Requirements Engineerings (RE) hat merkbar an Bedeutung gewonnen. Insbesondere in der klassischen IT-/Software-Branche, im Fahrzeugbau sowie im Banken- und Versicherungsumfeld ist das Interesse an einer professionellen Anforderungserhebung, -analyse, -spezifikation und -bewertung groß. Das sind die Kernergebnisse der Studie „RE-Kompass“, die das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE, Kaiserslautern in Zusammenarbeit mit der HOOD GmbH, Oberhaching, erstellt hat. An der Umfrage nahmen insgesamt 303 Personen aus verschiedensten Branchen teil. 218 Teilnehmer haben den Fragenkatalog vollständig beantwortet. „Mit einigen Ergebnissen, wie etwa der immer noch dominierenden Verwendung von Office-Produkten als RE-Werkzeug, haben wir gerechnet. Andere Ergebnisse haben uns überrascht. Insbesondere die Angabe vieler Befragter, dass Anforderungsspezifikationen heute zumeist parallel zur Entwicklung oder Beschaffung des eigentlichen Produktes und nicht mehr isoliert vorab entwickelt werden, hat uns erstaunt“, so Dr. Sebastian Adam, Projektleiter am Fraunhofer IESE. Auch die Angabe, dass selbst in agilen Organisationen immer noch häufig explizite Anforderungsdokumente geschrieben werden und nicht nur mit einem Backlog gearbeitet wird, eröffnen Adam und seinem Team völlig neue Sichtweisen auf den Einsatz von RE in der Praxis.
Im RE spielt die Erhebung funktionaler Anforderungen (Welche Funktionalitäten soll ein Produkt/System erfüllen? Welche Daten sind hierfür relevant? Welches Verhalten wird erwartet?) eine maßgebliche Rolle. Dies sei, so Adam, aber in den meisten Unternehmen inzwischen gut bis sehr gut etabliert. Entscheidend für die erfolgreiche Anwendung eines Produkts/Systems sind neben diesen funktionalen Anforderungen vor allem auch qualitätsrelevante Aspekte. Zu diesen so genannten nicht-funktionalen Anforderungen gehören beispielsweise die Reaktionszeit des Systems auf gewisse Eingaben, die Benutzerfreundlichkeit (Usability) oder auch Sicherheitsaspekte. Nach Ansicht der Studienteilnehmer besteht hierbei noch erheblicher Verbesserungsspielraum. Gleiches gilt für den Bereich der systematischen Verwaltung von Änderungen (Anforderungsmanagement) sowie in der Qualitätssicherung von Anforderungen.
Die größte Herausforderung der Industrie im Bereich Requirements Engineering besteht jedoch darin, den Einsatz von RE im eigenen Haus zu motivieren und RE nachhaltig in den Organisationen zu verankern.
Auch das Thema Qualifizierung der Mitarbeiter durch IREB-Schulungen und -Zertifizierungen wurde in der Studie beleuchtet. Hier driften die Meinungen auseinander. Der Anteil der Organisationen, für die IREB interessant ist oder in Zukunft interessant sein könnte, ist nahezu gleich groß wie der Anteil derer, für die IREB von geringem oder keinem Interesse ist. Auch was den Nutzen und die Anwendbarkeit der vermittelten Inhalte im Alltagsgeschäft betrifft, gibt es unterschiedliche Meinungen.
Final geht es in der Studie um den Punkt: Was ist der tatsächliche Nutzen von RE? Die Studienteilnehmer bestätigen primär Verbesserungen bei der Produktqualität und in der Kommunikation, sowohl mit externen Stakeholdern wie z.B. Kunden als auch innerhalb der eigenen Organisation. Dennoch überrascht: Auch wenn RE häufig über Kostenexplosionen und Zeitüberschreitungen motiviert wird, werden Erfolge wie geringere Entwicklungskosten, schnellere Markteinführung und Kundenzufriedenheit bei weniger als einem Drittel der befragten Organisationen wahrgenommen. Diese Beobachtung führt Adam zu dem Fazit: „Der monetäre Nutzen und die Profitabilität von RE müssen noch stärker erforscht und belastbarer dargelegt werden.“