Hochschulen in Deutschland setzen im gesamten Studienverlauf vermehrt auf digitale Anwendungen. Dazu zählen etwa videobasierte Lehrformate, die Kurzfilme mit studentischen Foren im Internet kombinieren, wie zum Thema Prokrastination oder zur Vorbereitung auf die universitäre Mathematik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Zudem können Lern- und Lernerdaten dabei helfen, solche Angebote gezielt auf die Nutzungsgewohnheiten der einzelnen Lernenden anzupassen und so den Lernprozess zu unterstützen. Aspekte wie diese untersuchen das KIT und die Universität Stuttgart derzeit in der Studie „Mediale Hochschulperspektiven 2020 in Baden-Württemberg“.
„Die Universitäten befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen seriöser, solider Lehre im Sinne tradierter Kulturen und dem für neue Fragen, Methoden, Entwicklungen und Erkenntnisse offenen wissenschaftlichen Studium“, sagt Professor Gerd Gidion, Leiter des Zentrums für Mediales Lernen (ZML) und Leiter der Studie „Mediale Hochschulperspektiven 2020“. Universitäre Organisationskultur müsse das Spektrum der Lehr-Lern-Konzepte ermöglichen – und damit auch die intensive Erprobung und Anwendung digitaler Medien in der akademischen Bildung. „Die Nutzungsgewohnheiten neuer Medien wandeln sich dynamisch, zudem ist die von den Universitäten getriebene Innovationsgeschwindigkeit hoch – die Digitalisierung in der akademischen Bildung ist damit ein Thema von erheblicher Relevanz“, so Gidion. Gesteigert werde ihre Bedeutung zudem durch wissenschaftliche Entwicklungen sowie die globalen Märkte der akademischen Bildung.
Wie kann eine zukunftsbewusste internetbasierte Hochschullehre entwickelt und gestaltet werden? Mit welcher Strategie lassen sich Einzelarrangements und -prozesse in IT-Systemen und Internetanwendungen für die akademische Lehre fördern? Und: Welche infrastrukturellen Innovationen und Investitionen sind für die Etablierung von internetbasierten Lehr-/Lernarrangements notwendig? Unter anderem mit diesen Fragen beschäftigt sich die Studie „Mediale Hochschulperspektiven 2020 in Baden-Württemberg“. Im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg untersucht das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gemeinsam mit der Universität Stuttgart aktuell relevante Themen medialen Lehrens und Lernens im Umfeld akademischer Bildung. Eines der Ziele ist es, die Situation einer Hochschule mit ihrer Ausgangslage, den Entwicklungsperspektiven und Entscheidungsbedarfen als Muster darzustellen, um für die vergleichbare Darstellung unterschiedlicher Hochschulen nutzbar zu sein und nachfolgend die Situation im Land ableiten zu können. Die auf ein Jahr angelegte Untersuchung leistet einen Beitrag zur adäquaten Gestaltung der medialen Hochschullehre in Baden-Württemberg und ist Teil der Allianz „Forward- IT“, die sich für die internationale Positionierung Baden-Württembergs als Top-Standort für Informations- und Kommunikationstechnologie einsetzt.
„Die dynamische und vielfältige Entwicklung neuer digitaler Medien in den letzten Jahren, etwa hinsichtlich der Verbreitung von Tablets und Smartphones, gibt einen deutlichen Hinweis auf die zu erwartenden Entwicklungen der kommenden Jahre“, sagt Gidion. Die bis dato erfolgte Untersuchung zeige dabei Unterschiede in der Dringlichkeit und Voraussagesicherheit der Trends. „Integrierte IT-Systeme wie E-Learning-Anwendungen werden sich weiter etablieren. Zu den weiteren Entwicklungen werden die standardmäßige Einbindung von Blended-Learning-Elementen in konventionelle Lehrveranstaltungen zählen, ebenso die Ausweitung internetbasierter Lehrveranstaltungen auf offenen, globalen Hochschulmärkten“, so der Wissenschaftler.
Zudem ermittelte das Team deutliche Trends, deren Entwicklung zwar bereits weitgehend absehbar ist, deren Gestaltung durch die jeweilige Universität jedoch noch aussteht. Dies betrifft zum Beispiel das Verwirklichen forschungsorientierter Lehre in realen und virtuellen Laboren, das Nutzen digitaler persönlicher Studienverlaufsprofile und die Einrichtung von Anwendungen und Umgebungen, die Studierendengruppen in eigener Regie nutzen können.
Darüber hinaus nennen die Wissenschaftler spekulativ angenommene, aber sehr wahrscheinliche Entwicklungen, die sich in den kommenden circa zehn Jahren durchsetzen werden. Die zielgerichtete Nutzung von Daten der Lernenden für eine spezifische Unterstützung spielt dabei eine besondere Rolle: Die Analyse der digital erfassten Lernaktivitäten lässt weitreichende Rückschlüsse auf Lernbarrieren oder erfolgversprechende Lernpfade zu. Die Auswertung großer Datenbestände über Lernaktivitäten ermöglicht eine lernwissenschaftlich differenzierende Diagnose und auf dieser Grundlage eine Anpassung bzw. Weiterentwicklung didaktischer Maßnahmen. Ebenso relevant erscheinen die automatische Spracherfassung und Übersetzung in Echtzeit und die anerkannte Nutzung automatisch erzeugter Dokumente im Zusammenhang der wissenschaftlichen Arbeit und des Studiums.