2004/4 | Fachbeitrag | Business Intelligence

Business Intelligence versus Wissensmanagement - wem gehört die Zukunft?

von Lars Ludwig

Von Lars Ludwig

Inhaltsübersicht:

 

Wer sich heute auf dem Pfad der Informationsverarbeitung

bewegt, der blickt zumeist nur zu einer Seite: entweder zur Business Intelligence,

also der Verarbeitung strukturierter Daten, oder aber zur Verarbeitung und Vervielfachung

schlecht strukturierter Daten, sprich: in die Niederungen des Dokumentenmanagements,

welches oft und doch stets zu unrecht mit Wissensmanagement gleichgesetzt wird.

Beide Welten scheinen voneinander abgeschlossen.

Während Business Intelligence auf Basis des Data

Warehousing und seiner besonderen Datenmodelle blüht und gedeiht, welkt

das Wissensmanagement in den Unternehmen dahin. Bestenfalls frischt man altbekannte

Dokumentenmanagement-Technologien mit Text Mining auf. Diese Mühe ist jedoch

vergebens, denn der Dokumentenflut ist auch so nicht Herr zu werden. Das Business

Intelligence wiederum schmückt sich mit Data Mining und Informationsportalen

und nennt einen schwindelerregenden Return on Investment dazu.

 

 

Nun sind aber beide Ansätze zwei Seiten einer Medaille. Zeichnen sich

rasche, gleichsam XML-Fortschritte bei der Strukturierung vormals unstrukturierter

Informationen im Wissensmanagement ab, so streckt der Krake Data Warehouse seine

Tentakeln immer weiter in Richtung unstrukturierter Informationen aus.

 

 

Wer frisst hier wen?

 

Bei dieser Frage kann eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zu dem verfrühten

Schluss verleiten: Die fest in den Unternehmen und bald auch im Enterprise Resource

Planning (ERP) etablierten Business-Intelligence-Anbieter werden schon dafür

Sorge tragen, dass das Wissensmanagement im großen, allumfassenden Enterprise

Data Warehouse aufgehe. Technologisch kann man sich die Bewegung andersherum

auch nicht recht ausmalen. Anbieter und Unternehmer übersehen hier allerdings,

dass das ganze Data Warehousing und damit auch manch ein Business-Intelligence-Anbieter

samt seiner Kunden auf tönernen Füßen stehen. Denn weshalb wurde

das Data Warehouse einst erfunden? Weil operative Systeme nicht zur Datenanalyse

taugen, denn:

 

  • In den Unternehmen gibt es meist mehrere verschiedene operative Systeme, die Daten aus verschiedenen Quellen müssen aber miteinander zusammenhängend gepflegt werden.
  • Die Daten aus operativen Systemen müssen mit weiteren Informationen angereichert werden, um das Material analyse- und informationstauglich zu machen.
  • Die Performanz des operativen Systems bzw. seines Datenspeichers würde unter direkten Datenzugriffen eines analytischen Systems leiden, ganz davon abgesehen, dass auch das Datenmodell und der Datenumfang dazu nicht taugen.

 

Das Data Warehouse war hier willkommene Ausflucht, denn auf die Zeit davor

blickt man nur ungern zurück.

 

Der Preis für’s Data Warehousing

 

Der Preis dafür heißt ETL (Extraction Transformation Loading), ein

Kostentreiber par excellence! Er versteckt sich vorzüglich hinter schönen

Oberflächen und abgeschlossenen Projekten. Sonderbarerweise erblicken viele

im ETL eine ewige Notwendigkeit. Sein größter Verbündeter heißt

Wandel: Wandel in den Datenquellen, Wandel in der Bedeutung der Daten, Software-Wandel,

Wandel in den Kennzahlen, Wandel in den Anforderungen der Nutzer. Das Data Warehouse

hat aber so seine Probleme mit dem Wandel und am Ende zahlt jeder einen viel

zu hohen Preis.

 

 

 

Übrigens ist die Integration des Data Warhouse ins ERP-System à

la SAP Business Warehouse zweifellos eine großartige Erwiderung auf diese

Wandlungsunfähigkeit: die Abberufung des Wandels durch Kopplung zweier

gewissermaßen wandlungsunfähiger Systeme – eine geschickte

Lösung freilich nur in Zeiten geringen Wandels. Jüngst war denn auch

von SAP zu hören, dass man dort in Zukunft wohl auf komponentenbasierte

Systeme umstellen werde, um technologisch nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Ein Schelm, wer das für Wandel hält und glaubt, das habe Einfluss

auf das Data Warehouse.

 

Bringt die Zukunft Wandel oder Bestand?

 

 

Gelten die Voraussetzungen des Data Warehousing noch? Und wenn ja, haben sie

auch den vor dem Hintergrund der getätigten Investitionen wünschenswerten

Bestand? Um es vorwegzunehmen: Sie gelten zwar im Augenblick noch, aber Bestand

haben werden sie deshalb nicht! Betrachten wir hier nochmals die Schwächen

auf operativen Datenbeständen fußender Analysesysteme:

Mehrere Systeme, aber zusammenhängende Daten:

 

  • Das Data Warehouse konstruiert den Zusammenhang, indem es die Daten verknüpft. Was geschähe aber, wenn dies das Wissensmanagement täte, mit Hilfe von Ontologien, d.h. maschinenlesbaren semantischen Systemen von Metadaten? Oder was geschähe, wenn operative Systeme die Daten mit Hilfe semantischer Aufzeichnungen zu maschinenlesbaren, anwendungsungebundenen Informationen umwandelten? Bräuchte es dann noch der Zuarbeit eines Data Warehouse?
  • Anreicherung der Daten:
    Was geschähe, wenn die Daten schon im operativen System über Ontologien à la Semantic Web zu brauchbaren Informationen verarbeitet würden? Was stünde einer unmittelbaren Informationsanreicherung und Informationsvernetzung im Wege? Nun, vermutlich zuletzt das Data Warehouse selbst.
  • Performanzbeeinträchtigender Zugriff auf den operativen Datenbestand:
    Hat man sich Daten in Zukunft noch eng an die Anwendungen gekoppelt vorzustellen? Was geschähe, wenn die Anwendungen selbst zu Datenlieferanten und Datenverbrauchern in Verbindung mit einer Knowledge Base würden? Einer Datenbank, die semantisch wäre, weil sie nicht Daten, sondern sinnvolle und zu verschiedenen Zwecken brauchbare, sprachlich vernetzte Informationen enthielte. (Wenn wir von operativen Datenbeständen sprechen, hängt das nicht davon ab, dass sie von operativen Systemen in Beschlag genommen werden, sondern davon, dass sie von diesen verstanden und verständlich gemacht werden.)

 

Die aufgeworfenen Fragen rühren an die Grundfesten des Data Warehousing.

Es scheint, als ob seine Voraussetzungen entfallen. Damit wird das Business

Intelligence respektive Data Warehouse zu einem technologischen Relikt werden.

 

 

Übrigens bedeutet eine solche Entwicklung auch das Ende einer weiteren

Skurrilität unserer Tage: jener Tools zur anwendungsübergreifenden

Suche, der Meta-Suchmaschinen, die man als Krönung des Dokumentenmanagements

verkauft sowie dessen vermeintlich innovative Verbindung mit Informationsdatenbanken,

die sich mit der Anzahl ihrer Anwendungsschnittstellen brüstet. Solche

Anwendungen bekämpfen nur die Symptome einer Krankheit, welche in proprietären,

semantisch uneinheitlichen und unvollständigen Datenformaten besteht, nicht

aber die Krankheit selbst. Übrigens darf auch das Data Mining als Reaktion

auf das beschriebene Ungenügen unserer Datenverarbeitung gesehen werden:

keine Daten, kein Data Mining. An seine Stelle wird ein Information Mining treten,

das viele neue Fragen und in seinem Gefolge auch neue Techniken aufwerfen wird.

 

 

 

 

Ob Text Mining eine Zukunft hat, hängt wesentlich davon ab, inwieweit

es gelingen wird, endlich vom Dokumentenparadigma abzurücken und semantikreichere

Alternativen zur Dokumentenverarbeitung bereitzustellen. Das ist ein nicht geringer,

aber notwendiger erzieherischer Auftrag.

 

 

Fassen wir zusammen: Die Grundvoraussetzungen des Data Warehousing könnten

und werden über kurz oder lang durch ein ontologiegestütztes Wissensmanagement

erschüttert werden. Denn Wissensmanagement, verstanden als das Management

komplex vernetzter, selbstbeschreibender, bedeutsamer, von Ontologie-Sprachen

geformter Information, ist dem Metadaten-Management eines Data Warehouse dermaßen

überlegen, dass dieses bald der Vergangenheit angehören wird. Sprechen

wir es noch deutlicher aus: Das Data Warehouse, auf dem die Business Intelligence

von heute fußt und weiter auftürmt, ist der skizzierten Informationsverarbeitung,

die diesen Begriff übrigens erst verdienen würde, hoffnungslos unterlegen.

 

 

Wie muss man sich den Fortgang vorstellen?

 

Monolithische Anwendungen werden dank Webservices in Komponenten zerschlagen

werden. Daten werden semantisch und strukturiert zu Informationen angereichert

werden – gleichgültig, ob ein Mensch, ein künstlich intelligenter

Agent oder eine operative Anwendung der Abnehmer oder Lieferant ist. Daten werden

mit einem semantischen, ontologiegestützten Metadatennetz bestenfalls bereichsweise,

zumindest aber entlang der Wertschöpfungskette zusammengehalten werden.

Auf diese Weise wandert die Anwendung teilweise in die Daten, weil diese mit

Regeln und Operationen gekoppelt werden können, die eine Anwendung ausführen.

Netzwerkartige Daten lassen sich so flexibel und automatisiert zu im Data Warehousing

genutzten hierarchischen Metadaten (Dimensionen) für Aggregationen mappen

und können dann ohne weiteres die Funktionalität eines Data Warehouse

nachbilden – ohne ETL-Schlacht, ohne Furcht vor Wandel, ohne umständliche

Dimensionenpflege. Und schließlich werden eigenständige Aggregationsmechanismen

erfunden, abgestimmt auf ein performant abrufbares Format für vernetzte

Information in einer semantischen Datenbank, versehen mit intelligenten Benutzerschnittstellen.

Denn auch OLAP ist genau besehen eine ungenügende, weil semantisch unvollständige

und auch nicht zu vervollständigende Datensichtung.

 

 

 

Zwischenstufen sind heute bereits leicht zu erreichen. Semantische, ontologiebasierte

Informationsnetze lassen sich ohne weiteres als Portal über Data Warehouse

und Dokumentenmanagement spannen und bilden so eine übergeordnete Zugriffsebene

mit bedeutsamen Verweisen auf Daten und Anwendungen. Denn bereits der mangelhaft

strukturierte Zugriff auf Data-Warehouse-Reports in den einfach hierarchisch

strukturierten Menüs der üblichen Management-Informationssysteme ist

ein Usability- und damit Wert-Manko ersten Ranges. Der Autor hat selbst eine

Portal-Lösung namens Artificial Memory vorgelegt, die in die beschriebene

Richtung eines umfassenden semantischen Informationsnetzes und einer semantischen

Datenbank führt.

 

Wer frisst also wen?

 

Sollen die Business-Intelligence-Anbieter ruhig die Wissensmanagement-Anbieter

schlucken, sollen die ERP- und CRM-Anbieter ihrerseits die Business-Intelligence-Anbieter

übernehmen und gar die Datenbank-Anbieter dann die ERP- und CRM-Anbieter.

Denn wenn sie alle die Zeichen der Zeit nicht erkennen und sich nicht in Richtung

einer semantikorientierten Informationsverarbeitung bewegen, werden sie selbst

bald Opfer eines Wandels werden, der Daten als Informationen anwendungs- und

damit anbieterunabhängig werden lässt.

 

 

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