Mit Einsetzung des Digitalrats der Bundesregierung wird die Digitalisierung in Deutschland zur Chefsache. Gerade in der Wirtschaft und Arbeitswelt kommt dem Megatrend enormer Einfluss zu. Doch der digitale Wandel vollzieht sich nicht nur in großen Umwälzungen, sondern auch in kleinen Veränderungen, die es zu bewältigen gilt. Auf welche Entwicklungen müssen sich sich Arbeitnehmer und -geber einstellen? Und wie lassen sie sich meistern?
1. Jobkiller Digitalisierung? Eine fatalistische Perspektive
Wird die Digitalisierung unser Arbeitsleben verändern? Selbstverständlich – wir befinden uns bereits mitten in der Transformation. Werden Roboter, künstliche Intelligenz und Machine Learning-Technologien menschliche Arbeitskraft obsolet machen? Eher nicht. “Gerade in entwickelten Industrienationen wie Deutschland bestehen nahezu alle Berufsbilder aus zahlreichen spezifischen Einzeltätigkeiten, von denen oft nur ein Teil digitalisierbar ist”, weiß Dr. Ole Mensching, CEO der Personalberatung CareerTeam. “Der Anteil an Aufgaben, bei denen größtenteils oder vollständig auf menschliche Arbeitskraft verzichtet werden kann, liegt einer McKinsey-Untersuchung von 2017 zufolge bei lediglich gut fünf Prozent.” Auch die von CareerTeam durchgeführte “CDO-Studie 2018” lege nahe, dass keine Entlassungswellen drohen. Vielmehr würden sich Tätigkeitsprofile ändern, Schwerpunkte sich verschieben hin zu strategischen, planerischen und komplexeren Aufgaben. Diese Entwicklung biete viele Potenziale – wer aus Angst Schwarzmalerei betreibe anstatt aktiv zu gestalten, riskiere, den Anschluss zu verlieren.
Fazit: Unternehmen müssen offene und konstruktive Herangehensweisen an die digitale Transformation entwickeln. Gesellschaftlicher Institutionen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft sind in der Pflicht, kritische Aufklärung über Chancen und Risiken zu betreiben, um Fatalismus genauso vorzubeugen, wie unreflektierter Euphorie.
2. Was Recruiter und Personaler erwartet
Nicht nur an digitalen Spezialisten mangelt es bereits heute, viele Branchen wiederholen stetig die Klage, dass qualifizierte Fachkräfte aller Art fehlen. Human Resources-Abteilungen wird es zukünftig also ebenso wenig an Arbeit mangeln, wie externen Headhuntern. Im Gegenteil: der Wettbewerb um Fachkräfte nimmt weiter zu. “Unsere Praxiserfahrungen zeugen von einem immer intensiver werdenden Tauziehen um qualifizierte Kandidaten und Kandidatinnen. Daher stellt sich zunehmend die Frage, wie ich als Recruiter überhaupt noch ins Gespräch mit geeigneten Fachkräften komme”, so Dr. Ole Mensching. Die durchdachte, überlegte und persönliche Ansprache von Kandidaten werde immer relevanter – aus HR-Praxis werde zunehmend strategische Kommunikations- und Personalmarketing-Praxis. In Zeiten erhöhter Konkurrenz auf dem Fachkräftemarkt ist die persönliche Bindung von Kandidaten an Recruiter ein zentraler Erfolgsfaktor. Darüber hinaus müssen Personalfragen im Unternehmen auf eine Stufe mit Themen wie der finanziellen Planung, der strategischen Ausrichtung oder der Digitalisierung gestellt werden – sprich auf höchster Ebene von Fachleuten geklärt werden.
Fazit: Stellen wie der “Chief Human Resources Officer” werden nötig sein, darüber hinaus werden Personalfachleute häufiger leitende Positionen wie die des CEO einnehmen. Die Mitarbeiter von HR-Abteilungen und Recruiter müssen zunehmend raus aus dem “Elfenbeinturm Büro”. Denn um Kandidaten im Netzwerk zu halten und dieses zu erweitern ist der persönliche Kontakt elementar – ob auf Messen, auf Tagungen oder im Café.
3. Wer stagniert, verliert – auch Arbeitnehmer
Wenngleich, wie in Punkt 1 beschrieben, nicht innerhalb der kommenden zwölf Jahre jeder Job “wegdigitalisiert” werden wird, so machen sich Arbeitnehmer, die auf ihrem aktuellen Wissensstand bleiben, ohne sich weiterzubilden, auf Dauer ersetzbar. “Vor allem Aufgaben und Jobs, die über eher geringes Maß an Diversität und ein hohes Maß an Automatisierbarkeit und sich wiederholenden Abläufen bestehen, werden in Zukunft digitalisiert. Galt dies früher besonders für Stellen im produzierenden Gewerbe, sind schon heute davon etwa auch Stellen in der Logistik oder in der redaktionellen Arbeit betroffen”, wie Dr. Ole Mensching von CareerTeam erläutert. Ohne zusätzliche Qualifizie- rung werden gering ausgebildete Arbeitnehmer obsolet werden. Da finanzielle Modelle wie das bedingungslose Grundeinkommen aktuell in weiter Ferne sind, sind praxisrelevante und auf die Zukunft ausgerichtete Schulungen elementar, um einer breiten Bevölkerung das Auskommen zu sichern.
Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben und zu agieren, muss sich allerdings nicht jeder gleich zum Informatiker ausbilden lassen, wie Dr. Mensching weiter ausführt: “Unsere ‘CDO-Studie 2018’ hat gezeigt, dass der größte Weiterbildungsbedarf im Bereich der grundlegenden Digitalkenntnissen besteht, um Firmen und Arbeitnehmer auf den digitalen Wandel vorzubereiten.”
Fazit: Der Gesetzgeber muss Digitalkompetenz und die zugrundeliegenden und in Zukunft benötigten Kompetenzen in Schule und Weiterbildung zum Standardwerk machen. Arbeitnehmer müssen darüber hinaus dauerhaft auf dem Laufenden bleiben, um den Anschluss an aktuelle Entwicklungen nicht zu verpassen.
4. Der Fachkräftemangel: Chance für bislang Benachteiligte?
Auch heute noch betonen zahlreiche Organisationen, dass Belegschaften zu homogen sind und der gesellschaftlichen Realität nicht entsprechen. So sehe man gerade in Fach- und Führungspositionen zu wenig Frauen, zu selten Menschen mit Migrationshintergrund und nur sehr selten Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung. Regelmäßigen Untersuchungen der PageGroup zufolge beschäftigt sich in Deutschland nur rund die Hälfte der Unternehmen mit dem Thema “Diversität”. Hier verspielen Firmen nicht nur Gelegenheiten, qualifizierte Fachkräfte zu engagieren, sondern verschlafen auch langfristige Vorteile einer heterogenen Belegschaft, die Dr. Ole Mensching von CareerTeam erläutert: “Diversität ist ein Treiber von Kreativität und von effektiven Arbeitsprozessen. Darüber hinaus stärkt Vielfalt die Bindung von Angestellten ans Unternehmen. Diese langfristige emotionale Bindung ist ein weiterer Vorteil im ‘War for Talents’.”
Um Heterogenität herzustellen bedarf es jedoch diverser Maßnahmen und Aufwendungen. Für Mitarbeiter, denen sowohl Familienplanung als auch Karriere ein ernstes Anliegen sind, ist die Abstimmung dieser beiden Bereiche ein zentraler Faktor – besonders für Frauen, zunehmend aber auch für Männer, die sich eine Auszeit nehmen wollen. Bei Arbeitnehmern mit Migrationshintergrund sieht Dr. Mensching vor allem auf politischer Ebene Handlungsbedarf: “Wir diskutieren in Deutschland über ein Gesetz, dass qualifizierte Einwanderung regeln soll, weil der heimische Markt es derzeit nicht schafft, genügend Fachkräfte auszubilden. Gleichzeitig belegen zahlreiche Studien, dass Bildung und Ausbildung in Deutschland leider noch immer überproportional eine Frage der sozialen Herkunft ist, die wiederum stark mit der Herkunftsfrage verknüpft ist.” Eine Bildungspolitik, die den Einfluss sozialer Herkunft abschwäche, sei neben der Gewinnung hochqualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland daher als ein Teil einer zukunftsfähigen Arbeitsmarktpolitik anzusehen.
Fazit: Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss zu einem Standardinstrument der Personalarbeit werden und Arbeitgeber müssen den Nutzen heterogener Belegschaften erkennen lernen. In bildungspolitischen Fragen ist eine Loslösung der Bildungschancen von sozialer Herkunft dringend angezeigt – dies gilt für Deutschland als Einwanderungsland umso mehr.