Fachbeiträge

Ausgabe 10 / /1999
Fachbeitrag Weiterbildung

Vorteile, Arten und Grenzen multimedialen Lernens

von Hans Gieringer

Multimediales Lernen gehört zu den Trendsettern der zukünftigen Weiterbildung; kaum jemand der sich beruflich mit Weiterbildungsfragen auseinandersetzt, wird sich auf Dauer dieser Thematik verschließen können. Lesen Sie den einführenden Beitrag von Hans Gieringer über multimediale Lernsysteme – von CBT bis WBT.

 

Von Hans

Gieringer

 

 

Inhaltsübersicht:

 

 

In der jüngsten

Vergangenheit hat die Wirtschaft die Idee des Lernens aus Eigeninitiative

und in Selbstverantwortung aufgegriffen und zum Leitbild moderner Qualifizierungskonzepte

erhoben. Selbstgesteuertes Lernen bzw. selbstorganisiertes Lernen am Arbeitsplatz

oder zu Hause rangieren in der Gunst vieler Unternehmen inzwischen vor

Seminaren und Frontalunterricht klassischen Zuschnitts.

 

 

Große Hoffnungen

setzen die Unternehmen dabei auf die Möglichkeiten von Multimedia

und Computer Based Training (CBT). Die neuen Techniken sollen das selbstgesteuerte

Lernen attraktiv machen und bereits etablierte Konzepte wie Gruppen- und

Projektarbeiten oder leittextunterstütztes Learning on the job ergänzen.

 

 

Multimediales Lernen

ist im Prinzip die Fortführung von bereits bekannten Lernformen auf

digitaler Ebene. Während die ersten CBTs in ihrem Aufbau noch an

Lehrbücher erinnerten, entwickelten sich diese Anwendungen in den

letzten Jahren zu interaktiven Lernspielwiesen auf hohem Niveau.

 

 

 

Multimediales Lernen

gehört zu den Trendsettern der zukünftigen Weiterbildung. Kaum

jemand, der sich beruflich mit Weiterbildungsfragen auseinandersetzt,

wird sich dieser Thematik dauerhaft verschließen können.

 

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Arten

multimedialen Lernens

 

 

1995 wurde der Begriff

“Multimedia” zum Wort des Jahres gekürt; die Diskussionen

um Sinn und Unsinn wogten hoch. Hat die Werbeindustrie lediglich ein neues

Vermarktungsschlagwort gefunden, oder ergeben sich aus der Verschmelzung

der AV- (audiovisuellen) und EDV-Techniken nicht auch neue Möglichkeiten

für die Wissensvermittlung?

 

 

 

“Multimedia

ähnelt der Liebe von Teenagern: Jeder denkt daran, jeder glaubt,

der andere tut es, alle reden davon, aber keiner macht es wirklich –

und die wenigen, die es doch tun, sind nicht sehr erfolgreich. Aber alle

hoffen, dass es großartig sein wird, wenn sie endlich wissen, was

Sache ist.” Soweit Helmut Thoma, ehemaliger Geschäftsführer

des Fernsehsenders RTL zu diesem Thema. Man darf Herrn Thoma unterstellen,

dass er bei diesen Worten die digitale Aufbereitung und die bedingten

Interaktionen bei Fernsehübertragungen im Auge hatte, und weniger

die Nutzung von multimedialen Lernsystemen am PC.

 

 

Die ersten Anwendungen

entstanden Mitte der 80er Jahre. Nach dem Ein- und Siegeszug der Personalcomputer

wurden schnell Übungsprogramme entwickelt. Dabei übernahm man

zunächst vorhandene Printmedien einfach auf Datenträger. Somit

entstanden elektronische Blätter- oder Übungsmaschinen, die

überwiegend zum Vokabelnlernen und zur Vermittlung kognitiven Wissens

eingesetzt wurden. Das Arbeiten mit dem Rechenschieber oder Prozentrechnen

sind Beispiele dieser sogenannten “Practice and Drill”-Programme,

wie sie von Franz Schanda (PRO LERNEN, München-Lohhof) und Jens-Uwe

Martens (IWL, München) beschrieben werden.

 

 

 

Etwas aufwendiger

in der Machart sind die tutoriellen Programme, wobei die linearen Anwendungen

nach wie vor die Mehrheit bilden. Darin wird der Lerner durch die Materie

geführt und erhält viele Sachinformationen – jedoch mit

erschreckend wenig oder gar keiner Interaktion.

 

 

Dies erfüllen

erst die multifunktionalen Programme. Hier erhält der Lerner freie

Bewegungs- und Sprungmöglichkeiten durch das Programm. Er wird durch

Abfragen aufgefordert Antworten einzugeben und bekommt praktische Anwendungsmöglichkeiten,

Feedbacks und Empfehlungen angezeigt.

 

 

Die intelligenten

tutoriellen Systeme ahmen die Vorgehensweise eines persönlichen Lehrers

nach: Sie ermöglichen über einen Einstufungstest die unterschiedliche

Aufbereitung des Lernstoffs in Abhängigkeit von den Ergebnissen des

Lerners. Konkret bedeutet dies, dass ein Lerner mit hohem Wissenstand

eine Empfehlung erhält, bestimmte Module des Lernprogramms nicht

mehr durcharbeiten zu müssen; diese werden einem Lerner mit schwachem

Ergebnis beim Einstufungstest wiederum besonders empfohlen.

 

 

 

Ein besonderer Vorteil

dieser intelligenten Anwendungen liegt darin, dass Simulationen in verschiedenen

Abläufen präsentiert werden können. Folgendes Beispiel

aus einem CBT, das dem Lerner zu einer verbesserten Kommunikation verhelfen

soll, verdeutlicht dies: Ein sehr zurückhaltender, unentschlossener

Kunde betritt ein Reisebüro und hat keine gezielte Vorstellung, wie

und wo er seinen Urlaub verbringen will. Je nach Art der Fragestellungen,

die ausschließlich vom Lerner interaktiv gesteuert werden, entlockt

die Reisekauffrau ihm so wenige belanglose bzw. so viele bedeutende Informationen,

dass der Kunde entweder frustriert das Reisebüro verlässt oder

aber seinen Traumurlaub bucht. Nach den ersten Fehlstarts und durch mehrfaches

Wiederholen der Simulation mit jeweils anderen, überraschenden Reaktionen

des Kunden erkennt der Lerner, dass geschickte Fragetechniken und gutes

Zuhören in der verbalen Kommunikation zu gänzlich unterschiedlichen

Ergebnissen führen.

 

 

Intelligente multimediale

Programme sind gespickt mit Interaktionen und entsprechenden Feedbacks,

die dem Lerner die Richtigkeit seiner Antworten bestätigen. In keinem

Videofilm hätten diese verschiedenartigen Sequenzen aufgrund der

fehlenden Interaktionsmöglichkeiten dargestellt werden können.

Ein klassischer Vorteil des computer-basierten Lernens!

 

 

 

Auch wenn der Ausdruck

“intelligent” ein wenig hoch gegriffen ist, da er im Sprachgebrauch

der EDV sofort fälschlicherweise mit künstlicher Intelligenz

in Verbindung gebracht wird, sollte man sich als Weiterbilder bei der

Auswahl von CBTs nicht mit weniger zufrieden geben.

 

 

Simulations- oder

Planspiele bilden die hohe Schule des computerunterstützten Lernens.

Die Deutsche Planspielzentrale

(DPSZ) wurde vor über 10 Jahren von W.E. Rohn in Wuppertal gegründet.

Das alljährlich stattfindende Planspielforum erfreut sich steigender

Beliebtheit im Erwachsenenbildungs-Markt. Von den über 400 bekannten

Planspielen sind ca. 10% abrufbare Standards, die von der Deutschen Planspielzentrale

empfohlen werden. Der Schwerpunkt dabei ist der Erwerb von Wissen und

Fähigkeiten durch das Vorgeben einer Handlungs- oder Testsituation.

Der Lerner hat die Aufgabe, Problemsituationen zu bewältigen, indem

er in komplexe Geschehensabläufe direkt eingreifen kann. Die simulierte

Teilrealität, die für die jeweilige Zielgruppe relevant ist,

fordert Denken und Verhalten, dem man sich nicht entziehen kann. Betroffenheit

in einem globalen Zusammenhang konfrontiert den Einzelnen mit den Konsequenzen

seiner selbst getroffenen Entscheidungen.

 

 

 

Hypermedia-Programme

runden das multimediale Angebot ab. Diese Programme ermöglichen ein

völlig freies Navigieren durch das gesamte Informationsgebiet. Die

Lerner können sich – ähnlich wie bei einem interaktiven

Lexikon – innerhalb eines Themengebietes auf beliebige Weise informieren

und dabei über Querverweise entsprechend ihren Bedürfnissen

das Gebiet ihrer Wahl erkunden.

 

 

Der am schnellsten

expandierende Markt der Welt befindet sich derzeit im Internet. Schon

heute ist das Internet das bedeutendste Medium für Kommunikation,

Information und Verteilung. Dem Lernen im Netz eröffnet sich somit

ein riesiger Kundenkreis, den das sogenannte Web Based Training (WBT)

versorgt.

 

 

 

WBT ist eine Weiterentwicklung

des Computer Based Trainings unter zwei Aspekten:

 

  • zum einen in Bezug auf die technischen Voraussetzungen, um den Betrieb unter Internet-Minimalvoraussetzungen zu ermöglichen
  • zum anderen in Bezug auf die methodisch-didaktische Aufbereitung, die unter Netzbedingungen anders gestaltet sein muss, um eine optimale Performance zu erzielen

 

 

 

 
lernsyst picture 

Einordnung der verschiedenen Lernsysteme unter Berücksichtigung von: kognitiver Wissensvermittlung, Interaktion, freier Bewegungs- und Sprungmöglichkeit, Feedback, Komplexität des Informationsgebiets und Multimedia-Komponenten

 

 

 

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Vorteile

multimedialen Lernens

 

 

Die Vorteile von

multimedialen Lernsystemen sind in drei schlagkräftigen Argumenten

zusammenzufassen:

 

 

  • Die Ausbildungsqualität steigt. Der Lerner erhält einen ganzheitlichen und bedarfsorientierten Überblick mit hoher Aktualität. Durch praxisbezogenes Lernen on demand und just in time entsteht eine erhöhte Bildungseffizienz.
  • Die Ausbildungszeit wird flexibler, da der Lerner sein Tempo und die erforderliche Zeit selbst bestimmt.

 

Die Ausbildungskosten

reduzieren sich durch die unabhängige Wahl des Ausbildungsorts –

sei es nun am Arbeitsplatz, im Selbstlernzentrum oder zu Hause. Ausfallzeiten

und Reisekosten durch Seminarbesuche entfallen. Jeder Personalverantwortliche

wird bestätigen, dass 50% der Kosten von externen Weiterbildungsmaßnahmen

auf die Nebenkosten entfallen.

 

 

 

Viele Großunternehmen,

wie die Deutsche Post AG, berichten über Einsparungen von mehr als

150 Millionen Mark durch den Einsatz von CBT. An über 2.000 Lernstationen

haben sich Zusteller und Schalterbeamte in den letzten 5 Jahren mit der

CBT-Serie CLIP (Computergestütztes Lernen im Postdienst) weitergebildet.

 

 

Banken, Versicherungen

und Automobilhersteller zählten zu den ersten, die ihre Mitarbeiter

mit CBT aus- und weiterbildeten. Bei General Motors lernen Mitarbeiter

an rund 15.000 Lernstationen auf der ganzen Welt die jeweils neuesten

Modell-Veränderungen. Ein Automodell wird bis zu fünfzig Mal

im Jahr modifiziert. Wenn vom Kundendienstmonteur bis zum Verkäufer

jeder Mitarbeiter persönlich geschult werden müsste, wären

die Kosten enorm. Ein Lernprogramm mit den zielgruppenorientierten Neuerungen

erfüllt denselben Zweck der Wissensvermittlung.

 

 

 

Lernprogramme sind

übrigens nicht nur Unternehmen vorbehalten. Aus der aktuellen Markt-

und Media-Studie “Allensbacher Computer- und Telekommunikations-Analyse”

(ACTA), die das Marktforschungsinstitut Allensbach im Auftrag der deutschen

Computerpresse unter 10.000 Mitbürgern im Alter von 14 bis 54 Jahren

durchführte, geht hervor, dass mehr als jeder sechste Haushalt ein

Lernprogramm auf CD-ROM besitzt und fast jeder fünfte ein Nachschlagewerk

auf CD-ROM. Demnach hätten Lexika und Lernprogramme eine höhere

Verbreitung als Abenteuer- und Geschicklichkeitsspiele.

 

 

Das englische Marktforschungsinstitut

Datamonitor prognostizierte kürzlich, Deutschland werde im Jahr 2000

mit einem Anteil von 40% (heute 37%) den größten europäischen

Markt für multimediales Lernen bilden und damit den jetzigen Marktführer

England (heute 46%, im Jahr 2005 noch 27%) überholen. Demach werden

im Jahr 2005 in Deutschland 4,6 Milliarden Mark mit CBT-Anwendungen umgesetzt.

Wenn das kein Standortvorteil ist!

 

 

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Grenzen

multimedialen Lernens

 

 

Es ist erstaunlich,

welche Argumente gegen CBT ins Feld geführt werden. Oft genug stammen

sie von Weiterbildern, die nicht von ihren traditionellen Maßnahmen

lassen wollen und sich nie der Mühe einer kritischen inhaltlichen

Auseinandersetzung mit Lernsystemen unterzogen. Dabei hätten sie

so manche Ergänzungen zu ihren Trainings gefunden, die sie hervorragend

zur Vor- oder Nachbereitung einsetzen könnten.

 

 

Allerdings gibt es

tatsächlich einige Bereiche, in denen die Erwartungen in Lernprogramme

zu hoch geschraubt sind:

 

 

  • Die elektronischen Medien ersetzen nie einen guten Coach, angeregte Diskussionen oder einen blendenden Vortrag. Wie sollten Lernprogramme das Erleben von Unternehmenskultur darstellen, mit rhetorischen Finessen glänzen oder Feinheiten der NLP-Techniken vermitteln?
  • Lernprogramme können keine spontanen Interaktionen und Fragestellungen, Verhaltensweisen und Werte vorleben, können nicht Vorbild, einfühlsam und mitfühlend sein, mit Gruppendynamik arbeiten und die sozialen Kontakte der Gruppe nutzen oder aus pädagogischen Gründen den Lerner provozieren. All das ist mit multimedialen Lernsystemen nicht trainier- und lernbar.
  • Lernprogramme erfordern technische Kompetenz und verursachen Kosten für die damit verbundene Computer-Ausstattung. Wer selten oder nie am PC gearbeitet hat, wird sich mit der Konzentration auf multimediales Lernen sehr schwer tun. Dies verstärkt sich progressiv durch die in hohem Maße erforderliche Selbstlernkompetenz.

 

 

Der verantwortungsvolle

Weiterbilder wird deshalb sein Angebot an multimedialen Lernarrangements

sorgfältig planen. Wenn ihm die Nachteile bekannt sind, ist der einfachste

und sicherste Weg der Selbstversuch. Er sollte für sich ganz persönlich

die Lernprogramme durcharbeiten – und zwar von A bis Z, um zu wissen,

was sich darin verbirgt. Die dann jeweils passende Lernform und Lernorganisation

zu finden, ist weniger risikoreich, als ein schlechtes Lernprogramm einzukaufen

oder entwickeln zu lassen.

 

 

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Fazit

 

 

Der Bereitschaft

einer Gesellschaft zu permanenter Fortbildung müssen Taten folgen.

Diese liegen eindeutig in einer Vielfalt von technische Voraussetzungen,

die interaktives und dialogorientiertes Lernen ermöglichen. Durch

dieses Mehr an Interaktivität und Visionalität, durch diese

All-Sense-Methode kann der Bildungsbereich effektiver und professioneller

gestaltet werden. Information wird individuell aufgenommen, vermittelt

und aus einem unermesslich hohen Spektrum ausgewählt. Zeit, Ort und

Kosten verlieren an Bedeutung.

 

 

 

Das Trainerbild wird

sich ändern. Als zukünftiger Lernbegleiter, Coach, Teletutor

oder Moderator wird sich ein Trainer mehr denn je selbst fortbilden müssen

– die Omnipräsenz und ständige Aktualisierung der Informationen

zwingen ihn dazu.

 

 

Bereits heute sind

die aktuellen Themen in den Personalentwicklungs- und Weiterbildungsabteilungen

der Unternehmen:

 

  • die Weiterbildung via Internet und Intranet
  • die firmenspezifische Gestaltung der Benutzeroberfläche von Lernprogrammen
  • die Integration von Lernmedien verschiedener Hersteller in eine firmeneigene Lernplattform
  • der Aufbau tutorieller Begleitung in den Selbstlernphasen für die Mitarbeiter und
  • der Einsatz von Business-TV

 

 

Hier besteht die

Frage nicht mehr darin, ob man die Mitarbeiter mit multimedialen Lernarrangements

schulen soll, sondern welches Lernprogramm passend ist und welche Arten

des Einsatzes am sinnvollsten sind.

 

 

Die Forderung der

Zukunft lautet: Wir brauchen gebildete Mitarbeiter, die fähig sind,

Gesamtzusammenhänge zu erkennen, daraus Schlüsse zu ziehen und

sich damit Handlungsperspektiven öffnen. Einen möglichen Schritt

dazu bildet interaktives und dialogorientiertes multimediales Lernen.

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