Der deutsche Mittelstand droht zum Verlierer der digitalen Revolution zu werden. Laut der neugegründeten Münchner Digitalakademie besteht eine wachsende Gefahr für kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland, zusehends hinter der rasanten Entwicklung innovativer, meist digitaler Geschäftsmodelle zurückzufallen. Im Austausch mit Entscheidern aus der Realwirtschaft und Gründerszene hat die Digitalakademie Wirtschaftsfaktoren identifiziert, um die Konkurrenzfähigkeit, Innovations- und Wirtschaftskraft des Mittelstands mit Blick auf den digitalen Wandel nachhaltig zu stärken.
„Besonders KMUs verlieren zunehmend den Anschluss an ihre online-affine Kundschaft und digitale Geschäftsmodelle“, sagt Michael Schwienbacher, einer der Initiatoren und Partner bei der Digitalakademie. „Start-ups und große Internetfirmen, die in Themen wie Big Data und E-Commerce zuhause sind, nutzen ihren Wissensvorsprung: Sie füllen die Lücken, die der Mittelstand lässt. Dadurch stehen immer mehr traditionelle Unternehmen in Gefahr, durch neue, disruptive Geschäftsmodelle vom Markt verdrängt zu werden.“
Wirtschaftsfaktor 1: Führung auf Augenhöhe
Die Digitalisierung fordert zunächst einen Wandel der bestehenden Geschäftsstrukturen. Viele mittelständische Unternehmen arbeiten noch in starren Hierarchien und Prozessen. Doch gerade flache Hierarchien und ein stärkerer Fokus auf die Mitarbeitereinbindung sind laut der Digitalakademie wesentliche Erfolgsfaktoren, um schnell auf immer dynamischere Marktsituationen zu reagieren und um junge Fach- und Führungskräfte nachhaltig an das eigene Unternehmen zu binden. Schwienbacher: „Unternehmen müssen Mitarbeiter auf allen Ebenen unterstützen und ermutigen, über Strukturen hinweg zu agieren, und sie in Entscheidungen involvieren. Ein solches Hierarchiemodell steigert die Effizienz und Innovationskraft eines Unternehmens. Gleichberechtigung statt Konkurrenzdenken ist ein Garant für einen schnelleren Informationsfluss. Mitarbeiter teilen ihr Wissen, statt es zu horten. Das Wissen wiederum ist ein wichtiger Treiber in der Industrie 4.0.“
Wirtschaftsfaktor 2: Gemeinsames Nutzen von Ressourcen
Das Geschäftsmodell landwirtschaftlicher Genossenschaften, wie etwa teure Maschinen gemeinschaftlich anzuschaffen und zu nutzen, da der Einzelne die Kosten nicht tragen könnte, lässt sich ebenso auf die Digitalisierung übertragen: So bietet es sich laut Digitalakademie für mittelständische Unternehmen an, mit Blick auf Business Intelligence, Big Data und zeitgemäße IT-Systeme ebenfalls auf das Teilen zu setzen. „An dieser Form des Sharing können alle Beteiligten gewinnen: Ein Mittelständler mit 20 Mitarbeitern hat weder die Möglichkeit, ein Konzept für sein digitales Datenmanagement zu erarbeiten, noch kann er es sich leisten, ein entsprechendes Business-Intelligence-Tool einzuführen. Wenn jedoch 20 bis 30 Mittelständler je 10.000 Euro für diesen Zweck zusammenlegen, kommen Sie in Sachen Digitalisierung einen großen Schritt voran“, sagt Schwienbacher.
Doch nicht nur im gemeinsamen Erwerb sondern ebenso im gemeinsamen Nutzen solcher Lösungen sehen die Experten der Digitalakademie Vorteile: Teilen die Unternehmen ihre IT-Kosten und nutzen sie gleichzeitig eine gemeinsame Datenbank, können sie im Wettbewerb mit Konzernen Mehrwerte für sich schaffen. „Durch das Teilen von Daten könnten Handwerker, Einzelhändler und Produzenten gemeinsam am Markt agieren und Potenzial für zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten nutzen: Gibt ein Trockenbauer beispielsweise eine neue Baustelle in das geteilte System ein, könnte ein ebenfalls beteiligter Elektriker dies sehen und eine Anfrage starten, ob seine Leistungen im Rahmen der Bauarbeiten ebenfalls gefragt sind“, fasst Schwienbacher zusammen.
Wirtschaftsfaktor 3: Menschenorientierung
Der Stellenwert von Corporate Social Responsibility, also die gesellschaftliche Verantwortung, Fairness und das positive Wirken von Organisationen, wird gemäß der Münchner Digitalisierungsexperten gerade in einer von Daten bestimmen Welt neu definiert. „Unternehmen stehen mehr und mehr im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Markenstärke und Erfolg sind somit enger mit der Menschenorientierung und dem gesellschaftlichen Ansehen eines Unternehmens verknüpft“, sagt Schwienbacher. Je engagierter ein Unternehmen ist, desto eher schafft es sich einen unverwechselbaren Mehrwert – einen Social USP, der Kunden langfristig an die Organisation bindet und somit zum Geschäftserfolg beiträgt: Egal ob es der Elektro-Auto-Produzent ist, der seine Patente freigegeben hat, um die Entwicklung einer Technologie zu fördern. Oder ein Lebensmittelproduzent, der auf der einen Seite Bauern fair entlohnt und somit Anreize für ökologische Landwirtschaft schafft und der andererseits Konsumenten mit Bioprodukten versorgt. Oder aber das kleine Autohaus um die Ecke, das für Senioren oder Alleinstehende einen Hol- und Bring-Service anbietet, damit diese ihre Autos nicht selbst zur Werkstatt bringen müssen.