Fachbeiträge
Vorteile, Arten und Grenzen multimedialen Lernens
von Hans Gieringer
Multimediales Lernen gehört zu den Trendsettern der zukünftigen Weiterbildung; kaum jemand der sich beruflich mit Weiterbildungsfragen auseinandersetzt, wird sich auf Dauer dieser Thematik verschließen können. Lesen Sie den einführenden Beitrag von Hans Gieringer über multimediale Lernsysteme – von CBT bis WBT.
Von Hans
Inhaltsübersicht:
In der jüngsten
Vergangenheit hat die Wirtschaft die Idee des Lernens aus Eigeninitiative
und in Selbstverantwortung aufgegriffen und zum Leitbild moderner Qualifizierungskonzepte
erhoben. Selbstgesteuertes Lernen bzw. selbstorganisiertes Lernen am Arbeitsplatz
oder zu Hause rangieren in der Gunst vieler Unternehmen inzwischen vor
Seminaren und Frontalunterricht klassischen Zuschnitts.
Große Hoffnungen
setzen die Unternehmen dabei auf die Möglichkeiten von Multimedia
und Computer Based Training (CBT). Die neuen Techniken sollen das selbstgesteuerte
Lernen attraktiv machen und bereits etablierte Konzepte wie Gruppen- und
Projektarbeiten oder leittextunterstütztes Learning on the job ergänzen.
Multimediales Lernen
ist im Prinzip die Fortführung von bereits bekannten Lernformen auf
digitaler Ebene. Während die ersten CBTs in ihrem Aufbau noch an
Lehrbücher erinnerten, entwickelten sich diese Anwendungen in den
letzten Jahren zu interaktiven Lernspielwiesen auf hohem Niveau.
Multimediales Lernen
gehört zu den Trendsettern der zukünftigen Weiterbildung. Kaum
jemand, der sich beruflich mit Weiterbildungsfragen auseinandersetzt,
wird sich dieser Thematik dauerhaft verschließen können.
multimedialen Lernens
1995 wurde der Begriff
Multimedia zum Wort des Jahres gekürt; die Diskussionen
um Sinn und Unsinn wogten hoch. Hat die Werbeindustrie lediglich ein neues
Vermarktungsschlagwort gefunden, oder ergeben sich aus der Verschmelzung
der AV- (audiovisuellen) und EDV-Techniken nicht auch neue Möglichkeiten
für die Wissensvermittlung?
Multimedia
ähnelt der Liebe von Teenagern: Jeder denkt daran, jeder glaubt,
der andere tut es, alle reden davon, aber keiner macht es wirklich
und die wenigen, die es doch tun, sind nicht sehr erfolgreich. Aber alle
hoffen, dass es großartig sein wird, wenn sie endlich wissen, was
Sache ist. Soweit Helmut Thoma, ehemaliger Geschäftsführer
des Fernsehsenders RTL zu diesem Thema. Man darf Herrn Thoma unterstellen,
dass er bei diesen Worten die digitale Aufbereitung und die bedingten
Interaktionen bei Fernsehübertragungen im Auge hatte, und weniger
die Nutzung von multimedialen Lernsystemen am PC.
Die ersten Anwendungen
entstanden Mitte der 80er Jahre. Nach dem Ein- und Siegeszug der Personalcomputer
wurden schnell Übungsprogramme entwickelt. Dabei übernahm man
zunächst vorhandene Printmedien einfach auf Datenträger. Somit
entstanden elektronische Blätter- oder Übungsmaschinen, die
überwiegend zum Vokabelnlernen und zur Vermittlung kognitiven Wissens
eingesetzt wurden. Das Arbeiten mit dem Rechenschieber oder Prozentrechnen
sind Beispiele dieser sogenannten Practice and Drill-Programme,
wie sie von Franz Schanda (PRO LERNEN, München-Lohhof) und Jens-Uwe
Martens (IWL, München) beschrieben werden.
Etwas aufwendiger
in der Machart sind die tutoriellen Programme, wobei die linearen Anwendungen
nach wie vor die Mehrheit bilden. Darin wird der Lerner durch die Materie
geführt und erhält viele Sachinformationen jedoch mit
erschreckend wenig oder gar keiner Interaktion.
Dies erfüllen
erst die multifunktionalen Programme. Hier erhält der Lerner freie
Bewegungs- und Sprungmöglichkeiten durch das Programm. Er wird durch
Abfragen aufgefordert Antworten einzugeben und bekommt praktische Anwendungsmöglichkeiten,
Feedbacks und Empfehlungen angezeigt.
Die intelligenten
tutoriellen Systeme ahmen die Vorgehensweise eines persönlichen Lehrers
nach: Sie ermöglichen über einen Einstufungstest die unterschiedliche
Aufbereitung des Lernstoffs in Abhängigkeit von den Ergebnissen des
Lerners. Konkret bedeutet dies, dass ein Lerner mit hohem Wissenstand
eine Empfehlung erhält, bestimmte Module des Lernprogramms nicht
mehr durcharbeiten zu müssen; diese werden einem Lerner mit schwachem
Ergebnis beim Einstufungstest wiederum besonders empfohlen.
Ein besonderer Vorteil
dieser intelligenten Anwendungen liegt darin, dass Simulationen in verschiedenen
Abläufen präsentiert werden können. Folgendes Beispiel
aus einem CBT, das dem Lerner zu einer verbesserten Kommunikation verhelfen
soll, verdeutlicht dies: Ein sehr zurückhaltender, unentschlossener
Kunde betritt ein Reisebüro und hat keine gezielte Vorstellung, wie
und wo er seinen Urlaub verbringen will. Je nach Art der Fragestellungen,
die ausschließlich vom Lerner interaktiv gesteuert werden, entlockt
die Reisekauffrau ihm so wenige belanglose bzw. so viele bedeutende Informationen,
dass der Kunde entweder frustriert das Reisebüro verlässt oder
aber seinen Traumurlaub bucht. Nach den ersten Fehlstarts und durch mehrfaches
Wiederholen der Simulation mit jeweils anderen, überraschenden Reaktionen
des Kunden erkennt der Lerner, dass geschickte Fragetechniken und gutes
Zuhören in der verbalen Kommunikation zu gänzlich unterschiedlichen
Ergebnissen führen.
Intelligente multimediale
Programme sind gespickt mit Interaktionen und entsprechenden Feedbacks,
die dem Lerner die Richtigkeit seiner Antworten bestätigen. In keinem
Videofilm hätten diese verschiedenartigen Sequenzen aufgrund der
fehlenden Interaktionsmöglichkeiten dargestellt werden können.
Ein klassischer Vorteil des computer-basierten Lernens!
Auch wenn der Ausdruck
intelligent ein wenig hoch gegriffen ist, da er im Sprachgebrauch
der EDV sofort fälschlicherweise mit künstlicher Intelligenz
in Verbindung gebracht wird, sollte man sich als Weiterbilder bei der
Auswahl von CBTs nicht mit weniger zufrieden geben.
Simulations- oder
Planspiele bilden die hohe Schule des computerunterstützten Lernens.
Die Deutsche Planspielzentrale
(DPSZ) wurde vor über 10 Jahren von W.E. Rohn in Wuppertal gegründet.
Das alljährlich stattfindende Planspielforum erfreut sich steigender
Beliebtheit im Erwachsenenbildungs-Markt. Von den über 400 bekannten
Planspielen sind ca. 10% abrufbare Standards, die von der Deutschen Planspielzentrale
empfohlen werden. Der Schwerpunkt dabei ist der Erwerb von Wissen und
Fähigkeiten durch das Vorgeben einer Handlungs- oder Testsituation.
Der Lerner hat die Aufgabe, Problemsituationen zu bewältigen, indem
er in komplexe Geschehensabläufe direkt eingreifen kann. Die simulierte
Teilrealität, die für die jeweilige Zielgruppe relevant ist,
fordert Denken und Verhalten, dem man sich nicht entziehen kann. Betroffenheit
in einem globalen Zusammenhang konfrontiert den Einzelnen mit den Konsequenzen
seiner selbst getroffenen Entscheidungen.
Hypermedia-Programme
runden das multimediale Angebot ab. Diese Programme ermöglichen ein
völlig freies Navigieren durch das gesamte Informationsgebiet. Die
Lerner können sich ähnlich wie bei einem interaktiven
Lexikon innerhalb eines Themengebietes auf beliebige Weise informieren
und dabei über Querverweise entsprechend ihren Bedürfnissen
das Gebiet ihrer Wahl erkunden.
Der am schnellsten
expandierende Markt der Welt befindet sich derzeit im Internet. Schon
heute ist das Internet das bedeutendste Medium für Kommunikation,
Information und Verteilung. Dem Lernen im Netz eröffnet sich somit
ein riesiger Kundenkreis, den das sogenannte Web Based Training (WBT)
versorgt.
WBT ist eine Weiterentwicklung
des Computer Based Trainings unter zwei Aspekten:
- zum einen in Bezug auf die technischen Voraussetzungen, um den Betrieb unter Internet-Minimalvoraussetzungen zu ermöglichen
- zum anderen in Bezug auf die methodisch-didaktische Aufbereitung, die unter Netzbedingungen anders gestaltet sein muss, um eine optimale Performance zu erzielen
|
multimedialen Lernens
Die Vorteile von
multimedialen Lernsystemen sind in drei schlagkräftigen Argumenten
zusammenzufassen:
- Die Ausbildungsqualität steigt. Der Lerner erhält einen ganzheitlichen und bedarfsorientierten Überblick mit hoher Aktualität. Durch praxisbezogenes Lernen on demand und just in time entsteht eine erhöhte Bildungseffizienz.
- Die Ausbildungszeit wird flexibler, da der Lerner sein Tempo und die erforderliche Zeit selbst bestimmt.
Die Ausbildungskosten
reduzieren sich durch die unabhängige Wahl des Ausbildungsorts
sei es nun am Arbeitsplatz, im Selbstlernzentrum oder zu Hause. Ausfallzeiten
und Reisekosten durch Seminarbesuche entfallen. Jeder Personalverantwortliche
wird bestätigen, dass 50% der Kosten von externen Weiterbildungsmaßnahmen
auf die Nebenkosten entfallen.
Viele Großunternehmen,
wie die Deutsche Post AG, berichten über Einsparungen von mehr als
150 Millionen Mark durch den Einsatz von CBT. An über 2.000 Lernstationen
haben sich Zusteller und Schalterbeamte in den letzten 5 Jahren mit der
CBT-Serie CLIP (Computergestütztes Lernen im Postdienst) weitergebildet.
Banken, Versicherungen
und Automobilhersteller zählten zu den ersten, die ihre Mitarbeiter
mit CBT aus- und weiterbildeten. Bei General Motors lernen Mitarbeiter
an rund 15.000 Lernstationen auf der ganzen Welt die jeweils neuesten
Modell-Veränderungen. Ein Automodell wird bis zu fünfzig Mal
im Jahr modifiziert. Wenn vom Kundendienstmonteur bis zum Verkäufer
jeder Mitarbeiter persönlich geschult werden müsste, wären
die Kosten enorm. Ein Lernprogramm mit den zielgruppenorientierten Neuerungen
erfüllt denselben Zweck der Wissensvermittlung.
Lernprogramme sind
übrigens nicht nur Unternehmen vorbehalten. Aus der aktuellen Markt-
und Media-Studie Allensbacher Computer- und Telekommunikations-Analyse
(ACTA), die das Marktforschungsinstitut Allensbach im Auftrag der deutschen
Computerpresse unter 10.000 Mitbürgern im Alter von 14 bis 54 Jahren
durchführte, geht hervor, dass mehr als jeder sechste Haushalt ein
Lernprogramm auf CD-ROM besitzt und fast jeder fünfte ein Nachschlagewerk
auf CD-ROM. Demnach hätten Lexika und Lernprogramme eine höhere
Verbreitung als Abenteuer- und Geschicklichkeitsspiele.
Das englische Marktforschungsinstitut
Datamonitor prognostizierte kürzlich, Deutschland werde im Jahr 2000
mit einem Anteil von 40% (heute 37%) den größten europäischen
Markt für multimediales Lernen bilden und damit den jetzigen Marktführer
England (heute 46%, im Jahr 2005 noch 27%) überholen. Demach werden
im Jahr 2005 in Deutschland 4,6 Milliarden Mark mit CBT-Anwendungen umgesetzt.
Wenn das kein Standortvorteil ist!
multimedialen Lernens
Es ist erstaunlich,
welche Argumente gegen CBT ins Feld geführt werden. Oft genug stammen
sie von Weiterbildern, die nicht von ihren traditionellen Maßnahmen
lassen wollen und sich nie der Mühe einer kritischen inhaltlichen
Auseinandersetzung mit Lernsystemen unterzogen. Dabei hätten sie
so manche Ergänzungen zu ihren Trainings gefunden, die sie hervorragend
zur Vor- oder Nachbereitung einsetzen könnten.
Allerdings gibt es
tatsächlich einige Bereiche, in denen die Erwartungen in Lernprogramme
zu hoch geschraubt sind:
- Die elektronischen Medien ersetzen nie einen guten Coach, angeregte Diskussionen oder einen blendenden Vortrag. Wie sollten Lernprogramme das Erleben von Unternehmenskultur darstellen, mit rhetorischen Finessen glänzen oder Feinheiten der NLP-Techniken vermitteln?
- Lernprogramme können keine spontanen Interaktionen und Fragestellungen, Verhaltensweisen und Werte vorleben, können nicht Vorbild, einfühlsam und mitfühlend sein, mit Gruppendynamik arbeiten und die sozialen Kontakte der Gruppe nutzen oder aus pädagogischen Gründen den Lerner provozieren. All das ist mit multimedialen Lernsystemen nicht trainier- und lernbar.
- Lernprogramme erfordern technische Kompetenz und verursachen Kosten für die damit verbundene Computer-Ausstattung. Wer selten oder nie am PC gearbeitet hat, wird sich mit der Konzentration auf multimediales Lernen sehr schwer tun. Dies verstärkt sich progressiv durch die in hohem Maße erforderliche Selbstlernkompetenz.
Der verantwortungsvolle
Weiterbilder wird deshalb sein Angebot an multimedialen Lernarrangements
sorgfältig planen. Wenn ihm die Nachteile bekannt sind, ist der einfachste
und sicherste Weg der Selbstversuch. Er sollte für sich ganz persönlich
die Lernprogramme durcharbeiten und zwar von A bis Z, um zu wissen,
was sich darin verbirgt. Die dann jeweils passende Lernform und Lernorganisation
zu finden, ist weniger risikoreich, als ein schlechtes Lernprogramm einzukaufen
oder entwickeln zu lassen.
Der Bereitschaft
einer Gesellschaft zu permanenter Fortbildung müssen Taten folgen.
Diese liegen eindeutig in einer Vielfalt von technische Voraussetzungen,
die interaktives und dialogorientiertes Lernen ermöglichen. Durch
dieses Mehr an Interaktivität und Visionalität, durch diese
All-Sense-Methode kann der Bildungsbereich effektiver und professioneller
gestaltet werden. Information wird individuell aufgenommen, vermittelt
und aus einem unermesslich hohen Spektrum ausgewählt. Zeit, Ort und
Kosten verlieren an Bedeutung.
Das Trainerbild wird
sich ändern. Als zukünftiger Lernbegleiter, Coach, Teletutor
oder Moderator wird sich ein Trainer mehr denn je selbst fortbilden müssen
die Omnipräsenz und ständige Aktualisierung der Informationen
zwingen ihn dazu.
Bereits heute sind
die aktuellen Themen in den Personalentwicklungs- und Weiterbildungsabteilungen
der Unternehmen:
- die Weiterbildung via Internet und Intranet
- die firmenspezifische Gestaltung der Benutzeroberfläche von Lernprogrammen
- die Integration von Lernmedien verschiedener Hersteller in eine firmeneigene Lernplattform
- der Aufbau tutorieller Begleitung in den Selbstlernphasen für die Mitarbeiter und
- der Einsatz von Business-TV
Hier besteht die
Frage nicht mehr darin, ob man die Mitarbeiter mit multimedialen Lernarrangements
schulen soll, sondern welches Lernprogramm passend ist und welche Arten
des Einsatzes am sinnvollsten sind.
Die Forderung der
Zukunft lautet: Wir brauchen gebildete Mitarbeiter, die fähig sind,
Gesamtzusammenhänge zu erkennen, daraus Schlüsse zu ziehen und
sich damit Handlungsperspektiven öffnen. Einen möglichen Schritt
dazu bildet interaktives und dialogorientiertes multimediales Lernen.
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren
Titelthema Weiterbildung
Integratives Schulungskonzept: Lernen in Intervallen
von Peter Kitzki
Fachbeitrag Weiterbildung
Wie die Volkswagen AG ihre Mitarbeiter ins Internet bringt
von Andreas Werum und Yvonne Praschelik
Fachbeitrag Best Practice
Wie Versicherungen ihr Wissen in Wettbewerbsvorteile verwandeln
von Claudia Hilker
Fachbeitrag Social Media
Aufbruch in neue Lernwelten?
von Christine Fackiner
Fachbeitrag Weiterbildung
Die Evolution des multimedialen Lernens
von Markus Fischer