2002/6 | Fachbeitrag | Lernendes Unternehmen
Lernen ist Rudern gegen den Strom
Von Reinhard Schwarz
Inhaltsübersicht:
- Das lernende Unternehmen als unternehmensstrategischer Faktor
- Was Menschen und Organisationen gemeinsam haben
- Das Management steuert Lernprozesse
- Hindernisse unternehmensinterner Lernprozesse
- Lernen kostet
Das Schlagwort des "lernenden Unternehmens"
ist momentan in aller Munde. Ob Manager, Unternehmensberater, Personaltrainer
sie alle betonen, wie überlebenswichtig die Etablierung
einer Lernkultur für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit
von Unternehmen ist.
Doch wie lässt sich diese Erkenntnis
in die Praxis umsetzen? Eine wesentliche Voraussetzung: Lernen muss
als kontinuierlicher Prozess verstanden und bewusst von den Führungskräften
gesteuert werden. Es geht folglich nicht um gelegentliche Weiterbildungsmaßen,
sondern darum, die Mitarbeiter eines Unternehmens zu lebenslangem
Lernen zu motivieren. Das betrifft nicht zuletzt auch die Führungskräfte.
Das lernende Unternehmen als unternehmensstrategischer Faktor
Jedes Unternehmen befindet sich in einem Lernprozess. Mitarbeiter
lernen in Projekten, auf Seminaren und bei der täglichen Arbeit.
Nur selten aber werden wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse ausführlich
dokumentiert und somit für die gesamte Organisation nutzbar
gemacht. Damit dies gelingt, muss der Lernprozess bewusst gesteuert
werden. Schließlich bedeutet Lernen die kontinuierliche Veränderung
und damit das Überwinden der oftmals hartnäckigen Beharrungstendenzen
bestehender Systeme.
Eine Umfrage der Meta Group aus dem Jahr 2000 bestätigt: Ein
gelebtes Lernkonzept gehört auch für Mitarbeiter zu den
zentralen Kriterien einer positiven Unternehmenskultur. Unternehmen
tun daher gut daran, wenn sie Lernen und Wissen strategischen Wert
beimessen.
Ein Unternehmen sollte die Bedeutung von Lernprozessen auch nach
außen deutlich machen. Beispielsweise könnte ein Chief
Learning Officer als Mitglied des Vorstandes den Lernprozess im
Unternehmen nach innen und außen vorantreiben.
Was Menschen und Organisationen gemeinsam haben
Unternehmen funktionieren ähnlich wie der menschliche Organismus.
Sie empfangen und speichern Signale aus der Umwelt und wandeln sie
in Reaktionen um. Auf diese Weise entsteht Erfahrung. Menschen wie
auch Unternehmen gehen unterschiedlich mit solchen Erfahrungen um:
Die einen fühlen sich bedroht und reagieren mit Gegenwehr,
die anderen zeigen die Bereitschaft zur Veränderung.
Noch immer verharren viele Unternehmen in einem so genannten Single
Loop Learning. Das heißt, sie reagieren unmittelbar auf Veränderungen
und passen sich diesen an. In der Praxis sieht das folgendermaßen
aus: Viele Aktionen werden aus Budgeterwägungen und Kennzahlen
abgeleitet. So wird eine positive Bilanz dazu führen, dass
ein Unternehmen an seiner strategischen Ausrichtung festhält.
Bei negativen Zahlen wird genau umgekehrt verfahren und z.B. ein
Kostenreduktionsprogramm gestartet.
Der Mensch bringt aber die Voraussetzung für das wünschenswerte
Double Loop Learning mit: In den Milliarden Verdrahtungen seines
Gehirns werden Neuronen als Kommunikationskanäle und als Speicher
von Informationen genutzt. Somit können gespeicherte Informationen
geordnet und bewertet werden. Kurz: Beim Double Loop Learning wird
der eigene Lernprozess beobachtet und gesteuert.
Auch Unternehmen sind durch persönliche und technische Netzwerke
wie Telefon, Internet und Intranet zu einem solchen Double Loop
Learning in der Lage. Sogar holographische Fähigkeiten des
menschlichen Gehirns sind in Unternehmen durch die Gehirne der Mitarbeiter
sowie vernetzte Computer, die bestimmte Gehirnfunktionen simulieren,
angelegt.
Wofür steht Double Loop Learning im Unternehmen? |
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Siemens Business Services (SBS) treibt das Thema Lernen mit besonderem
Einsatz voran. Das Wissensmanagement-Programm knowledgemotion fördert
durch die Bereitstellung umfangreicher Informations- und Datenbestände
nicht nur die enge Zusammenarbeit der Bereiche Qualitätsmanagement,
Projektmanagement und Methodenentwicklung. Es unterstützt zudem
den Erfahrungsaustausch der Siemens-Mitarbeiter auf der ganzen Welt
und trägt somit auch zur Mitarbeitermotivation bei.
Das Management steuert Lernprozesse
Ob bewusst oder unbewusst, das Management setzt starke Steuerungsimpulse
für das Lernen im Unternehmen. Viele Führungskräfte
sehen ihre Hauptaufgabe im argusäugigen Kontrollieren. Als
Führungskräfte meinen sie, besser sein zu müssen
als ihre Kollegen. Mitarbeiter unterstützen diese Sichtweise
oftmals, indem sie es als Zeichen von Inkompetenz bewerten, wenn
ihr Vorgesetzter "nur" Richtlinien vorgibt und auf individuelle
Ideen, Eigeninitiative und Verantwortung setzt. Damit bewegen sie
sich aber in einer Endlosschleife. Denn statt gemeinsam zu verändern
und zu lernen, werden nur die Ergebnisse eines überkommenen
Kontrollmechanismus reproduziert.
Zielführender, schneller und kostengünstiger ließe
sich dieses Managementproblem lösen, wenn folgende Voraussetzungen
gegeben wären:
- Führungskräfte begreifen sich selbst als Lernende und werden von den Mitarbeitern als solche wahrgenommen.
- Nicht die Suche nach Schuldigen, sondern die Frage „Was lernen wir daraus?" steht im Vordergrund, wenn Fehler unterlaufen.
- Führungskräfte definieren klare Ziele und Handlungsrahmen.
Einen Lösungsansatz bieten hier auch die so genannten Communities
of Practice, die konzernweit bei Siemens operieren. In Teams, Abteilungen
oder Organisationseinheiten wird je nach Aufgabenstellung gemeinsam
der jeweilige Wissensstand definiert. Darüber hinaus organisieren
sie den Zugriff auf entsprechende Wissensinhalte oder Prozesse.
Spezialisten unterschiedlicher Bereiche entwickeln auf diese Weise
neue Lösungen und Standards. So beschäftigt sich die Community
of Practice zum Thema Innovationsmanagement damit, wie neue innovative
Ideen im Unternehmen generiert werden können. "Dabei geht
es sowohl um methodische Vorgehensweisen als auch darum Barrieren
aufzuzeigen, die Innvationen verhindern", berichtet Johannes
Schaaf, Principle Consultant bei Siemens Corporate Technology und
Leiter der Community of Practice Innovation Management.
Hindernisse unternehmensinterner Lernprozesse
Fest steht: Lernen ist mehr als Aus- und Weiterbildung. Es geht
um einen nachhaltigen Prozess mit einer klaren Vision, einer konkreten
Zielsetzung und einem angemessenen Budget. In vielen Unternehmen
aber behindern tief verwurzelte konventionelle Auffassungen und
bürokratische Organisationsstrukturen moderne, ganzheitliche
Lernansätze.
Nicht weniger hemmend ist die Fixierung auf kurzfristigen Erfolg.
So löst etwa das vierteljährliche Berichtswesen nach US-GAAP
folgende Ursache-Wirkungs-Kette aus: Im Quartalsturnus fragt sich
das Unternehmen, was ihm besonders gut gelingt und wo seine Kernkompetenzen
liegen. Die Antwort wird in konkrete Aktionen übersetzt, die
je nachdem positiv oder negativ ausfallen ein typischer Fall
von SingleLoop Learning. Ein lernendes Unternehmen sollte anders
vorgehen, indem es fragt: "Wie können wir die Ergebnisse
dauerhaft nutzen und gemeinsam aus ihnen lernen?" Best-Practice-Initiativen
sind dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Zu den Lernhemmnissen zählt ferner ein oftmals fehlendes finanzielles
Anreizsystem. Denn warum sollte ein Mitarbeiter sich für die
Weitergabe seines Wissens engagieren, ohne dass dies angemessen
honoriert wird?
Wie kann nachhaltiges Lernen im Unternehmen gefördert werden? |
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Lernen kostet
Gerade in der Anfangsphase ist die Etablierung einer Lernkultur
ein sehr aufwendiger Prozess. Strategische Entscheidungen sind ebenso
nötig wie die Zustimmung vom Management und den Mitarbeitern.
Das kostet Energie, Geld und Zeit. Doch der Einsatz lohnt sich.
Denn Wissen ist das kostbarste Gut es zu bewahren und auszubauen
sollte ein zentrales Ziel jedes Unternehmens sein.