Fachbeiträge
Eine integrative Sicht auf das Managen von Wissen
von Gabi Reinmann-Rothmeier
Haben Sie eine konsensfähige Sprachregelung für die Begriffe Wissen, Managen und Wissensmanagement parat? Nein? Doch viele Probleme fangen genau da an: bei einer mangelnden Verständigungsgrundlage zwischen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen. Eine solche Verständigungsgrundlage kann das am Lehrstuhl Prof. Mandl der Ludwig-Maximilian-Universität München entwickelte Münchener Modell schaffen, das Gabi Reinmann-Rothmeier in ihrem Beitrag vorstellt.
Von Gabi
Inhaltsübersicht:
- Was ist Wissen?
- Was heißt Management?
- Lernen als Leitidee
- Vier Phänomenbereiche im Umgang mit Wissen
Stellen Sie sich vor, Sie sollen als
frisch gebackener Wissensmanager Ihren Mitarbeitern aus dem Stand
beschreiben, was Sie eigentlich machen, wenn Sie Wissen managen.
Hätten Sie eine konsensfähige Sprachregelung für
Wissen, Managen und Wissensmanagement parat? Viele Probleme fangen
genau da an: bei einer mangelnden gemeinsamen Verständigungsgrundlage
zwischen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen.
Wenn es um das Management von Wissen
geht, kann das Münchener Modell [1] eine
solche Verständigungsgrundlage schaffen und als Orientierungsrahmen
für Organisationen und Individuen dienen. Die Stärke dieses
Modells liegt im integrativen Verständnis von Wissen und Managen
sowie in der Verbindung von organisationalem und individuellem Lernen.
Im Gegensatz zu anderen Wissensmanagement-Ansätzen steht das
Münchener Modell für eine pädagogisch-psychologische
Sicht auf das Managen von Wissen und akzentuiert Lernen als wettbewerbsdifferenzierenden
Faktor der Zukunft.
Kurz gefasst:
|
Was ist ist Wissen?
Seit langem ist in unseren Köpfen die Vorstellung vom Wissen
als einem Besitz verwurzelt, der Macht verleiht, akkumulierbar und
übertragbar ist. Allmählich aber entwickelt sich parallel
dazu eine Vorstellung von Wissen als einer Art Prozess. Wissen hat
heute also mindestens zwei Bedeutungen: Wissen als Objekt, z.B.
wissenschaftliche Erkenntnisse, die in einer Enzyklopädie festgehalten
sind, und Wissen als Prozess, z.B. langjährige Erfahrung, die
sich im Tun eines Experten zeigt. Wissen als Prozess geht letztlich
in Handeln über, während Wissen als Objekt eng an die
Information heranrückt.
Im Münchener Modell werden Informations- und Handlungswissen
als zwei extreme Zustände von Wissen interpretiert. Diese spannen
ein Feld auf, in dem viele Variationen von Wissen möglich sind,
die wiederum alle Gegenstand des Wissensmanagements sein können.
Veranschaulichen lässt sich dieses Wissensverständnis
an einer einfachen Analogie: Wasser ist die häufigste chemische
Verbindung und bedeckt als Flüssigkeit ca. 3/4 der Erdoberfläche.
Neben dem flüssigen Zustand gibt es zwei weitere Zustandsformen
von Wasser: fest als Eis und gasförmig als Wasserdampf. Übertragen
auf den Wissensbegriff heißt das: Wissen ist etwas, das uns
in unserer Gesellschaft allerorten begegnet und beeinflusst. Dabei
ist Wissen ständig in einer Art Fließbewegung und kann
zu "festem" Informationswissen werden, das sich gut handhaben,
strukturieren und speichern lässt; es kann aber auch zu "gasförmigem"
Handlungswissen werden, das sich dem direkten Zugriff entzieht,
sich schnell verflüchtigt und Energien erzeugt. Beides gehört
zu unserem Wissensalltag.
Die Aggregatszustände des Wissens |
Was heißt Management?
Häufig vergleicht man den Manager mit einem Steuermann. "Kybernetes"
ist das altgriechische Wort für Steuermann und so ist es wohl
kein Zufall, dass die gängige Vorstellung von Management einem
kybernetischen Regelkreismodell gleicht: Man versucht, einen bestimmten
Sollzustand zu erreichen oder aufrecht zu erhalten und ablaufende
Vorgänge zu berechnen. Ein solches Denken in Berechnungsformeln
(algorithmisches Modell) ist in Bezug auf Management weder vollkommen
irreführend noch befriedigend.
Wenn es um die in weitestem Sinne technische Seite der Organisation
(z.B. Infrastrukturen oder Geschäftsmodelle) geht, ist ein
algorithmisches Denken durchaus funktional: Management im Sinne
von Organisationsführung gehorcht in weiten Teilen den Gesetzen
berechenbarer technischer Systeme. Wenn es aber um die menschliche
Seite der Organisation geht, stößt man mit diesem Denkmodell
an Grenzen: Management im Sinne von Mitarbeiterführung gehorcht
den Gesetzen biologischer und ökologischer Systeme, deren Verhalten
zwar determiniert, aber nicht vorhersehbar, sondern mit Unsicherheit
behaftet ist. Hier kommt man eher mit einem Denken in Faustregeln
(heuristisches Modell) weiter.
Beim Wissensmanagement hat man es mit beiden Systemarten zu tun.
Naheliegend ist daher ein integratives Verständnis von Management
[2], in dem das algorithmische und heuristische
Denkmodell miteinander kombiniert werden: Management als Gestaltung
evolutionsähnlicher Prozesse, als Balanceakt zwischen Moderieren
und Kontrollieren, zwischen Metasteuerung und direkter Regelung.
Lernen als Leitidee
Die Entwicklung hin zu einer lernenden Organisation ist im Münchener
Modell die Zielrichtung des Wissensmanagements. Notwendige Bedingungen
für das Lernen einer Organisation sind die Lernbereitschaft
und die Lernfähigkeit der beteiligten Individuen, die den "Ort
des Wandels" [3] bilden, denn: Individuelle
Fähigkeiten und Fertigkeiten sind immer auch die Grundvoraussetzung
für Veränderungen in der Organisation. Daneben sind das
Bewusstsein der Organisationsmitglieder und deren Sensibilität
für neue Anforderungen weitere Treiber des Wandels. Die Basis
für kulturelle Veränderungen sind letztlich neue Haltungen
und Überzeugungen, also das, was Organisationsmitglieder wollen
und glauben.
Einen solchen individuellen Lernzyklus in Gang zu setzen, ist jedoch
alles andere als leicht, denn Menschen sind bekanntlich sehr veränderungsresistent.
Und so ist es sinnvoll, die Organisation als "Ort des Handelns"
in die Pflicht zu nehmen und schrittweise einen organisationalen
Lernzyklus anzustoßen. Am Anfang steht meist eine Leitidee.
Zur Realisierung einer Leitidee sind Konzepte und Methoden erforderlich;
deren Wirkung aber kommt oft erst durch neue Organisationsstrukturen
zur Entfaltung. Eine lernende Organisation kann dann entstehen,
wenn der individuelle und organisationale Lernzyklus miteinander
verbunden werden. Diese Verbindung ist im Münchener Modells
ein zentrales Element.
Der individuelle und der organisationale Lernzyklus |
Vier Phänomenbereiche im Umgang mit Wissen
Das Herz des Münchener Modells bilden vier Phänomenbereiche,
die verschiedene Wissensprozesse bündeln:
- die Repräsentation von Wissen
- die Nutzung von Wissen
- die Kommunikation von Wissen
- die Generierung von Wissen
Diese Phänomenbereiche implizieren neben organisationalen
und technischen Aspekten auch psychologische Voraussetzungen und
pädagogische Begleitprozesse, die häufig vernachlässigt
werden [4].
Wissensrepräsentation
Prozesse der Wissensrepräsentation machen Wissen sichtbar,
zugänglich, transportierbar und besser begreifbar. Oder um
im Bild der Wasser-Analogie zu sprechen: Repräsentationsprozesse
zielen darauf ab, Wissen einzufrieren, für bestimmte Zeit zu
konservieren und zum Auftauen bereit zu halten.
Somit ist Wissensrepräsentation mit einer Bewegung verbunden,
in der Wissen in Richtung Information geht. Damit es zu Prozessen
der Wissensrepräsentation kommen kann, müssen Menschen
bereit sein, ihr Wissen nach außen zu geben. Das aber kann
mit Ängsten vor Macht- und Kompetenzverlust oder Austauschbarkeit
verbunden sein. Zur Bereitschaft, das eigene Wissen offen zu legen,
muss die Fähigkeit kommen, Wissen explizit zu machen. Dazu
gehören Kenntnisse über das eigene Wissen (Metawissen)
sowie z.B. Verbalisierungs- und Visualisierungsfähigkeiten.
Wissensnutzung
Prozesse der Wissensnutzung machen Wissen anwendbar und lassen
dem Wissen Entscheiden und Handeln folgen. Oder um im Bild der Wasser-Analogie
zu bleiben: Nutzungsprozesse zielen darauf ab, Wissen aufsteigen
zu lassen, Energien zu erzeugen und an geeigneten Stellen wieder
zum Kondensieren zu bringen.
Somit ist Wissensnutzung mit einer Bewegung verbunden, in der Wissen
in Richtung Handeln geht. Damit es zu Prozessen der Wissensnutzung
kommen kann, müssen Menschen die potenzielle Trägheit
des Wissens überwinden können und wollen. Notwendig für
die Wissensnutzung sind Motivation zum Handeln, die Überwindung
eingeschliffener Routinen sowie das Wahrnehmen und Ausschöpfen
von Handlungsspielräumen.
Wissenskommunikation
Prozesse der Wissenskommunikation führen dazu, dass Wissen
ausgetauscht, geteilt, vernetzt und in Bewegung gebracht wird. Wenn
man wieder die Wasser-Analogie beanspruchen will, kommt man zu dem
Schluss, dass Kommunikationsprozesse Wissen zum Fließen bringen
und dafür sorgen, dass sich dieser Fluss ungehindert fortbewegen
und ausbreiten kann.
Somit ist Wissenskommunikation Wissensbewegung pur, die in jedem
Wissenszustand möglich ist. Damit es zu Prozessen einer lebendigen
Wissenskommunikation kommt, müssen Menschen das Gefühl
haben, dass dieser Austausch mit gegenseitigem Geben und Nehmen
und persönlichem Nutzen verbunden ist. Vertrauen, Sympathie
und soziale Fähigkeiten sind hier ebenso wichtig wie Motivation
und Anreizsysteme zum gegenseitigen Austausch.
Wissensgenerierung
Prozesse der Wissensgenerierung bewirken die Verarbeitung vom Rohstoff
Information zu handlungsrelevantem Wissen und die Entwicklung neuer
Ideen. Unter Rückgriff auf die Wasser-Analogie hieße
das: Generierungsprozesse sorgen dafür, dass dem fließenden
Wasser seine Quelle erhalten bleibt, dass der Fluss nicht versiegt.
Somit ist Wissensgenerierung die Basis jeder Wissensbewegung, die
den Stoff hervorbringt, der bewegt werden soll. Die Generierung
neuen Wissens ist nur möglich, weil Menschen in der Lage sind,
aus Erfahrung zu lernen und weil sie von ihrem Wesen her neugierig
sind. Kreativität, Denken, Lernen und Problemlösen, aber
auch Selbst- und Fremdbild haben einen oft unterschätzen Einfluss
auf die Wissensgenerierung.
Wissensprozesse der genannten Art lassen sich nicht erzwingen, aber
in der Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens durch Managementprozesse,
also durch das Gestalten von Rahmenbedingungen sowie das Fördern
der beteiligten Menschen optimieren [5]. Technische,
organisationale wie auch pädagogisch-psychologische Maßnahmen
müssen dabei der Leitidee folgen, Lernprozesse zu unterstützen,
und gleichzeitig diejenigen Probleme angehen, die im konkreten Fall
vorliegen und einen professionelleren Umgang mit Wissen erforderlich
machen.
Ein Wissensmanager wäre allerdings schlecht beraten, würde
er bei seinen Aktionen den Kollegen aus den Bereichen Personal und
Technik aus dem Weg gehen: Erst eine enge Kooperation zwischen Wissens-,
Informations- und Kompetenzmanagement kann dem hier skizzierten
Verständnis von Wissen und Management gerecht werden und die
skizzierten Wissensprozesse erfolgreich initiieren und gestalten.
Wundern Sie sich nicht, wenn die gleichen Mitarbeiter, mit denen
Sie eben noch um gemeinsame Bedeutungen beim Wissensmanagement gerungen
haben, in drei Jahren von Lernmanagement sprechen. Wenn Sie als
Wissensmanager mit dem Münchener Modell gearbeitet, dabei Informatiker,
Personaler und Strategen an einen Tisch gebracht und das erklärte
Ziel des Wissensmanagements ernst genommen haben, dürfen Sie
vielleicht sogar den unspektakulären Begriff des Lernens bald
wieder selbstbewusst in den Mund nehmen.
Seitenblick
Möchten Sie mehr über das Münchener Modell wissen?
Einen ausführlichen, sehr lesenswerten Hintergrund-Beitrag
der Autorin haben wir hier als PDF-Datei
(363 kB) für Sie bereit gestellt.
Anmerkungen/Literatur
[1] Entstanden ist das Modell aus langjähriger
konzeptioneller und empirischer Arbeit am Institut für Empirische
Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilian-Universität,
München, Lehrstuhl Prof. Dr. Mandl.
[2] Schneider, U.: Management als Steuerung
des organisatorischen Wissens. In: Schreyögg, G. (Hrsg.): Funktionswandel
im Management: Wege jenseits der Ordnung. Berlin 2000, S. 79-110.
[3] Senge, P.M./Kleiner, A./Smith, B./Roberts,
C./Ross, R.: Das Fieldbook zur Fünften Disziplin. Stuttgart
1997.
[4] Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H.: Individuelles
Wissensmanagement. Strategien für den persönlichen Umgang
mit Information und Wissen am Arbeitsplatz. Bern 2000.
[5] Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H./Erlach,
C./Neubauer, A.: Wissensmanagement lernen ein Workshop- und
Selbstlern-Buch. Weinheim (in Druck).
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