Viele deutsche Unternehmen setzen im Kampf um Fachkräfte zunehmend auf die Möglichkeit, ihre Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten zu lassen. In den USA hingegen geht man nach Jahren der örtlichen Flexibilität wieder den umgekehrten Weg: große Konzerne haben ihre Arbeitskräfte in die Unternehmen zurückgeholt. Viele Unternehmen beklagen sinkende Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter, die “Remote Work”-Modelle nutzen. Das Arbeiten im Team und der Aufbau einer sozialen Bindung zum Unternehmen hätten heute wieder mehr Relevanz, als noch vor zehn oder 20 Jahren, sagt Dr. Ole Mensching, CEO der Personalberatung CareerTeam. Er kennt die entscheidenden Nachteile der Arbeit von zu Hause und weiß, wie technologische Lösungen helfen können, Home Office und Teamarbeit in Einklang zu bringen.
Das Thema “Home Office” ist in aller Munde: in Berufen und Branchen in denen viel computergestützt gearbeitet wird setzen immer mehr Firmen in Deutschland auf die Möglichkeit, ihren Mitarbeitern Optionen für die Arbeit von zu Hause oder anderswo anzubieten. Gut die Hälfte aller Firmen geht von einer Zunahme der Heimarbeit aus. Je nach Befragung geben außerdem etwa 25 bis 35 Prozent der Arbeitnehmer an, dass ihnen Home Office-Optionen wichtig sind. Unternehmen versprechen sich davon besonders Vorteile im Kampf um rare Fachkräfte, beispielsweise in IT-Berufen. Arbeitnehmer selbst schätzen häufig das Wegfallen lästiger Pendelwege, höhere Flexibilität und ein entspannteres Arbeitsumfeld. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten also?
Das Home Office als Produktivitäts-Killer?
Nicht ganz: Für viele Personalabteilungen und Manager ist die Option auf flexible Arbeitsorte eher Mittel zum Zweck. Dem (vermeintlichen) Vorteil in der Recruiting-Politik stehen einige Nachteile gegenüber, etwa eine drohende Ungleichbehandlung von Mitarbeitern oder eine negative Leistungsentwicklung. “Um Kreativität und Produktivität aufrecht zu erhalten, ist es häufig hilfreich, sich regelmäßig mit Vorgesetzten und Kollegen persönlich auszutauschen – in Meetings, aber auch spontan und im inoffiziellen Rahmen, etwa bei einem Kaffee oder über den oft wichtigen Flurfunk”, so Dr. Ole Mensching. Auch die Motivation kann durch fehlenden sozialen Druck aus dem Kollegenkreis leiden, was in der Folge ebenso zu sinkenden Leistungen führt. Dies ist einer von mehreren Gründen, warum IBM und zahlreiche andere namhafte US-Konzerne bereits dabei sind, Home Office-Optionen sukzessive zurückzufahren. Galten die USA bis vor kurzem noch als Mekka des “Remote Working”, verzeichneten viele Firmen in der Vergangenheit bedenkliche Einbußen bei der Produktivität, wenn sie vielen Mitarbeitern erlaubten, von daheim zu arbeiten.
Ausblick: Wie Technologie für mehr Flexibilität sorgen kann
Doch stehen sich Home Office und produktive Teamarbeit tatsächlich so diametral entgegen? Dr. Ole Mensching beschwichtigt und blickt voraus: “Der technologische Fortschritt wird in den kommenden Jahren für eine wesentlich bessere Vereinbarkeit der beiden Modelle sorgen.” Dabei müsse man gar nicht allzu weit in die Zukunft schauen: so würden bereits heute bestehende Telekommunikationsmöglichkeiten wie Videokonferenzen immer weiter verfeinert. Für zahlreiche weitere Lösungen seien die Grundlagen bereits entwickelt oder würden an anderer Stelle bereits eingesetzt. “Ich bin fest davon überzeugt, dass Virtual Reality-Anwendungen im Meeting der Zukunft einen festen Platz einnehmen werden”, so Mensching weiter. Mit Hilfe diverser Videokameras könnte der nicht im Unternehmen befindliche Mitarbeiter dank VR-Brille in Echtzeit am Meeting teilnehmen. Im Gegenzug hätten die Kollegen die Möglichkeit, ihn etwa dank Hologramm-Technologien vor sich zu sehen – hier werden marktreife Anwendungen für die Breite allerdings wohl erst in einigen Jahren bereitstehen.
Gerade in kreativen Berufen geht es häufig jedoch nicht nur um verbalen Austausch, sondern auch um das gemeinsame Erarbeiten von Ideen, etwa am Whiteboard. Hier wäre es grundsätzlich ein Leichtes, digitale Screen Devices im Home Office und im Meeting miteinander zu vernetzen. Die auf das Tablet des zu Hause arbeitenden Mitarbeiter gebannten Entwürfe würden direkt auf dem Screen im Meetingraum erscheinen – und umgekehrt. Eine weitere Lösung für direkte Interaktion räumlich voneinander getrennter Akteure wären die etwa aus der Chirurgie bekannten “Remote Robotic Hands”. Mittels eines Roboterhandschuhs zeichnet der Mitarbeiter auf der Zugfahrt zum nächsten Kundentermin seine Idee in die Luft – seinem Team wird das entsprechende optische Gebilde direkt auf dem Screen im Meetingraum dargestellt.
Grundlagen bereits fest etabliert – doch Technik kann nur Hilfsmittel sein
Was sich hier nun vereinfacht dargestellt wie eine entfernte, utopische Vision liest, ist mitnichten wilde Zukunftsmusik. “All die genannten Technologien existieren bereits und werden in unterschiedlichsten Branchen eingesetzt”, weiß Dr. Mensching. So hat Facebook mit seiner Tochter-Firma Oculus VR kürzlich “Oculus Rift” herausgebracht – die erste markttaugliche Virtual Reality-Brille. Die ersten verstorbenen Pop- und Rockstars werden mit Hologramm-Technik auf der Bühne wieder zum Leben erweckt und die Verbindung von Tablet Devices bildet die Basis für diverse online-gestützte Multiplayer-Spiele. “Selbst wenn es stellenweise noch einiger Optimierung und Entwicklung bedarf, sind die technologischen Grundlagen für die Implementierung solcher Lösungen nicht das Problem. Entscheidend ist die Aufgeschlossenheit und Kompetenz in Management und Belegschaft gegenüber diesen noch immer recht neuen Kommunikationsmitteln”, mahnt Ole Mensching. Hier bestehe noch viel Nachholbedarf, wie auch aktuelle Ergebnisse aus der von CareerTeam durchgeführten CDO-Studie 2018 zeigten.
Alle Optimierungsmöglichkeiten durch technologische Lösungen werden diese allerdings auch weiterhin nur ein Hilfsmittel sein, um das gemeinsame Arbeiten und Erarbeiten zu vereinfachen und verschiedene Arbeitsmodelle in Einklang zu bringen. Teamspirit und soziale Bindungen lassen sich mit “künstlicher Nähe” nach wie vor nur schwer erzeugen. “Jedes Unternehmen wird sich individuell fragen müssen, welche Hilfsmittel ihm tatsächlich weiterhelfen und wie es diese optimal nutzen kann.” Für einen lohnenden und sinnvollen Einsatz müssten die Unternehmen zudem die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Die Technologisierung helfe am Ende nicht, wenn das Meeting schlecht organisiert ist – oder das WLAN langsam läuft.