Fachbeiträge
Führungskultur in den Bezirkskliniken Mittelfranken
von Helmut Nawratil, Dr. med. Stefan Drauschke
Wer auf dem Weg der Veränderung seine Ziele nur top-down verordnet, wird bald alleine gegen den Strom rudern. Die Bezirkskliniken Mittelfranken mit Sitz der Unternehmenszentrale in Ansbach haben erkannt, dass sie für den strategischen Wandel ihre Mitarbeiter mit ins Boot holen müssen. Wie gelang es, mit Groß- und Kleingruppenarbeit eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und eine neue Führungskultur entstehen zu lassen?
Inhaltsübersicht:
- Mitwirkung im Open Space
- Konkrete Kompetenzprofile
- Führungsverhalten reflektieren
- Führung ist kein Selbstzweck, sondern im Unternehmensinteresse
- Führungskräfte sind Vorbilder
Im August 2012 stand die Krankenhausleitung vor der Herausforderung, die finanziell angeschlagenen Bezirkskliniken Mittelfranken – einem der größten Krankenhausunternehmen der Region mit insgesamt rund 3.000 Mitarbeitern – zu sanieren. Dem Klinikträger war bewusst, dass er sich grundlegend neu aufstellen musste: Eine stringente Führungsstruktur und eine klare Unternehmensstrategie, die von allen Mitarbeitern verstanden werden musste, waren das Ziel. Doch wie lassen sich Veränderungen der Führungskultur auf breiter Basis in Gang setzen?
Mitwirkung im Open Space
Im April 2013 ging es los: Nach zwei Einführungsworkshops kamen circa 70 Führungskräfte der Ebenen 1 bis 3 aus allen Standorten zur ersten Zukunftskonferenz. Mit intensiver Mitwirkung der Mitarbeiter wurden messbare Strategieziele entwickelt und verabschiedet. Der gesamte Strategieprozess wurde von einem 15-köpfigen Projektteam fortlaufend inhaltlich flankiert. Diesem so genannten K2 gehörten ausgewählte Führungskräfte aus Pflege, ärztlichem Dienst und Verwaltung sowie die externe Berater als Moderatoren an. Im Sommer 2013 folgte eine Open-Space-Konferenz mit insgesamt rund 300 Mitarbeitern aus allen Berufsgruppen und Standorten. In Einzel- und Gruppenarbeit diskutierten die Mitarbeiter unter anderem die Themen: „Was gehört zu einer guten Führungskultur?“ und „Was macht eine gute Führungskraft aus?“. Chefärzte, Pflegedienstleitung und Pfleger machten Vorschläge und diskutierten im Plenum darüber, welche Führungsgrundsätze und -ziele wichtig sind und wie dabei die Bedürfnisse der Mitarbeiter stärker berücksichtigt werden können.
Die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse, die Zug um Zug in die Gesamtstrategie einflossen, wurden messbar gemacht: Anhand von Kennzahlen, wie zum Beispiel der Mitarbeiter- oder Patientenzufriedenheit, aber auch Wirtschaftlichkeits-, und Qualitätsparametern bewerteten die Personalverantwortlichen die Ergebnisse, bevor im nächsten Schritt entsprechende Maßnahmen im Tagesgeschäft umgesetzt wurden. Die Einführung eines pragmatischen Vorschlagswesens und bedarfsgerechte Gesundheitsangebote sind neue Maßnahmen, die die Ideen und Wünsche der Mitarbeiter stärker miteinbeziehen. Um sicherzustellen, dass diese auch konsequent umgesetzt werden, waren die Führungskräfte eingeladen, ihre Unterschrift auf das Strategiepapier zu setzen. Auf den Prozess der Strategieentwicklung folgte der Führungskulturprozess (Cultural-Change-Prozess) in drei Phasen.
Konkrete Kompetenzprofile
Beim Kick-off der K3-Konferenz Anfang 2014 (Phase 1) diskutierten die Experten mit 70 Führungskräften interdisziplinärer Berufsgruppen die Frage: „Was bedeutet eine wirksame und verbindliche Führung für uns Führungskräfte?“ Die Führungskräfte machten zum Beispiel Vorschläge für einen offeneren Umgang mit Fehlern und Kritik sowie Konfliktsituationen. Die Aussagen zu den erforderlichen Führungsfähigkeiten flossen in sieben gemeinsam erarbeitete Führungsleitsätze (Ebene „Verhalten“) mit einer Präambel ein und bildeten die Basis für das Kompetenzmodell „Führung“ (Ebene „Können“) und das Wertebild, das in den folgenden K2-Workshops weiterbearbeitet wurde (Phase 2).
Für insgesamt zwölf Führungspositionen – das sind zum Beispiel Chefärzte, Pflegedienstleitungen und Bereichsleitungen – wurde im nächsten Schritt mit dem Expertenteam jeweils ein Kompetenzprofil erarbeitet, wobei jeweils konkrete Kernkompetenzen in drei Kompetenzfeldern in der gewünschten Ausprägung festgelegt wurden: Faires Feedback geben und loben ist zum Beispiel eine Kernkompetenz im Feld Sozialkompetenz, Veränderungsbereitschaft eine Kernkompetenz, die in den Bereich Individualkompetenz fällt und Wissensbildung und -transfer eine Kernkompetenz im Feld Methoden- und Fachkompetenz. Für ein gemeinsames Verständnis ist es notwendig, dass alle Führungskräfte diese Kernkompetenzen verinnerlichen und die gleiche „Sprache“ sprechen. So kennt jeder die an ihn gestellten Anforderungen und Erwartungen und bekommt Orientierung und Sicherheit in Bezug auf seine Führungsrolle.
Führungsverhalten reflektieren
Im nächsten Schritt ging es um die Qualifizierungsoffensive (Start der Phase 3): Basierend auf dem Kompetenzmodell fanden insgesamt sechs zweitägige Führungstrainingskonferenzen für insgesamt 240 Mitarbeiter an zwei Unternehmensstandorten statt – mit dem Ziel, diese in kompakten Zeitspannen zu trainieren und eine schnelle Durchdringung neuer Haltungen und Verhaltensweisen zu erwirken. Gemeinsam mit dem Trainerteam arbeiteten die Führungskräfte standort- und berufsgruppenübergreifend daran, die jeweiligen Kernkompetenzen (Ebene „Können“) zu erwerben und zu vertiefen. Es galt, sich auszuprobieren und dabei sich und die anderen mit neuem Verhalten zu erleben. Zum Einsatz kamen neben Fall-, Partner- und Kleingruppenarbeit auch Wahrnehmungsübungen, bei denen es zum Beispiel darum ging, Vor- und Nachteile verschiedener Führungstypen auf amüsante Weise herauszuarbeiten und zu verkörpern.
Anfängliche Hemmungen und Widerstände konnten überwunden werden. Die Führungskräfte erlebten, wie sie zum Beispiel in konfliktreichen Führungssituationen reagieren, und lernten so auch aus ihren Fehlern. Bei der Gruppenarbeit war der Austausch mit anderen hilfreich, um das eigene Führungsverhalten zu reflektieren und zu erkennen, dass Herausforderungen im Führungsalltag auch gemeinsam bewältigt werden können.
Führung ist kein Selbstzweck, sondern im Unternehmensinteresse
Damit im Umgang mit den Mitarbeitern noch mehr Verbindlichkeit entsteht, soll noch in diesem Jahr ein Feedback-Prozess aufgesetzt werden: Jede Führungskraft wird durch ihre Mitarbeiter anonym bewertet und das Ergebnis mit dem Vorgesetzten besprochen. Gibt es Verbesserungsbedarf, wird dieser in die jeweilige Zielvereinbarung und in die sich daraus ableitende Fortbildungsplanung mit aufgenommen. In Rollen- und Stellenbildern, an denen sich sowohl heutige als auch künftige Mitarbeiter orientieren können, wird der Anspruch des Unternehmens an die jeweilige Führungskraft klar beschrieben.
Erste Erkenntnisse zeigen große Unterschiede in den Berufsgruppen und Fachbereichen in Bezug auf die Bandbreite der Beurteilung innerhalb der Teams. Generell gibt der dennoch hohe Übereinstimmungsgrad zwischen dem Urteil des Einschätzenden und des Eingeschätzten Sicherheit und Zuversicht im laufenden Führungskräfteentwicklungskontext. Stolz, Überraschung bis hin zu Gefühlen der Frustration sind ebenfalls aufschlussreich und lassen offene Reflexion zu. Wichtig dabei ist die ehrliche Kommunikation der übergeordneten Führungskraft bei der Besprechung der Ergebnisse ohne direkte Relevanz in Zielvereinbarungen, sondern mit Hilfestellung, Rat und Tat.
Führungskräfte sind Vorbilder
Heute, rund drei Jahre nach dem Kick-off, wirkt die Aufbruchsstimmung aus der ersten Großgruppenkonferenz noch nach. Reagierten zu Beginn viele Mitarbeiter mit Widerstand und Skepsis ob der tief greifenden Veränderungen, haben sie im Prozessverlauf ein besseres Verständnis für betriebswirtschaftliche Entscheidungen und ein echtes Interesse an der Ausbildung ihrer Führungskompetenzen entwickelt. Die Vernetzung und der Austausch über die Bereiche und Standorte hinweg haben zu einem gemeinsamen Rollen- und Führungsverständnis als Voraussetzung für eine nachhaltige Veränderung der Führungskultur geführt. Der Klinik ist bewusst: Die Entwicklung der Führungskultur – hierbei handelt es sich um einen mittel- bis langfristigen Prozess – setzt Geduld und Ausdauer sowie vor allem Vorbilder in den obersten Führungsetagen voraus. Umso mehr werden die Erfolge geschätzt, die bereits heute deutlich sichtbar sind.
Die in den Führungstrainingskonferenzen eingesetzten systemischen Methoden haben bewirkt, dass die Mitarbeiter den notwendigen Kulturwandel mitgetragen haben und im Laufe des Prozesses sogar eine Vertrauenskultur entstanden ist. Führungskräfte und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Berufsgruppen und Hierarchieebenen gehen heute mehr aufeinander zu; auch lassen sie Emotionen eher zu und streiten konstruktiver: Es hat sich eine Fehlerkultur entwickelt, die sich an der Ursachenforschung und nicht an Schuldzuweisungen orientiert. Verschiedene Arbeits- und Projektgruppen wurden auf den Weg gebracht: Hier entstehen kreative Ideen, weil Mitarbeiter, die unterschiedliche Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen und Funktionen mitbringen, sich gleichwertig fühlen. Die Grundlage für einen wirksamen „Cultural-Change-Prozess“ wurde gelegt: Die wertschätzende, offene Unternehmenskultur schafft einen fruchtbaren Boden für weitere Veränderung.
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