2004/8 | Fachbeitrag | Wissensmanagement-Einführung

Orientierung im Wissensdschungel: Schnelle Hilfe bei der Positionsbestimmung

von Prof. Dr. Frank Ohle und Dr. Sascha Schuth

 

Von Prof. Dr. Frank Ohle und

Dr. Sascha Schuth

 

Inhaltsübersicht:

 

Mehr als 40 Prozent des Unternehmenswissens steckt in

den Köpfen der Mitarbeiter – und ist damit nicht nur bei Kündigung

oder Pensionierung unwiederbringlich verloren, sondern steht auch im Tagesgeschäft

nur in Rufweite zur Verfügung. In der allgemeinen Zugänglichkeit zum

entscheidenden Wissen schlummern also nach wie vor enorme Reserven für

die Unternehmensperformance. Allerdings kann Wissensmanagement nur dann wirkungsvoll

sein, wenn es zielgerichtet eingesetzt wird. Deshalb muss am Anfang die nüchterne

Analyse des unternehmensspezifischen Handlungsbedarfs stehen. Erst dann ist

Wissensmanagement mehr als bloße Dokumentation von Informationen in neuen

IT-Systemen, sondern wertsteigerndes Kompetenz- und Performancemanagement.

 

 

Wissen ist im Unternehmen an vielen Stellen vorhanden. In allgemein zugänglichen

IT-Datenbanken, die häufig mit viel Aufwand gepflegt werden, ruht allerdings

der geringste Teil: nur etwa zwölf Prozent. Etwas mehr, nämlich 20

Prozent, befindet sich in elektronischen Dokumenten, meist in kaum aufbereiteter

Form. Auch im Zeitalter der elektronischen Kommunikation ist noch immer fast

ein Drittel des unternehmenseigenen Wissens in Papierform vorhanden und gelangt

damit kaum über die Grenzen einer Abteilung oder eines Standortes hinaus.

Der größte Teil (42 Prozent) ist nicht aufbereitet und nur situativ

vom jeweiligen Know-how-Träger abrufbar. So die Ergebnisse einer von der

Unternehmensberatung Management Engineers und dem Softwarehersteller Comma Soft

in Auftrag gegebenen Studie. Das heißt: Gerade in vielen global tätigen

Unternehmen mit mehreren dezentralen Standorten gibt es nach wie vor große

Produktivitätspotenziale. Und: Sie könnten leicht gehoben werden,

stünde das für die wichtigsten Prozesse erforderliche Wissen allgemein

und aktuell abrufbar zur Verfügung.

 

 

 

Der Einstieg in ein systematisches Wissensmanagement ist für die Unternehmen

zunächst mit finanziellem Aufwand und Risiken bei der Implementierung verbunden:

Von der Einführung geeigneter IT-Applikationen über die Einführung

eines Kompetenz- und Performancemanagement-Verantwortlichen bis zu Folgekosten

wie Boni für Mitarbeiter, die sich besonders verdient machen, wenn es darum

geht, wichtiges Wissen aufzubereiten, zu aktualisieren und bereitzustellen,

sind Investitionen erforderlich. Sie können sich allerdings schon nach

ein bis zwei Jahren amortisieren, wenn wirklich nur solche Tools zum Einsatz

kommen, die dem Unternehmen nachhaltig Nutzen bringen. Der Einführung von

Wissensmanagement sollte daher ein Performance-Check vorausgehen. Er hilft nicht

nur bei der Identifikation und Bewertung der für das Unternehmen wichtigen

Wissensbasis, sondern zeigt auch schnell und treffsicher, was wo getan werden

muss.

 

Bestandsaufnahme: Welches Wissen ist wichtig?

 

Eine Voraussetzung für die bessere Nutzung des Unternehmenswissens ist,

sich zunächst Klarheit darüber zu verschaffen, welches Know-how relevant

ist. Ebenso wichtig sind die Prozesse, mit denen das Wissen verfügbar gemacht

wird. Entscheidend dafür, dass die Wissensinhalte und -prozesse auch tatsächlich

genutzt werden, ist eine wissensorientierte Kultur im Unternehmen. Erst wenn

diese Fragen geklärt sind, sollte man über die Tools nachdenken, die

den Wissensmanagement-Prozess unterstützen sollen.

 

 

 

Die entscheidenden Fragen vor der Einführung entsprechender Tools lauten

also:

 

  • Inhalte:
    Welches Wissen wird für den Unternehmenserfolg in Zukunft relevant sein, in welchem Umfang und in welcher Qualität ist es bereits vorhanden und ist es auch in ausreichender Tiefe vorhanden, um für die Kernkompetenzen des Unternehmens effektiv eingesetzt zu werden? Wo befindet sich dieses Wissen?
  • Prozesse:
    Wie wird das Wissen gespeichert und allgemein nutzbar gemacht und wie ist dieser Prozess organisiert?
  • Kultur:
    Wie wird das Geben und Nehmen von Wissen gefördert und wie ist der Wissensaustausch in der Führung und Organisation des Unternehmens verankert?
  • Tools:
    Welche Anforderungen stellen sich an die unterstützenden IT-Systeme und welche Tools erfüllen diese Anforderungen am besten?

 

Die Antworten darauf können idealerweise in Interviews und Workshops mit

der Geschäftsführung und ersten Führungsebene bzw. mit den Vertretern

aller involvierten Bereiche (d.h. möglichst nah am Aufbewahrungsort des

Wissens) erarbeitet werden.

 

Wissenslandkarten zeigen Defizite auf

 

Das für das jeweilige Unternehmen relevante Wissen und die Art und Weise

des Umgangs damit wird sodann nach einem standardisierten Schema bewertet und

einer Leistungsklasse zugeordnet:

 

  • Auf der untersten Stufe (Leistungsklasse „Operational“) rangieren Unternehmen, in denen die Kernkompetenzen und Schlüsselpersonen zwar bekannt sind, aber noch kein systematischer Know-how-Transfer stattfindet und das relevante Wissen nicht systematisch gespeichert wird.
  • Auf der nächsthöheren Stufe (Leistungsklasse „Standard“) wurden bereits entsprechende IT-Systeme mit Grundfunktionalitäten eingeführt, aber das relevante Wissen wird nur lokal gespeichert, steht also nicht unternehmensweit zur Verfügung und auch die jeweiligen Ansprechpartner für den Abruf des Wissens sind nicht fach- bzw. bereichsübergreifend bekannt.
  • In Unternehmen, die Wissensmanagement aktiv betreiben (Leistungsklasse „Professional“) ist sichergestellt, dass relevantes Wissen aus Projekten und zu Fachthemen kontinuierlich eingepflegt und personenunabhängig verfügbar ist. Die entsprechenden Tools und Prozesse sind unternehmensweit harmonisiert.
  • „Best-in-Class“ sind Unternehmen, die Wissensmanagement als Kernprozess in die Entwicklung ihrer Unternehmensstrategie integriert haben und in denen das relevante Wissen unternehmensweit unter anderem über eine einheitliche IT-Plattform zugänglich ist. Best-in-Class-Unternehmen bewerten den Nutzen des Wissensmanagements und geben Anreize für dessen Ausbau, Pflege und Nutzung.

Jährliche Positionsbestimmung

 

Aus der Positionierung des Unternehmens in Form einer solchen Wissenslandkarte

wird schnell deutlich, wo es dringenden Handlungsbedarf gibt. Die Bewertung

der einzelnen Indikatoren erlaubt außerdem Rückschlüsse auf

das Potenzial jeder einzelnen Maßnahme – sowohl kurzfristig als

auch über einen längeren Betrachtungszeitraum hinweg. Am Ende dieses

innerbetrieblichen Wissens-TÜVs steht die Definition konkreter Maßnahmenpakete.

Um das etablierte Wissensmanagement kontinuierlich weiterzuentwickeln, sollte

der Performance-Check, der erfahrungsgemäß rund vier Wochen in Anspruch

nimmt, möglichst einmal pro Jahr wiederholt werden.

 

 

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