Fachbeiträge
Das Humanpotenzial – ein Messwert für Wissen
von Hans-Diedrich Kreft
Aus der Einsicht, dass ökonomische Theorien keinen messbaren Wert für Wissen bieten, obwohl Wissen ursächlich den ökonomischen Erfolg einer Marktwirtschaft generiert, hat Hans-Diedrich Kreft seinen Ansatz der Humatics entwickelt. Er stellt die Prinzipien dieses neuen, naturwissenschaftlich geprägten Ansatzes vor und skizziert, welche Erkenntnisse sich daraus für das Wissensmanagement, aber auch für Wirtschaft und Gesellschaft gewinnen lassen.
Inhaltsübersicht:
- Elemente des Wissens und Q-Distributionen
- Was ist Kompetenz?
- Wissen und Wohlstand
- Wohin bewegt sich die Ökonomie?
- Ausblick: das EU-Projekt HUMUS
- Zum Weiterlesen
Aus der Einsicht, dass ökonomische
Theorien keinen naturwissenschaftlich messbaren Wert für Wissen
bieten, obwohl Wissen ursächlich den ökonomischen Erfolg
einer Marktwirtschaft generiert, hat der Autor seinen Ansatz der
Humatics entwickelt. Humatics ist ein Kunstwort aus Humanismus und
Mathematik, denn Wissen setzt sich aus einer Vielfalt menschlicher
Fähigkeiten und Kenntnisse zusammen, denen mathematisch ein
Wert eben das Humanpotenzial zuzuordnen ist. Im Folgenden
seien die Prinzipien dieses neuen, naturwissenschaftlich geprägten
Ansatzes vorgestellt und skizziert, welche Erkenntnisse sich daraus
für das Wissensmanagement, aber auch für Wirtschaft und
Gesellschaft gewinnen lassen.
Elemente des Wissens und Q-Distributionen
Wissen umfasst generell drei fundamentale Elemente: Zunächst
müssen Fakten wie Daten, Dokumente, Papiere, Telegramme, E-Mails,
SMS-Messages etc. vorliegen, hier zusammenfassend Informationen
genannt. Wird aus diesen Informationen per Interpretation ein Zukunftswert
generiert, so sprechen wir von Wissen. Wenn jemand beispielsweise
auf seinem Handy die Nachricht liest "Komme 9.45 Uhr, Elfriede"
und am nächsten Tag zum Bahnhof fährt, um dort Elfriede
abzuholen, liegen die drei Elemente Fakt/Information Interpretation
Zukunftswert = Treffen von Elfriede vor.
Q-Distributionen: Wissen generiert den Zukunftswert einer Information |
Damit wäre den vielen Definitionen von Wissen eine neue hinzugefügt
eine Selbstreferenz und methodische Reproduzierbarkeit, wie
sie Messwerten eigen ist, wäre mit dieser Definition jedoch
nicht gegeben; der Raum für spekulative Diskussionen wäre
somit erweitert und nicht eingeengt.
Werden die obigen Elemente von Wissen auf Unternehmen oder ganze
Gesellschaften angewandt, so sind es die Kenntnisse und Fähigkeiten
der Menschen, die am freien Markt zu einem in Geldwerten messbaren
Erfolg in Form von Absatz oder Umsatz führen. Demgemäß
legt die Humatics den Umsatz auf die ihm zugrunde liegenden Kenntnisse
und Fähigkeiten um. In der obenstehenden Abbildung sind symbolisch
vier Fähigkeiten bzw. Kenntnisse a1 bis a4 angegeben, denen
in einem Balkendiagramm hier Q-Distribution genannt
jeweils als Zukunftswert der Umsatz zugeordnet wird.
Mathematisch kann nun gezeigt werden, dass aus diesen Q-Distributionen
vielfältige Eigenschaften von Wissen ableitbar sind. Das soll
vereinfacht anhand folgender Abbildung dargestellt werden:
Wissen als Charakteristika von Q-Distributionen |
Die Distribution oben links zeigt einen Alleskönner; dieser
Mensch ist noch offen für viele Entwicklungsmöglichkeiten.
Darunter sehen wir einen Spezialisten, z.B. einen Tenniscrack oder
Nobelpreisträger. Und ganz unten wären wir, d.h. Durchschnitts-Menschen
mit ihren vielfachen unterschiedlichen Ausprägungen.
Die Formel, die uns vorstehende Wissenscharakteristika aus Q-Distributionen
ermittelt, ist die Shannonsche Formel. Diese Formel dient auch in
der Kommunikationstheorie zur Bestimmung von Informationsmengen,
die in Bits und Bytes gemessen werden. Dieselbe Formel ist als Boltzmann-Plancksche
Formel in der Physik bekannt und bildet dort die Basis für
den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, einen der wichtigsten Sätze
der Physik mit universaler Gültigkeit.
Eine weitere und besondere Eigenschaft von Wissen ist, dass es
kombinierbar ist. Wenn wir kooperativ in einer Firma, einem Orchester
oder einem Sportclub zusammenarbeiten, dann kombinieren und harmonisieren
wir unsere Kenntnisse und Fähigkeiten. Genau das können
wir auch mit Distributionen machen wir können sie auf
vielfache Art kombinieren und immer spiegeln sie besondere Eigenschaften
von Wissen wider. Stellen wir viele Spezialisten zusammen, wie z.B.
in einem Orchester, einer Fußballmannschaft oder einem Unternehmen,
so lassen sich mit Hilfe der Humatics deren besondere Eigenschaften
berechnen.
Was ist Kompetenz?
Von den vielen Möglichkeiten, aus Distributionen neue Erkenntnisse
zu gewinnen, sei nun beispielhaft die Ermittlung der Kompetenz unter
weitgehendem Verzicht auf die zugrunde liegende Mathematik vorgeführt.
Befände man sich in der folgenden Abbildung an der durch den
Pfeil markierten Stelle und schaute in Richtung der Q-Distributionen,
so sähe man nur den ersten Balken; die dahinter liegenden wären
optisch verdeckt. Deutlich sichtbar wäre allerdings der kleine
rote Balken inmitten der vielen Distributionen das ist die
so genannte Superposition. Weiterhin kann man einen repräsentativen
Wert, den Mittelwert der Q-Distributionen, bilden. Dazu werden alle
Distributionen addiert und durch ihre Anzahl geteilt.
Messbarkeit von Kompetenz: Kompetenz = Superposition : Repräsentation |
Zur Verdeutlichung dieser beiden Kombinationsmöglichkeiten
sei auf das Orchester-Beispiel zurückgegriffen: Addiert man
die Humanpotenzialwerte der einzelnen Musiker, so gehen in dieses
additive Humanpotenzial H Lautstärke und Klang der einzelnen
Instrumente ein. Dividiert man die Lautstärke durch die Anzahl
der Instrumente, ergibt sich die mittlere Lautstärke. In einem
Orchester mit 1.000 Geigen wäre ein Klavier kaum zu hören.
Bei der Superposition verhält es sich genau umgekehrt: Das
allen Musikern Gemeinsame wird nur einmal gezählt, das Unterschiedliche
wird dagegen voll und ganz berücksichtigt.
Mathematisch können wir nun die per Shannonscher Formel ermittelten
Werte für Superposition und Repräsentation durcheinander
dividieren und erhalten einen sehr charakteristischen Wert, der
am Besten das trifft, was wir herkömmlich mit Kompetenz bezeichnen:
den Kompetenzwert Φ.
Dazu ein Beispiel: Wenn in einem Unternehmen nur Menschen mit gleichen
Fähigkeiten arbeiten, was auf ein Orchester übertragen
bedeuten würde, es gäbe nur Geiger, dann beträgt
der Kompetenzwert Φ = 1. Doch sobald eine davon abweichende Kenntnis
oder Fähigkeit auftritt (im Orchester z.B. ein Pianist), vergrößert
sich der Kompetenzwert, da dies durch die Superposition erfasst
wird.
Aus diesen knappen Ausführungen wird bereits ersichtlich,
welch immense Bedeutung diese neue Messmethode allein für eine
recht schwierig zu definierende Größe wie die Kompetenz
darstellt. Wir können einen Kompetenzwert Φ > 1 ganz praktisch
deuten: Je größer Φ ist, desto kompetenter ist ein
Unternehmen, um auch unterschiedliche Wettbewerbsanforderungen zu
erfüllen.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich eine kaum
absehbare Fülle von weiteren ökonomischen Größen
mathematisch sauber ableiten ließe. Eines der auffälligsten
Ergebnisse ist etwa, dass jeder Umsatzerfolg von Unternehmen als
das Produkt aus Stabilität mal Effektivität darstellbar
ist.
Wissen und Wohlstand
Bislang wurde die Messung und Interpretation von Wissen vorwiegend
auf der Ebene von Individuen und Unternehmen dargestellt. Konsequent
auf die gesellschaftliche Ebene angewandt führen die Messwerte
für Wissen wiederum zu völlig neuen Erkenntnissen.
Betrachtet man eine Gruppe von Menschen mit ihrem Humanpotenzial,
so sind auf gesellschaftlicher Ebene beide Bestandteile ihres Wissens
das applikative wie das interpretative zu berücksichtigen,
wie in untenstehender Abbildung symbolisch dargestellt. Aus einer
komplexen Zahl, die beide Wissensteile rechnerisch erfasst, lässt
sich ein Humanpotenzial-Wert H ermitteln.
Wissen: applikativ und interpretativ |
Die beiden Wissensteile, aus denen sich das Humanpotenzial zusammensetzt,
repräsentieren ein universelles Prinzip von Wissen: Wenn wir
per Sprache Wissen weitergeben, wird die Lauterzeugung durch unsere
Zunge unbewusst in hochkomplexer Weise gesteuert; das ist die applikative
Anwendung von Wissen. Die Generation von Sprache aus Lauten erfolgt
wiederum, indem der interpretative Teil unseres Wissens die Laute
in der richtigen Weise zusammensetzt. Werden die Laute beispielsweise
schneller erzeugt als der Sprecher sie interpretieren kann, kommt
keine verständliche Sprache zustande und auch Schnelldenker
sollen mitunter Schwierigkeiten mit der Motorik ihrer Zunge haben.
Ein gestörtes Zusammenspiel dieser beiden Wissensteile ist
jedoch nicht nur bei der individuellen Spracherzeugung, sondern
auch innerhalb der Gesellschaft mit Nachteilen verbunden: Auf der
gesellschaftlichen Ebene wird lediglich das applikative Humanpotenzial
im ökonomischen Transformationsprozess in Güter und Leistungen
umgewandelt. Das interpretative Humanpotenzial steht als kulturelles,
ökonomisch nicht angewandtes Wissen zur Verfügung; wir
können diesen Bestandteil auch als Bildungswissen bezeichnen.
Es ist nun aber genau dieser im momentanen ökonomischen Transformationsprozess
nicht benötigte Teil unseres Wissens, in dem die innovativen
Wissensreserven schlummern; es ist dieser Teil, der uns in Krisensituationen
mit neuem Wettbewerbswissen, neuen Produkten, Patenten, Entwicklungen
und Forschungsergebnissen versorgt!
Mathematisch lässt sich nachweisen, dass volkswirtschaftlich
ein besonders vorteilhaftes Wohlstandswachstum dann erreichbar ist,
wenn das Niveau des Humanpotenzials der Menschen im Bildungssektor
dem der Menschen im Produktionssektor entspricht:
Humanpotenzial und Arbeitslosigkeit |
Ist das mittlere Wissensniveau der Menschen einer Gesellschaft
im Bildungssektor und in der Wirtschaft unterschiedlich, führt
dies zu den in der Abbildung dargestellten Effekten. Mathematisch
ergibt sich nur dann ein besonders hohes Wohlstandswachstum, wenn
sich das mittlere Humanpotenzial, d.h. das mittlere Niveau des Wissens
in Bildung und Wirtschaft, im Gleichgewicht befindet. Das bedeutet
nichts anderes, als dass Menschen ein Leben lang zwischen Ausbildung
und Produktion ihr Wissen austauschen müssen. Eigentlich liefert
uns die Humatics mit diesem Ergebnis nur den Beweis für das,
was Menschen schon seit Urzeiten wissen: Der ständige Austausch
zwischen angewandtem Wissen und Aus- und Fortbildung schafft den
Fortschritt.
Von dem Gleichgewichtszustand, wie er im unteren Teil der Abbildung
dargestellt ist, sind wir in unserer Gesellschaft noch weit entfernt
und so dürfen wir uns nicht über die Arbeitslosenzahlen
wundern. Ja, es ist sogar nachweisbar, dass mit steigender Rationalisierung
die Kluft zwischen Wirtschaft und Bildung immer größer
wird. Das geht ungefähr so: Die Wirtschaft fragt fortwährend
nach weiteren Spezialisten, das Bildungssystem stellt sich darauf
ein, bald fehlen der Wirtschaft die Impulse, die aus einer breiteren
Bildung der Menschen kommen und dies führt zu Einbrüchen.
Wohin bewegt sich die Ökonomie?
Warum wir guten Mutes sein dürfen, dass die hier vorgestellten
Prinzipien eine erfolgreiche Zukunft vor sich haben, soll an Hand
einer Analogie zum bewährten Dreisatz gezeigt werden: Der Dreisatz
gilt für mathematische Objekte und ist im mathematischen Raum
der Zahlen exakt. Lassen sich ökonomische Objekte als Zahlen
(z.B. Geldmengen, Gewichte, Anzahl Schrauben etc.) interpretieren,
kann die mathematische Exaktheit des Dreisatzes auf die Ökonomie
übertragen werden. Die Übertragung der Exaktheit zwischen
Zahlen in unsere reale Welt ist der Grund, warum wir mit Bilanzen,
GuV-Daten, Kostenrechnungen, Controlling, Zinsrechung usw. hantieren.
Die Exaktheit der Mathematik lässt sich auf vielerlei Objekte übertragen. |
Ermittelt man neue mathematische Objekte zur Erfassung ökonomischer
Realität wie die dargestellten Q-Distributionen
und können deren mathematische Relationen in vergleichbarer
Weise auf die ökonomische Wirklichkeit übertragen werden,
wie es für den Dreisatz geschieht, so dürfen wir auf die
weiteren Ergebnisse der Humatics noch gespannt sein. In diesem Sinne
sind die bisher abgeleiteten Erkenntnisse zu Kompetenz, Stabilität
und Effektivität und die vielen anderen Ergebnisse der Humatics
zu verstehen: Die hier vorgestellten Daten sind von derselben qualitativen
Härte wie es Daten der Buchhaltung, der Kostenrechnung, des
Controlling oder allgemein volkswirtschaftliche Daten sind.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Zahlen als
Sonderfälle von Distributionen darstellbar sind, womit der
Beschreibungsraum der bisherigen Ökonomie sich als Sonderfall
der Humatics angeben lässt. Damit stünde für die
Ökonomie einer dieser schönen und ergebnisreichen Paradigmenwechsel
bevor, wie er für naturwissenschaftliche Disziplinen typisch
ist und in der Ökonomie wohl seit Keynes nicht so recht zu
erkennen war.
Ein besonderes Anliegen des Autors war und ist es, die Ökonomie
ein Stück in Richtung exakter Naturwissenschaft zu bewegen.
Mit dem Distributionskonzept erfolgt die Beschreibung ökonomischer
Wirklichkeit in prinzipiell gleicher Weise, wie die exakten Naturwissenschaften
mit ihren mathematischen Objekten versuchen, Wirklichkeit (z.B.
Massenpunkte, Atome, Felder) zu beschreiben. Die Ökonomie hat
ganz unzweifelhaft diese schöne Entwicklung zu höheren
mathematischen Strukturen und den daraus folgenden Erkenntnisgewinn
noch vor sich.
Den praktischen Wert des vorgestellten Konzeptes in Mikro- und
Makroökonomie, aber auch im Wissensmanagement lässt sich
mit einer Analogie verdeutlichen: Genauso wie einem Arzt mit der
Röntgentechnik ein Mehr an medizinisch auswertbarer Information
zu Verfügung steht, so steht dem Ökonomen wie auch dem
Manager mit dem Distributionskonzept ein Mehr an ökonomischer
Information zur Verfügung. Welche Schlüsse ein Manager
für die Zukunft seines Unternehmens oder Ökonomen und
Politiker für die Volkswirtschaft daraus ziehen, ist ebenso
offen wie die Behandlungsmethode des Arztes nicht aus dem Röntgenbild
allein ableitbar ist.
Ausblick: das EU-Projekt HUMUS
In dem von der EU geförderten Pilotprojekt HUMUS geht es nun
darum, die vorgestellten Erkenntnisse zur Wissensmessung nach den
Humatics in realen Betrieben zu überprüfen. Zunächst
soll ein Kernel-Programm erstellt werden, das die Messmethode zur
Bestimmung des Humanpotenzials standardisiert enthält und die
Anbindung an gängige Controlling-Programme gewährleistet.
Anschließend soll die Durchführbarkeit in einer mittelständischen
Firma unter wissenschaftlicher Begleitung einer Universität
demonstriert werden. Über den Stand des Projektes wird fortlaufend
unter www.humatics.de
informiert.
Zum Weiterlesen
Kreft, Hans-Diedrich: Das
Humanpotenzial. Wissen und Wohlstandswachstum. Von der sozialen
zur fairen Marktwirtschaft. Berlin: Verlag für Wissenschaft
und Forschung 2001.
Weitere Informationen (Vorträge, Artikel etc.) finden Sie
unter www.Hans-Diedrich-Kreft.de
und www.humatics.de.
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