2020/5 | Fachbeitrag | Digitalisierung
Die Zukunft der deutschen Digitalisierung – ein Kommentar
Inhaltsübersicht:
- Digitalisierung: Wie wettbewerbsfähig ist Deutschland?
- Corona-Krise als Digitalisierungsbooster?
- Umfrage: Wer arbeitet wie?
- Die deutsche Wirtschaft denkt linear statt exponentiell
- An der fehlenden Risikobereitschaft liegt es nicht
- Fahrplan in die Digitalisierung: Antworten auf die drängendsten Fragen
Ein Blick auf die Platzierung Deutschlands in der Digitalisierung im Report des WEF zeigt es deutlich: Deutschland belegt seit 2017 einen schlechten Platz (36). Damit findet sich Deutschland in einer Gruppe mit Ländern wie Kuwait (37), Portugal (34) oder Malaysia (33) wieder. Länder wie Lettland (15) sind Deutschland längst in der Digitalisierung überlegen.
Digitalisierung: Wie wettbewerbsfähig ist Deutschland?
Im WEF-Report wird detailliert an über 100 Kennzahlen festgemacht, wie konkurrenzfähig ein Land auf den internationalen Märkten ist. Eine sehr wichtige Kategorie ist hierbei der Stand der Digitalisierung in einem Land, die so genannte ICT adoption. Sie umfasst Kennzahlen wie
- mobile Handynutzung,
- Glasfaserausbau oder
- Möglichkeiten der digitalen Interaktion mit öffentlichen Institutionen (Online-Reisepass, online wählen etc.).
Corona-Krise als Digitalisierungsbooster?
Einige Politiker behaupten, dass Deutschland durch die Corona-Krise in der Digitalisierung einen enormen Sprung nach vorne machen wird. Der Datenschutz und die Arbeitnehmerrechte werden kurzerhand ausgehebelt. Kann sowas als Fortschritt in der Digitalisierung gesehen werden? Nur weil Arbeitskräfte in Berufen, in denen es möglich ist, vom Home-Office aus arbeiten? Weil Lehrkräfte ihre Schüler über die HPI-Schul-Cloud oder anderen Plattformen unterrichten?
Nein! Denn sie nutzen einfach die Möglichkeiten, die es schon längst gibt: Online-Meeting-Tools wie Zoom, Nextcloud Talk und Jitsi Meet, Alfaview, Swyx, Microsoft Teams, Cisco Webex oder auch GoToMeeting sind doch keine neuen Phänomene. Nun probieren sie alle endlich einmal aus und schon versagt das Netz. Hier hat Deutschland seine Hausaufgaben bisher einfach nicht gemacht!
- Qualitäten von Videostreams müssen gedrosselt,
- Skype-Konferenzen auf nachlassende Zeiten verlegt werden.
Selbst die Online-Lernplattform Mebis in Bayern ist vor- und nachmittags schlicht überlastet. Sogar die Kommunikation der Bundesregierung bleibt davon nicht verschont, wie jüngst ein Live-Stream mit Angela Merkel paradenhaft demonstriert hat, als die Verbindung zusammenbrach. On top werden nun Plattformen leichter gehackt, weil viele ihr "Home-Office" nicht ausreichend digital schützen. Folglich wird die Corona-Krise Deutschland nicht nur in eine Rezession stürzen, sondern einen großen Teil der Genration Z ins Bildungstief reißen. In der Digitalisierung ähnelt Deutschland damit dem Sprung eines Nilpferds oder eines Faultiers - beide können einfach nicht springen, selbst wenn sie es sich noch so sehr vornehmen.
Umfrage: Wer arbeitet wie?
Laut Bitcom geben
- 18 % an, dass sie aufgrund der Corona-Krise das erste Mal im Home-Office arbeiten dürfen.
- Für 41 % der über 1.000 Befragten sei Home-Office keine Option, da es ihre Tätigkeit schlichtweg nicht zulässt.
Doch Unternehmen, einige Gemeinden und Menschen finden eine Lösung - was bleibt ihnen anderes übrig? Die Medaille hat zwei Seiten:
- Zum einen zeigt es deutlich die Defizite in der deutschen Digitalisierung, die schon lange hinlänglich bekannt sind.
- Die andere Seite skizziert eine digitale Akzeptanz für mobiles Arbeiten und Lernen, die nun durch die Zwangsverordnung doch bei einigen Digitalverweigerern forciert wurde.
Und genau das zeichnet die Deutschen wieder aus: Denn gerade in der Innovationsbereitschaft sind die Deutschen noch immer unter den Spitzenreitern. Inwiefern nutzen wir diese Bereitschaft in der Digitalisierung?
Die deutsche Wirtschaft denkt linear statt exponentiell
Der originäre Deutsche bringt sein Produkt erst auf dem Markt, wenn es kugelsicher ist und seinem Ruf gerecht wird. Ein eher lineares und oft auch verkrampftes Vorgehen. Denn die Digitalisierung und der weltweite technische Fortschritt wachsen exponentiell an. Und ja, leider wartet keiner mehr auf uns, denn Deutschland scheint für die Digitalisierung zudem ein lahmes Nilpferd zu sein, schon längst abgehängt von Singapur, Südkorea oder China, dem Land der aufgehenden KI. Als Vorwand werden oft ethische Gründe anstelle von Planlosigkeit genannt.
Es kommt einem so vor, als sei man in Deutschland gerade erst dabei, in den Zug der Digitalisierung einzusteigen - natürlich mit Verspätung. Unter den 20 wertvollsten Tech-Unternehmen der Welt findet sich kein einziges europäisches Unternehmen. Den Zug haben wir als EU-Weit irgendwie verpasst.
An der fehlenden Risikobereitschaft liegt es nicht
Es mangelt den Deutschen dabei nicht an Mut, wie manche behaupten, sondern es bedarf mehr Mut zu digitalen Lösungen. Die meisten Unternehmer geben an, risikoaffin zu sein. Das starke Innovationspotenzial wird ebenfalls im WEF bestätigt. Der Grund liegt vielleicht woanders: Viele Unternehmer und Mitarbeiter sind Mitglieder der Generation der Babyboomer und der Generation X. Diese sind nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen, sondern erst relativ spät in ihrem Leben damit konfrontiert worden. So hört man oft von Unternehmern dieser Generation: "Ich weiß, dass ich mit der Digitalisierung zukunftsfähig bleibe, aber wo und wie fange ich damit an?"
Fahrplan in die Digitalisierung: Antworten auf die drängendsten Fragen
1. Warum sollten Unternehmen an der Digitalisierung überhaupt teilnehmen?
Sie sollten nicht, sie müssen! Sie haben gar keine Wahl! Die jungen Nachwuchskräfte, die Mitglieder der Generation Z, lieben es, in Teilzeit zu arbeiten, zählen aber ca. 4,6 Millionen weniger als die der Generation X. Diese Diskrepanz lässt sich nur digital kompensieren.
2. Wie fange ich an? Daten, der Nährstoff der Künstlichen Intelligenz
Krankenhäuser fangen endlich an, sich zu vernetzen und auf einer Plattform Daten auszutauschen. Das hat lang genug gedauert. Schade, dass erst die Corona-Krise nötig war, damit die Regierung Mittel dafür freisetzt. Jetzt können Krankheitsdaten effektiv genutzt und Wissen vernetzt werden. Andere Forschende können sich beteiligen und darüber austauschen. Es geht doch!
Wie sieht die Datennutzung in vielen deutschen Unternehmen aus? Ein großes Defizit ist der Umgang mit Daten. Nicht umsonst werden Daten als das neue Gold bezeichnet. In manchen Unternehmen wird dieses Gold jedoch wie rostiges Blech behandelt. So lässt sich nur schwer etwas aufbauen. Jahrelang gesammelte Daten sind unbrauchbar, weil daraus keine Informationen gewonnen werden können, sie nicht gepflegt oder gar verknüpft wurden. Dafür werden allzu oft vermeintlich irrelevante Daten schlichtweg nicht gesammelt oder erst gar nicht erhoben. Eine Umfrage des Instituts für Generationenforschung zeigte vor kurzem ein noch deutlicheres Bild: Auf die Nachfrage der Datennutzung, gaben 77 % der befragten Unternehmer an, dass Daten im jeweiligen Unternehmen gar nicht oder sehr schlecht verwendet werden. Es gibt schlichtweg kein Datenkonzept, oder gar eine Strategie. Der Rohstoff für die Digitalisierung muss somit erst erzeugt werden! Und er heißt Daten.
Es geht hierbei nicht nur um Daten aus dem eigenen Unternehmen oder um Sensoren, die das digitale Gold liefern; es geht auch um Daten aus den Bereichen Verkehr, Meteorologie, Gesundheit, Finanzen und deren Kombinationen. Schlichtweg auch um Daten, die nicht personenbezogen sind. Der Zugang zu Daten ist in Deutschland ungebrochen rudimentär. Auf Daten, die die Bevölkerung selbst zur Verfügung stellt, hat man nur beschränkt Zugriff, und wenn, dann nur gegen Bezahlung, wie dies das statistische Bundesamt eindrucksvoll demonstriert. Europa ist zumindest gerade dabei, einen Plan aufzustellen, technische und rechtliche Hindernisse auszuräumen, um endlich Datenräume zur Verfügung zu stellen.
Die Künstliche Intelligenz (KI) lernt von den zur Verfügung stehenden Daten; diese Daten sollten jedoch von hoher Qualität sein. Und hier beginnt das Problem. 37 % der Unternehmen im Paketdienst arbeiten mit postalisch falsche Kundendaten (unvollständig, veraltet, Dubletten, unzustellbar, Rückläufer). Eine weitere Schwachstelle vieler Unternehmen ist die Silohaltung von Daten: Geschäftspartnerkontakte in und über verschiedene Kanäle, Daten liegen in mehreren Systemen verteilt (Dubletten, Fehler, Lücken). Da kann selbst die stärkste KI nicht helfen.
Statt Datenmassen kann eine KI auch über vorgegebene Regeln lernen. Die nötigen aktuellen Daten kommen direkt von Sensoren. Es reicht jedoch nicht, die Daten einfach irgendwie mal zu erheben. Man muss das enorme Potenzial der Daten erkennen und auch nutzen.
3. Plattformen beherrschen die Wirtschaft
Der weltgrößte Vermieter hat keine eigenen Zimmer, der weltgrößte Filmverleih besitzt keine Kinosäle, die weltgrößte Telefonfirma verfügt über kein eigenes Netz, die wertvollste Handelsfirma hat keinen Bestand: Airbnb, Netflix, Skype, Alibaba - alles Online-Plattformen; und alles keine deutschen Firmen. Kein Wunder, denn die Plattformökonomie ist kein wirklich deutsches Mindset. Vielleicht bei Mitgliedern der Generationen Y und Z, da besteht ein gewisses Streben ins Kollektiv. Allerdings nicht bei den älteren Generationen, denn da gilt: Meins gehört mir und ich will mehr davon. Dies stellt ein Grundproblem dar: Man gibt nicht ab; man greift auf jahrelange Erfahrungen zurück und hält daran fest. Doch Erfahrungen kommen und gehen mit den Menschen und sind nicht immer ersetzbar. Ein erster Schritt wäre, die Erfahrungen im Unternehmen zu digitalisieren, um sie dann leichter zu verifizieren, auszutauschen und zu multiplizieren.
4. Was ist es also, was uns davon abhält, in der Digitalisierung durchzustarten?
Knapp 50 % der befragten Unternehmer gaben laut einer Umfrage des Instituts für Generationenforschung an, dass ihnen die richtigen Werkzeuge und Vorgehensweisen fehlen.
Quelle: Institut für Generationenforschung, 2020, n = 371
Es bedarf demnach einer Analyse der Daten, der Prozesse und dem Geschäftsmodell, um den Digitalisierungsfahrplan für ein Unternehmer aufzustellen. Und die Digitalisierung fängt bei Nullen und Einsen an: Jawohl, den Daten.
Quelle: Institut für Generationenforschung, 2020, n = 371