Fachbeiträge
Recherche-Tools: Masse mit Klasse
von Michael Hack
Online-Bibliothekskataloge verwalten heutzutage Millionen von Dokumenten und Einträgen. Viel zu häufig entwickelte sich die Suche in solchen Wissensschätzen bisher jedoch zu einer zeitaufwändigen Arbeit. Das soll künftig anders werden: Neue Recherche-Technologien revolutionieren derzeit das Bibliothekswesen. Das Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen (hbz) setzt diese Entwicklungen bereits erfolgreich ein.
Von Michael Hack
Inhaltsübersicht:
- Web-Suchmaschinen als Vorbild
- Kurze Antwortzeiten
- Kontextsuche mittels linguistischer Verfahren
- Trefferlisten mit qualifiziertem Ranking
30 Millionen Dokumente sind im Hochschulbibliothekszentrum des Landes Nordrhein-Westfalen (hbz) schon jetzt zugänglich. Doch das ist erst der Anfang: Der so genannte Dreiländerkatalog gehört sicher zu den ambitioniertesten Dienstleistungen, die das Kölner hbz in über 30 Jahren für Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern realisiert hat. Langfristig soll der Katalog die gesamte wissenschaftliche Literatur im deutschsprachigen Raum nachweisen. Aktuell sind neben den hbz-Daten die des Bayerischen Bibliotheksverbundes und des Österreichischen Bibliothekenverbundes zu finden.
Dreh- und Angelpunkt des Bibliothekskatalogs ist eine Anwendung, die im März 2005 als hbz-Suchmaschine vorgestellt wurde. Die Plattform orientiert sich in Funktionalität und Layout an gängigen Web-Suchmaschinen. Die Suchresultate werden per Ranking nach Relevanz sortiert und können nach verschiedenen Kriterien angezeigt oder eingeschränkt werden, etwa Autor und Erscheinungsjahr.
Die Suchmaschinentechnologie soll künftig auch bei einem zweiten Großprojekt eingesetzt werden, an dem das hbz maßgeblich beteiligt ist: dem interdisziplinären Internetportal für wissenschaftliche Information in Deutschland (vascoda). Das hbz ist dabei für den technischen Betrieb und die Weiterentwicklung des Portals zuständig. Am Projekt, das vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, beteiligen sich derzeit 40 Einrichtungen mit rund 35 Angeboten, das sind meist nach Fachgebieten geordnete Verzeichnisse für die Online-Recherche.
„Nutzer von Online-Bibliothekskatalogen sind heute Google-verwöhnt, das heißt, wie bei einer Web-Suche erwarten sie umfangreiche Resultate in Sekundenbruchteilen“, erklärt Dr. Peter Kostädt, stellvertretender Leiter des hbz. „Wir stellen in der Tat immer wieder fest, dass Suchvorgänge schon abgebrochen werden, wenn sie nach zwei, drei Sekunden keine Ergebnisse liefern.“ Begründen lässt sich das mit der Funktionsweise herkömmlicher Rechercheanwendungen für Bibliothekskataloge und Fachdatenbanken, zum Beispiel Metasuchen in Portalen, die verschiedene Datenquellen ansprechen. Der Nutzer gibt eine Anfrage ein. Sie wandert an die unterschiedlichen Zieldatenbanken. Von dort kommen die einzelnen Suchergebnisse zurück, werden in ein einheitliches Präsentationsformat gebracht und in einer Ergebnisliste zusammengefasst. „Das Verfahren erlaubt zwar die gleichzeitige Suche über verschiedene Ressourcen, ohne dass der Anwender die Suchmaske wechseln muss“, erklärt Kostädt. „Allerdings können die Resultate erst zusammengestellt und sortiert werden, wenn die langsamste Datenbank geantwortet hat. Läuft die Metasuche über mehrere hundert Datenbanken, kann es also entsprechend dauern, bis die komplette Liste beim Nutzer ankommt.“
Dieses Problem besteht bei der hbz-Suchmaschine nicht. Sie sammelt die Daten nicht bei einzelnen Ressourcen ein, sondern durchkämmt einen einzigen großen Index, der alle Verzeichniseinträge der beteiligten Bibliotheken oder Verbünde enthält. Es kostet sie nur Sekundenbruchteile, um aus dem Dreiländerkatalog über 63.000 Einträge zum Stichwort „Goethe“ zu filtern.
Kontextsuche mittels linguistischer Verfahren
In einer Anwenderumfrage zum vascoda-Portal durch die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Münster stießen besonders die Formulierungsmöglichkeiten für Suchanfragen auf Kritik. Suchte ein Nutzer beispielsweise nach „Medikament“, konnte er Begriffsvarianten nur über ODER-Verknüpfungen einbinden: „Medikament ODER Medikamente“. Derart angereicherte Suchanfragen verlängerten bei den meisten Datenbanken die Antwortzeit erheblich. Diese Herausforderung beseitigt die neue Technologie, indem schon bei der Indexierung linguistische Verfahren zur Anwendung kommen, die wiederum auf Wörterbücher zugreifen können. Sie berücksichtigen nicht nur den tatsächlich eingegebenen Begriff, sondern auch flektierte Formen, Komposita, Übersetzungen usw. Zum eigentlich gesuchten „Medikament“ findet das System so automatisch auch Einträge wie „Arzneimittelverordnung“, „Medikamentenmissbrauch“, „Drug“ und „Drugs“. „Diese Fähigkeit ist ganz entscheidend, denn in den meisten Fällen wählt der Nutzer zunächst einen möglichst allgemeinen Oberbegriff bei der Themenrecherche, während das, was er eigentlich sucht, in einem ganz anderen Kontext steckt“, sagt hbz-Experte Kostädt. „Die linguistische Kompetenz des Systems führt ihn dann quasi vorausdenkend auf die richtige Spur.“
Das ist auch bei Tippfehlern des Nutzers der Fall. Die Anwendung schlägt dann automatisch den offensichtlich gemeinten Suchbegriff vor.
Trefferlisten mit qualifiziertem Ranking
Geht es darum, die Resultate nach ihrer Relevanz zu bewerten, haben Suchmaschinen gegenüber traditionellen Recherchemethoden ebenfalls die Nase vorn. Dort werden die Treffer in der Regel nur nach isolierten Kriterien wie Publikationsjahr, Autor, Verlag etc. ausgegeben. Aussagen zur tatsächlichen Relevanz des Titels kann der Anwender daraus nicht unbedingt ableiten. Ein Fachbuch von 1980 ist nicht zwingend veraltet. Genauso wenig ist der Autor mit den meisten Titeln immer der Garant für die beste Information zum Thema.
Mehr Aussagekraft zur Relevanz eines Eintrags entsteht durch ein qualifiziertes Ranking, zum Beispiel über eine Volltextsuche, die die Anzahl der Querverweise auf den Titel in Abstracts und Fachaufsätzen bewertet. Je öfter darauf verwiesen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Publikation im jeweiligen Fachgebiet maßgeblich ist. Dabei bringt die Technologie einen großen Vorteil gegenüber Internet-Suchmaschinen mit, die nach ähnlichem Muster arbeiten: „Dort liefert die Suche zwar viele Resultate, bleibt aber häufig an der Oberfläche, denn die Suchwerkzeuge dringen gar nicht in alle Ebenen einer Webseite vor, das so genannte Deep Web“, erklärt Kostädt. „Das ist bei unserer Suchmaschine anders. Wir bieten ihr von vornherein einen Pool aus strukturierten Daten an und sorgen dafür, dass er vollständig durchsucht und bewertet werden kann. Sind die entsprechenden Rankingalgorithmen einmal definiert, lassen sie sich äußerst einfach umsetzen. Das macht die Nutzung besonders flexibel.“ Dazu gehört auch die Option, Datenbanken gezielt abzuschalten oder hinzuzufügen. „Das ist vor allem für fortgeschrittene Nutzer ein großer Vorteil, die schon genau wissen, wonach sie suchen möchten“, ergänzt Kostädt. „Sie müssen sich dann nicht mehr händisch durch die meistens sehr umfangreiche Trefferliste einer Kategorie arbeiten“.
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