sender-Empfänger-Modell
bezieht sich auf die direkte Kommunikation zwischen zwei Gesprächspartnern,
also von Angesicht zu Angesicht. Bei einer solchen Kommunikation
sind, wie bereits erläutert, sämtliche Kommunkationskanäle
offen: Hören, Sehen, Riechen und zumindest bei der Begrüßung
auch das Fühlen.
Wegfall von Kommunikationskanälen
Die moderne
Kommunikation ist nun durch eine zunehmende Reduzierung der Verfügbarkeit
dieser Kommunikationskanäle gekennzeichnet. Beim Telefonieren
beschränken wir uns neben dem Erfassen von Wortfolgen auf das
Hören, also auf die Artikulation und auf den berühmten
Unterton. Dieser Informationskanal vermittelt jedoch immer noch
eine Vielzahl wertvoller Zusatzinformationen, die den Verlauf des
Gespräches maßgeblich beeinflussen können. Insbesondere
ergibt sich beim Telefonieren die Möglichkeit einer Interaktion,
also die Möglichkeit des Rückfragens und des Eingehens
auf den Gesprächspartner.
Andere Kommunikationsmethoden
der Neuzeit sind da leider wesentlich eingeschränkter. Die
Kommunikation per Brief ist zwar so alt wie die Kunst des Schreibens.
Neben der Vermittlung von Inhalten beschränkt sie sich jedoch
auf einen minimalen visuellen Informationsgehalt. Manchmal macht
man sich auch anhand des Geruches eines Briefes ein Bild von seinem
Korrespondenzpartner. Bei moderner Korrespondenz per Fax oder E-Mail
gehen solche Zusatzinformationen völlig verloren.
Filter in Multikanal-Kommunikationsprozessen
Kommunikationsgeschwindigkeit
Ein weitaus
größeres Problem der modernen schriftlichen Kommunikation
ergibt sich zusätzlich aus der erhöhten Kommunikationsgeschwindigkeit.
Noch vor gut 100 Jahren wurde jeder Brief von Hand geschrieben.
Da überlegte man sich jedes Wort dreimal, bevor man es zu Papier
brachte. Später, mit der Schreibmaschine und dann mit dem PC,
wurden Briefe geschrieben, korrigiert, neu geschrieben, ausgedruckt
und nach endgültiger Freigabe verschickt. Geschäftskorrespondenz
wird häufig diktiert. Wenn dann der geschriebene Brief dem
Absender zur Überprüfung vorgelegt wird, hat dieser die
Möglichkeit, sich beim Lesen des Briefes zumindest teilweise
in die Lage des Empfängers zu versetzen. So lassen sich potenzielle
Verständnisprobleme oft schon im Vorfeld vermeiden.
Und auch wenn
der Brief bereits unterschrieben und kuvertiert ist, liegt er in
aller Regel noch mehrere Stunden im Postausgang. Von dort lässt
sich ein Brief, der vielleicht als erste negative Reaktion auf einen
Vorfall hin verfasst und für den Versand vorbereitet worden
ist, oft auch nach Stunden zurückholen. Bei Telefax und E-Mail
ist dies nicht möglich: ein Knopfdruck, und die Mitteilung
liegt dem Empfänger vor.
Insbesondere
bei der Kommunikation per E-Mail ist die Gefahr von Verständnis-
und Kommunikationsproblemen ausgesprochen groß. Sender A schickt
zu einem beliebigen Thema eine E-Mail an Empfänger B. Empfänger
B reagiert wiederum aus sehr individuellen Gründen verstimmt
und reagiert per E-Mail, ohne jeden einzelnen Gedanken genau auszuformulieren
und ohne das Geschriebene noch einmal zu reflektieren. Ist erst
einmal der Sende-Befehl betätigt, lässt sich eine solche
E-Mail nicht mehr zurückholen.
Daraus ergibt
sich eine sehr ernstzunehmende Empfehlung für die E-Mail-Kommunikation:
Es sollte in diesem Bereich wieder etwas mehr Mut zur Langsamkeit
aufkommen.
Es ist nämlich
meist gar nicht nötig, jede eingehende E-Mail sofort zu beantworten.
Jeder Manager, der mit diesem Kommunikationsmedium arbeitet, sollte
sich in seinem Tagesplan ein Zeitfenster vornehmen, in dem er seine
E-Mails in Ruhe lesen, durchdenken und beantworten kann. Unnötige
Hektik oder Angetriebenheit sind in aller Regel eher kontraproduktiv.
Einige Regeln für die Kommunikation per E-Mail
- Fassen Sie sich stets knapp und präzise.
- Lesen Sie den geschriebenen Text noch einmal sorgfältig durch.
- Legen Sie die E-Mail im Zweifelsfall in den Zwischenspeicher und drücken Sie erst nach erneuter Lektüre zu einem späteren Zeitpunkt (eventuell nach Korrektur) auf den Sendebefehl.
- Auch bei der Kommunikation per E-Mail sollten gewisse Umgangsformen gewahrt bleiben. Beachten Sie die grundlegenden Regeln der Netiquette.
- Beantworten Sie E-Mails nicht unbedingt innerhalb von 5 Minuten, aber lassen Sie sie auch nicht zu lange unbeantwortet liegen.
- Bedenken Sie bei der Kommunikation per E-Mail grundsätzlich, dass dabei sämtliche anderen Informationskanäle ausgeschaltet sind. Dies beeinträchtigt die Möglichkeiten des Empfängers, den Text richtig einzuordnen, beträchtlich.
Und wenn es doch einmal geknallt hat...
Und wenn nun
doch einmal die Kommunikation aus dem Ruder gelaufen ist, und der
E-Mail-Partner offensichtlich alles falsch verstanden hat, hilft
nur noch eines: E-Mail-Kommunikation einstellen und auf die klassische
Kommunikation zurückgreifen. Sitzt der Kommunikationspartner
im gleichen Gebäude, lohnt sich sogar ein kurzer Besuch und
ein Gespräch bei einem Tässchen Kaffee. Ansonsten sollte
der Griff zum Telefonhörer nicht gescheut werden.
Mit der Frage
Warum verstehen Sie meine E-Mails eigentlich immer falsch?
wird natürlich nur eine Eskalation erreicht. Sehr hilfreich
ist hingegen ein Lösungsversuch wie dieser: Ich habe
den Eindruck, dass in unserer Kommunikation etwas schiefgelaufen
ist. Dies ist nicht in meinem Interesse. Bitte helfen Sie mir, und
sagen Sie mir, wo der Fehler liegt. Ich möchte das gerne in
Ordnung bringen. Ein solcher Kommunikationsansatz unter Nutzung
möglichst vieler Kommunikationskanäle führt fast
grundsätzlich zum Erfolg und zu einer Glättung der eventuell
schon hochschlagenden Wogen.
Unsere moderne
Wirtschaft lässt sich ohne moderne Zweckkommunikation nicht
mehr am Laufen halten. Gerade deshalb ist es ausgesprochen wichtig,
dass der Aspekt der fehlenden Kommunikationskanäle und der
erhöhten Kommunikationsgeschwindigkeit bei E-Mail- oder Fax-Korrespondenz
stets berücksichtigt wird. Nur dann lässt sich eine präzise
Kommunikation aufbauen, die keinen Raum für Missverständnisse
bietet.
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