Wo Hierarchien verschwinden, Arbeitszeiten individualisiert werden und Arbeitsorte bis hin zur Strandbar variieren, funktioniert das klassische Führungsmodell von Führen und Folgen nicht mehr. Agile Unternehmen und agil arbeitende Projekt-Teams brauchen eine andere Führung als die statischen Strukturen, die über Jahrzehnte hinweg die Wirklichkeit unzähliger Chefs und Mitarbeiter geprägt haben. Wo anstelle der Hierarchie echtes und wirkungsvolles Teamwork tritt, müssen Führungskräfte ein neues Selbstverständnis entwickeln. Dazu gehört zuallererst, sich selbst zurücknehmen zu können und das Team in den Vordergrund zu stellen. Sonst wird selbstorganisiertes Arbeiten nicht gelingen. Neben neuen agilen Organisationsformen braucht es daher vor allem eine Weiterentwicklung auf der persönlichen Ebene – bei den Führungskräften und den Mitarbeitern. Denn agiles Arbeiten bedeutet vor allem, sich selbst führen zu können und das eigene Ego zu kontrollieren.
„Nur wer sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse genau kennt, kann sich auch selbst führen. Und nur wer sich selbst gut führen kann, kann in agilen Strukturen einen wertvollen Beitrag leisten und erfolgreich sein “, erklärt Joachim Simon. Der Leadership-Experte aus Braunschweig entwickelt seit vielen Jahren mit Führungskräften deren „Leadership-ID“, die ganz persönliche Handschrift eines Vorgesetzten. Wichtig dabei sind Themen wie Werte und wertebasiertes Führen, aber auch die Kontrolle des eigenen Egos. Das nämlich, so der Führungskräfteentwickler und internationale Spitzentrainer, müsse manchmal gezügelt werden. „Es geht um den Einklang des ‚wahren Ich‘, der Führungsaufgabe und des Egos, das glaubt, alles kontrollieren zu müssen und alles besser zu wissen“, so seine Erklärung. Agile Strukturen brauchten Führungskräfte, die im wahrsten Sinne des Wortes die Kraft besäßen, anderen zu vertrauen. „Wir können nicht einerseits eine Vertrauenskultur etablieren und zugleich alles kontrollieren wollen“, macht Joachim Simon klar. Wer Agilität wolle, müsse die Persönlichkeiten dafür aufbauen und zulassen, dass diese in einem definierten Rahmen frei agieren.
Die neue Aufgabe von Führungskräften sei es daher vor allem, Menschen zu entwickeln und zu entfalten. Das aber könne nur eine Führungskraft, die mit sich selbst im Reinen sei und die Führungsposition nicht zur Befriedigung des eigenen Egos missbrauche. „Wer in agilen Strukturen erfolgreich sein möchte, braucht einen sehr hohen Reifegrad“, macht Simon klar. Der alte Chef, der alles besser weiß und alle Fäden in der Hand halten will, habe ausgedient. Es gehe darum, Sinn zu vermitteln und dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit Kompetenz, Bedeutsamkeit, Selbstbestimmung und Einflussmöglichkeiten erfahren und erleben.
Führungskräfte müssten ihre Mitarbeiter so entwickeln, dass diese sich selbst führen lernen und in ihre Persönlichkeit investieren. Auch die Mitarbeiter müssten „Egoleading“ und Selbstführung betreiben. Die Verantwortung des Einzelnen in agilen und dezentralen Strukturen sei erheblich größer als in den starren Hierarchieordnungen der Vergangenheit. Denn den Chef, der alles kontrolliert und der es in der Not schon richtet, gebe es nicht mehr. „Die Persönlichkeit der Führungskräfte entscheidet über das Gelingen oder das Scheitern der neuen Formen der Zusammenarbeit. Bislang scheitern leider zu viele Unternehmen an den Egos ihrer Führungskräfte“, so Joachim Simon abschließend.