Ob Führungskraft, Controller oder Nachwuchstalent: Zahlen und Statistiken stellen in Zeiten von Big Data zunehmend das Fundament für Strategien, Investitionen oder Karriereplanung dar. Im Interview mit dem Wissensportal Springer für Professionals erläutert Holger Rust, warum Daten als alleinige Argumentationsgrundlage für unternehmerische Entscheidungen aber nicht ausreichen. In seinem jetzt bei Springer Gabler erschienenen Fachbuch Fauler Zahlenzauber zeigt der Wirtschaftssoziologe, wie gängige Erzählmuster die Aussagekraft von Zahlen schwächen. Um mathematische Ergebnisse ganzheitlich interpretieren zu können, plädiert er daher für die Förderung von Kreativität und kultureller Kompetenz: „Nicht alles berechnen zu wollen, sondern die Grenzen der Berechenbarkeit zu erreichen, das ist das Ziel. Denn jenseits dieser Grenzen liegen die künftigen Geschäftsfelder, die es nicht nur zu entdecken, sondern auch zu gestalten gilt.“
Die Chancen von Big Data seien nach Meinung des Autors ausreichend dargestellt, auch die politischen und demokratischen Zwielichtigkeiten. Die unternehmerischen Risiken jedoch würden kaum erwähnt. Sie bestünden vor allem in der mangelnden Fähigkeit, die Daten angemessen auf ihre Bedeutung hin zu interpretieren: „Algorithmisch erzeugte Korrelationen werden für so gesichert gehalten, dass sie niemand mehr auf ihre Aussagekraft hin überprüft. Bisherige Erfahrungen mit der Anwendung auf alltagskulturelle Aspekte – und dazu gehört auch der Konsum – haben aber gezeigt, dass die Algorithmen oft triviale, mitunter abstruse, aber auch völlig falsche Korrelationen zu Kausalitäten zusammenrechnen, jedoch andererseits naheliegende Zusammenhänge nicht erkennen.“ Dies könne zu teuren Fehlplanungen führen, und es bestünde die Gefahr eines sich immer weiter verengenden Blickfelds.
Statistische Daten würden in der Öffentlichkeit und auch in Unternehmen gern als Argumentationshilfe genutzt, weil man in vielen Fällen eine bequeme Legitimation suche, so Rust weiter: „Dabei werden vordergründige Korrelationen zusammengeschustert oder ein paar Einzelfälle – sogenannte Best Practices – ausgesucht, die gerade passen, sich aber jeder Allgemeingültigkeit entziehen.“ Denn jedes Unternehmen sei anders als alle anderen, weshalb die meisten Best Practices nur Anekdoten seien: „Was vor allem aber irritiert, ist die Einseitigkeit. Denn die Unternehmen, die mit demselben Prinzip gescheitert sind, werden gar nicht erst in die Untersuchungen einbezogen. Ganz einfach deshalb, weil es sie nicht mehr gibt.“ In den Schlussfolgerungen von Daten- und Einzelfallauswertungen würden diese Kor-relationen dann als Ursache und Wirkung erscheinen. Darüber hinaus stellen sich laut Rust viele Urheber von Studien schon im Vorfeld in strategischem Opportunismus mit dem Ziel einer hohen Medienpräsenz darauf ein und produzieren bewusst Verkäufliches. „Das ist Naivität im Wortsinne, also kindlicher Glaube. Es ist nichts Neues, wie das Buch anhand von vielen bedenklichen Beispielen zeigt. Aber offensichtlich sind die Beteiligten resistent gegen Kritik.“
Es gehe ihm aber nicht darum, Mathematik und Statistik grundsätzlich zu verteufeln, betont Rust. In fünf „Methodologischen Intermezzi“ präsentiert er vielmehr konstruktive wie überraschende Modelle des professionellen Umgangs mit Techniken und Methoden der Berechnung. Der Experte kommt letztlich zu einer integrativen Schlussfolgerung: „Mathematik und Statistik erweisen sich als elegante Instrumente einer vorbehaltlosen Betrachtung der Wirklichkeit und als Grundlagen für innovative Gestaltungsoptionen. Unabdingbar ist allerdings die kulturelle Kompetenz, an die Mathematik und die Statistik die richtigen Fragen zu stellen.“
Professor Dr. Holger Rust ist Wirtschaftssoziologe. Er lehrte und forschte an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und ist wissenschaftlicher Berater von Unternehmen in zum Teil langjährigen Forschungskooperationen. Einer breiten Öffentlichkeit ist er als Kolumnist und Publizist renommierter Wirtschaftsmagazine sowie als pointierter Vortragsredner bekannt.