2012/1 | Kolumne | Wissensorganisation
Raus aus dem Biotop!
Bei den letzten Stuttgarter Wissensmanagement-Tagen habe ich an einer Podiumsdiskussion teilgenommen, bei der unter anderem die Frage nach der Zukunft von Wissensmanagement gestellt wurde: „Wie wird Wissensmanagement 2018 aussehen?“.
Meine Antwort darauf war gegebenenfalls für den vorgegebenen Zeithorizont von nur sieben Jahren ein wenig visionär. Sie lautete nämlich, dass Wissensmanagement nicht mehr als solches existieren wird, weil es – hoffentlich – in die Organisation, ihre Strukturen, Prozesse und vor allem ihre Steuerung diffundiert sein wird.
Die an wesenden Wissensmanager schauten daraufhin durchaus etwas bedenklich (geht es da bei doch um ihren Arbeitsplatz), aber zu Unrecht. Denn das „Verschwinden“ von Wissensmanagement wäre in diesem Falle eine echte Erfolgsstory, weil die Organisation zur lernenden Wissensorganisation würde und der Umgang mit Wissen zu einer essenziellen Selbstverständlichkeit – und daher als separate Disziplin nicht mehr notwendig bzw. als solche nicht mehr wahrnehmbar.
In diesem Sinne verstandenwäre:
- jeder Mitarbeiter ein Wissensmanager, weil er sein persönliches Wissen effizient nutzen und konsequent weiterentwickeln würde;
- jeder Process Owner ein Wissensmanager, weil er den „Schattenprozess“ der Wissens- und Informationslogistik immer mitdenken und, wo notwendig, unterstützen würde;
- jeder Unternehmer ein Wissensmanager, weil er seine Unternehmung wissensorientiert steuern und Strategien entsprechend entwickeln würde;
- jede Führungskraft in ihrer persönlichen Führungsarbeit ein – nennen wir die Rolle mal – Knowledge Facilitator, weil er oder sie notwendige Freiräume und wissensförderliche Rahmenbedingungen schaffen würde.
Das Ende des Wissensmanagers als Wissensmanager. Ist unser Ziel also die eigene Abschaffung? Vielleicht!
Soweit die Vision, zugegeben eine ganz persönliche. (Vielleicht lassen Sie mich ja wissen, ob Sie dieser zustimmen.) Doch wo stehen wir heute?
Hier wirft ein Gespräch am Rande der Wissensmanagement-Tage doch ein ernüchterndes Licht auf unsere Disziplin. Die geäußerte These lautet, dass Wissensmanagement sich – sowohl in Organisationen und Unternehmen als auch in der Gesellschaft – in einem, mehr oder weniger bequemen, Biotop befindet.
Ein Biotop, dem relativ enge Grenzen gesetzt sind. In dem wir uns wahrscheinlich ganz gut eingerichtet haben, aus dem wir aber auch nicht herauskommen und aus dem heraus wir keinen nennenswerten Einfluss ausüben.
Anstatt also die Organisation zu unterwandern und zu durchdringen, sitzt der Wissensmanager im letzten Büro im vergessenen letzten Gang direkt neben dem Ideenmanager, der ebenfalls vor ein paar Jahren als Sau durchs Organisationsdorf getrieben und jetzt in sein Biotop abgeschoben ist – und bald neben dem Diversity Manager, der demnächst ins Biotop umziehen muss. (Alle Ideen- und Diversity Manager mögen mir an dieser Stelle verzeihen, sie sind nur als ein mögliches Beispiel hier angeführt; hier möge sich jeder Leser die für seine Organisation typischen Biotopbewohner vorstellen).
Warum aber sitzen wir in diesem Biotop (fest)? Oder doch nicht? Und wie kommen wir wieder raus? Ideen dazu verspreche ich für die nächste Kolumne und freue mich bis dahin auf Anregungen und Meinungen, gerne natürlich auch kontroverse, Ihrerseits.