Fachbeiträge
Werkzeuge für kooperatives Wissensmanagement in Forschung und Entwicklung
von Manfred Mühlfelder, Dirk Kabel, Thomas Hensel und Christopher Schlick
Erfolgreiches Wissensmanagement benötigt ein ausgewogenes Verhältnis von zentralen und dezentralen Realisierungsstrategien. Gerade in kreativen, schwach strukturierten Arbeitsprozessen, z.B. in Forschung und Entwicklung (F&E), kann ein auf der Ebene von Projektteams wirkendes kooperatives Wissensmanagement die Bereitschaft der Mitarbeiter zur Weitergabe ihres intellektuellen Eigentums und zur Nutzung von Wissensmanagement-Werkzeugen wesentlich erhöhen. Manfred Mühlfelder, Dirk Kabel, Thomas Hensel und Christopher Schlick stellen den dezentralen Ansatz des kooperativen Wissensmanagements vor und untersuchen den Einsatz unterschiedlicher Wissensmanagement-Werkzeuge im F&E-Bereich.
Von Manfred
Hensel und Christopher
Inhaltsübersicht:
- Forschung und Entwicklung: Wissensgenerierung als Hauptaufgabe
- Kooperatives Wissensmanagement: im Interesse der Mitarbeiter
- Wissensmanagement-Werkzeuge im F&E-Bereich
- Praxisbeispiel: IT-unterstütztes Wissensmanagement in der Automobilentwicklung – Vision für die Produktentstehung von morgen
- Ausblick: Vergleich der Potenziale von Wissensmanagement in unterschiedlichen Phasen eines F&E-Projekts
- Fazit
Erfolgreiches Wissensmanagement benötigt
ein ausgewogenes Verhältnis von zentralen und dezentralen Realisierungsstrategien.
Gerade in kreativen, schwach strukturierten Arbeitsprozessen, z.B.
in Forschung und Entwicklung (F&E), kann ein auf der Ebene von
Projektteams wirkendes kooperatives Wissensmanagement die Bereitschaft
der Mitarbeiter zur Weitergabe ihres intellektuellen Eigentums und
zur Nutzung von Wissensmanagement-Werkzeugen wesentlich erhöhen.
Kurz gefasst
|
Forschung und Entwicklung: Wissensgenerierung als Hauptaufgabe
Ein wesentlicher Anteil der Wertschöpfungspotenziale eines
Unternehmens wird bereits in frühen Phasen der Produktentstehung
maßgeblich beeinflusst. In den für Forschung und Entwicklung
zuständigen Abteilungen wird zum einen das von den Grundlagenwissenschaften
bereitgestellte Wissen in marktfähige Produkte und Dienstleistungen
transformiert, zum anderen entsteht während eines Entwicklungsprozesses
selbst ständig neues Erfahrungswissen, das in parallel laufenden
und zukünftigen Projekten von großem Nutzen sein kann.
Forschung und Entwicklung findet vor allem in Teamarbeit statt.
Durch die frühzeitige Einbindung von Experten aus unterschiedlichen
Fachabteilungen (z.B. Konstruktion, Fertigungsvorbereitung, Montageplanung,
Produktdesign, Einkauf) können Kosten- und Zeitvorteile realisiert
werden, welche angesichts des Markt- und Innovationsdrucks die Zukunftsfähigkeit
eines Unternehmens stark beeinflussen [1, 2, 3].
Wesentliche Aufgabe eines auf Produktivitätssteigerung und
günstige Arbeitsbedingungen ausgerichteten Wissensmanagements
im F&E-Bereich ist daher die Bereitstellung von Methoden, welche
die Entstehung, Bereitstellung, Archivierung und vor allem den Austausch
von Wissen in kooperativen Arbeitsorganisationsformen sinn- und
wirkungsvoll unterstützen. Dabei kann neben einem zentralen
organisationalen Wissensmanagement ein dezentrales kooperatives
Wissensmanagement innerhalb und zwischen F&E-Teams aufgebaut
werden.
Kooperatives Wissensmanagement: im Interesse der Mitarbeiter
Aufgabe des organisationalen Wissensmanagements im Sinne der gängigen
Managementliteratur ist es, auf der Ebene der gesamten Organisation
Wissen zu identifizieren, zu erwerben oder zu entwickeln, bereitzustellen,
zu verteilen und zu bewahren. Dies geschieht durch gezielte Interventionen
in die organisationale Wissensbasis, welche als die Gesamtheit der
Daten-, Informations- und Wissensbestände verstanden wird,
auf die eine Organisation zur Lösung ihrer Probleme zurückgreifen
kann. Der Wissensaustausch findet dabei sowohl in horizontaler Richtung
innerhalb einer Hierarchieebene als auch vertikal zwischen den Hierarchieebenen
statt.
Wissensflüsse innerhalb und zwischen den Hierarchieebenen einer Organisation |
Dagegen stehen beim kooperativen Wissensmanagement die Entstehung,
Bereitstellung, Bewahrung und vor allem der Austausch von Wissen
innerhalb und zwischen Arbeitsgruppen, z.B. F&E-Teams, im Zentrum
der Betrachtung. Es ist ein auf operativer Ebene wirkender dezentraler
Ansatz.
Die bestimmenden Akteure im kooperativen Wissensmanagement sind
die Teammitglieder selbst. Sie bestimmen innerhalb des vom organisationalen
Wissensmanagement vorgegebenen Rahmens sowohl über die Wissensziele
als auch über die organisatorischen, technischen und personalen
Maßnahmen zu deren Erreichung [4, 5, 6].
Individuelle, kollektive und organisationale Wissensbasen und der Wissenszugriff und -austausch in vernetzten Organisationen |
Die dabei entstehende kollektive Wissensbasis setzt sich aus den
individuellen Wissensbeständen der einzelnen Teammitglieder
zusammen, bildet darüber hinaus aber mehr als deren Summe.
Die einzelnen Mitarbeiter können zur Bewältigung ihrer
Aufgaben sowohl auf ihre persönlichen Wissensbasen (Dokumente,
Notizen etc.) als auch auf die Wissensbasen anderer Teammitglieder
zurückgreifen. So kann durch Neukombination existierender Wissensbestände
neues Wissen entstehen. Die organisationale Wissensbasis wiederum
ist die Kombination aller kollektiven Wissensbasen einer Organisation.
Kooperatives Wissensmanagement bietet die Möglichkeit, dass
die Mitarbeiter die kollektive Wissensbasis ihrer Arbeitsgruppe
selbst gezielt verändern. Aufgabe des Managements ist die Förderung
des Wissenaustauschs innerhalb und zwischen den Abteilungen und
Projekten. Durch Initialisierung flankierender Maßnahmen der
Personal- und Organisationsentwicklung (z.B. Entwicklung von geeigneten
Anreizsystemen, Vertrauensbildung, Gestaltung von Marktmechanismen)
kann die Unternehmensleitung das operative Management bei dieser
Aufgabe unterstützen. Nichtsdestoweniger hängt alles davon
ab, inwieweit die Mitarbeiter bereit und in der Lage sind, ihr Wissen
anderen zur Verfügung zu stellen. Während ersteres vor
allem eine Frage der Arbeits- und Betriebsorganisation ist, soll
im Folgenden die Eignung unterschiedlicher Informations- und Kommunikationswerkzeuge
für erfolgreiches Wissensmanagement analysiert werden.
Wissensmanagement-Werkzeuge im F&E-Bereich
IT-Werkzeuge zur Unterstützung von Wissensmanagement sind
mannigfaltig am Markt verfügbar und viele neue Ansätze
befinden sich zur Zeit in der Entwicklung. Zur Erläuterung
des Potenzials einzelner Ansätze oder deren effektiver Kombination
sollen die jeweiligen Tools jedoch systematisch eingeordnet werden.
Die Strukturierung erfolgt in Anlehnung an Böhmann und Krcmar
[7] hinsichtlich zweier Dimensionen. Nach Nonaka
und Takeuchi [8] lassen sich vier zyklische Schritte
auf der Dimension der Wissensmanagementaktivitäten unterscheiden:
- Durch Sozialisation werden implizite Wissensinhalte anderer erlernt. Beispiele hierfür sind informelle Erfahrungsaustausche innner- und außerhalb des Büros.
- Explikation stellt die Entwicklung neuen externalen Wissens aus implizitem Wissen dar, z.B. die Erstellung eines Forschungsberichts oder die Dokumentation von Best Practices.
- Durch Kombination externaler Wissensbestände, z.B. spezifisches Technologie-, Produkt- und Marktwissen, entsteht neues Wissen.
- Neues Wissen wird durch Internalisierung zu implizitem, handlungsleitendem und wertschöpfendem Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter.
Orthogonal zu dieser Dimension können unterschiedliche Unterstützungsansätze
im Wissensmanagement unterschieden werden. Je nachdem, ob die Archivierung
von Wissen in Bibliotheken und Archiven im Vordergrund steht, die
Übersichtsgewinnung und der Zugang zum Wissen durch Kartographie
unterstützt, Team- und Communityunterstützung gefördert
oder hauptsächlich der unternehmensinterne Wissensfluss erleichtert
werden soll, haben IT-Werkzeuge und elektronische Medien unterschiedliche
Potenziale. Sie können zu funktionsorientierten Technologiebündeln
zusammengefasst und in eine von diesen beiden Dimensionen aufgespannte
Matrix eingeordnet werden.
Einordnung von Wissensmanagement-Werkzeugen hinsichtlich Unterstützungsansatz und Phase im Wissensmanagement-Zyklus |
In elektronischen Informationsportalen können abteilungs-
und/oder projektbezogene Information gebündelt und Dokumente
zu bestimmten Themen allen Abteilungs- bzw. Projektmitarbeitern
zur Verfügung gestellt werden. Eine typische Realisierung eines
Informationsportals ist ein Intranet-Server, der den Zugriff auf
Applikationen und Datenbestände bietet und auf diese Weise
den Mitarbeitern ermöglicht, Informationen zu sammeln, zu verteilen
und zu speichern.
Dokumentenmanagement-Systeme (DMS)
Die wesentliche Funktion von DMS liegt in der Sammlung und zentralen
Lagerung von Dokumenten in geordneter, strukturierter und verdichteter
Form. Ziel ist es, Transparenz innerhalb des Bestandes zu schaffen.
Dazu müssen die Dokumente mit Zusatzinformationen (Meta-Daten)
versehen werden, damit die richtigen Dokumente zur richtigen Zeit
am richtigen Arbeitsplatz verfügbar sind. Eine weitere Kernfunktionalität
von DMS besteht darin, Berechtigungen und Funktionalitäten
zum kontrollierten Zugriff auf den Dokumentenbestand zu vergeben
(so genannte Check-in/Check-out-Mechanismen). Ein Versionsmanagement
ermöglicht die Verfolgung der Bearbeitungshistorie eines Dokuments.
Information Retrieval/Suchmaschinen
Die ständig wachsende Zahl an elektronischen Dokumenten im
Internet und Intranet erschwert den Überblick. Suchmaschinen
helfen dabei, Datei-Server, Web-Seiten und andere Datenbestände
nach Suchbegriffen zu durchsuchen und nach Kriterien (z.B. Aktualität,
Grad der Übereinstimmung der Schlagwortliste mit der Suchanfrage
etc.) zu ordnen.
Bei Unternehmen, die räumlich weit verteilt und international
agieren, erweist sich ein Expertenverzeichnis als sinnvoll, da auf
diese Weise Spezialisten schnell lokalisiert werden können.
In Expertenverzeichnissen werden Personen mit speziellen Kenntnissen
erfasst und sind somit für jeden in Problemsituationen über
eine Stichwortsuche auffindbar. Expertenverzeichnisse schaffen Transparenz
über die Wissensträger eines Unternehmens und fördern
auf diese Weise die Wissensdiffusion z.B. zwischen F&E-Teams.
Mithilfe aufwendiger statistischer Methoden werden beim Data Mining
die Informations- und Datenbestände (z.B. Produkt-, Entwickungs-,
Marktdaten) eines Unternehmens analysiert, ausgewertet und zu Kennzahlen
aufbereitet. Dabei können komplexe Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten
zwischen Daten gefunden werden, die als Grundlage für unternehmerische
Entscheidungen dienen.
Groupware dient der Realisierung des Computer Supported Cooperative
Work (CSCW). Groupware unterstützt Menschen dabei, räumlich
und zeitlich verteilt miteinander arbeiten zu können. In erster
Linie sollen die Kommunikationsflüsse erhöht und der Austausch
zwischen Wissensträgern und Wissensnutzern erleichtert werden.
Hierzu werden z.B. E-Mail, Videokonferenz-Systeme oder elektronische
Schwarze Bretter eingesetzt. Des Weiteren werden gemeinsame Informationsräume
(z.B. Hypertextsysteme und Datenbanken) angeboten, in denen gemeinsam
erstellte oder benutzte Dateien eingestellt werden können.
Weitere Funktionalitäten liefern kooperative Planungssysteme,
gemeinsame elektronische Kalender oder Gruppeneditoren für
die gemeinsame Dokumentenerstellung.
Newsgroups bieten die Möglichkeit, Nachrichten und Dokumente
zu hinterlassen, die von einem anderen Benutzer zu einem späteren
Zeitpunkt gelesen, beantwortet und kommentiert werden können.
Nachrichten können systematisch sortiert und strukturiert werden.
Die Mitteilungen können von mehreren Personen gelesen werden
(bei Bedarf mit Unterscheidung unterschiedlicher Zugriffsrechte),
wodurch sich eine wiederholte Beantwortung gleicher Fragen vermeiden
lässt.
(Group Decision Support Systems, GDSS)
Sitzungsunterstützungs-Systeme dienen einer Sonderform der
computergestützten Kooperation, dem synchronen Wissensaustausch
innerhalb einer Gruppe zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Die Teilnehmer
können hier parallel Beiträge liefern, während das
System als Moderationsunterstützung die Sitzung strukturiert.
Die Beiträge der Teilnehmer werden mit diesem Instrument anonym
gesammelt und für alle visualisert. Es hat sich gezeigt, dass
auf diese Weise eine höhere Anzahl an unterschiedlichen Beiträgen
von den Sitzungsteilnehmern erbracht wird als bei der Verwendung
konventioneller Moderationsmethoden und -werkzeuge [9]. Vorteilhaft
ist dieses Instrument besonders bei Kreativitäts- sowie bei
Problemlösungsaufgaben.
Computerunterstütztes kooperatives
Lernen
(Computer Supported Cooperative Learning, CSCL)
CSCL geht über die bereits etablierten Formen des Computer
Based Trainings (CBT) hinaus, indem es gezielt die Vorteile des
Lernens in Gruppen hinsichtlich Motivation und wechselseitiger sozialer
Unterstützung nutzt. Die Mitglieder in den Lerngruppen können
jedoch räumlich und zeitlich verteilt gemäß ihren
individuellen Vorlieben und Anforderungen den Stoff erarbeiten.
Durch den Austausch in Newsgroups und das wechselseitige Kommentieren
von Lösungsvorschlägen bei einer bestimmten Fragestellung
soll der Lernfortschritt positiv beeinflusst werden.
Agenten sind elektronische Stellvertreter, die den Benutzer von
IT-Systemen beim Erlernen einer Software und/oder der Erledigung
von Routinetätigkeiten entlasten sollen. Sie können z.B.
ständig im Hintergrund nach Informationen im Internet suchen
und die Suchergebnisse nach definierten Regeln weiterleiten, teilautomatisch
Sitzungsprotokolle erstellen oder Moderatorfunktionen in elektronisch
geführten Diskussionen übernehmen. Koordinierungsagenten
können die günstigste Ressourcenverteilung in einem Arbeitsteam
vorschlagen, die entsprechenden Dokumente für eine Projektbearbeitung
zusammenstellen und jedem Mitarbeiter in kompakter Form zur Verfügung
stellen.
Praxisbeispiel:
IT-unterstütztes Wissensmanagement in der Automobilentwicklung – Vision für die Produktentstehung von morgen
Der Einsatz von Werkzeugen für das kooperative Wissensmanagement
soll an einem Beispiel aus einer Entwicklungsabteilung für
Karosserieteile eines Automobilherstellers verdeutlicht werden.
Die Produktentwicklung in der betrachteten Abteilung findet vor
allem in Teamarbeit statt, wobei ein Entwicklungsteam aus einem
Teamleiter und Vertretern unterschiedlicher unternehmensinterner
Bereiche (Einkauf, Design, Karosserie, Labor etc.) sowie externen
Entwicklungspartnern besteht. Der Teamleiter ist für die Koordination
aller Aktivitäten verantwortlich, die für die Entwicklung
der betreffenden Fahrzeugkomponente und der dazugehörigen Fertigungsmethoden
notwendig sind. Er begleitet, steuert und moderiert den Prozess
von der Projektinitialisierung bis hin zum Serienanlauf in der Produktion.
Die Zusammenarbeit der Teammitglieder wird durch den Einsatz von
Groupware unterstützt. Zum Arbeitsbeginn liest der Teamleiter
seine neuen E-Mails. Ein intelligenter Agent weist ihn auf eine
wichtige Nachricht eines Konstrukteurs einer Zulieferfirma hin,
die besagt, dass ein schwerwiegendes Problem bei der Detailkonstruktion
eines bestimmten Bauteils aufgetreten ist. Da das Problem auch weitere
Funktionsumfänge des Bauteils berührt, beruft der Teamleiter
per E-Mail für den späten Vormittag eine Teamsitzung ein.
Die verbleibende Zeit bis zur Sitzung nutzt der Teamleiter, um
sich einen ersten Einblick in die spezielle Thematik des Problems
zu verschaffen. Zunächst sucht er mit Hilfe einer Suchmaschine
im Unternehmensintranet nach relevanten Dokumenten. Hierbei erlaubt
ihm ein Dokumentenmanagement-System den Zugriff auf den zum fraglichen
Bauteil gehörenden Dokumentenbestand. Anhand des Versionsmanagements
kann er die Entstehungsgeschichte für ihn interessanter Dokumente
verfolgen, z.B. das Pflichtenheft und die Funktionsbeschreibung.
Am späten Vormittag hilft ein videobasiertes Sitzungsunterstützungs-System
(GDSS), die kurzfristig einberufene Teamsitzung ohne die Notwendigkeit
eines räumlichen Zusammentreffens der Teammitglieder abzuhalten.
Dies spart Zeit und Reisekosten, da der Entwicklungspartner sonst
500 km hätte anreisen müssen. Leider kann das Problem
trotz Unterstützung durch das GDSS während der Sitzung
von den Teammitgliedern nicht vollständig gelöst werden.
Deshalb entschließt sich der Teamleiter, am Nachmittag den
Rat eines weiteren Experten zu dem vorliegenden Konstruktionsproblem
einzuholen. In einem elektronischen Expertenverzeichnis sucht er
nach einem geeigneten unternehmensinternen Ansprechpartner. Dabei
erfolgt die Auswahl des Experten durch die Anzahl der von diesem
bereits zu dem Problem veröffentlichten Dokumente, wobei davon
ausgegangen wird, dass derjenige, der viel zu einem Thema veröffentlicht
hat, auch über ein entsprechendes Spezialwissen verfügt.
Das Expertenverzeichnis liefert die Namen, Abteilungsbezeichnungen,
Telefonnummern und E-Mail-Adressen von zwei Spezialisten, die der
Teamleiter sofort anruft. Die Experten geben ihm wertvolle Ratschläge
zur Lösung des Problems. Gleichzeitig wird ihm empfohlen, weitere
Expertenmeinungen auch von außerhalb einzuholen. Der Teamleiter
erhält von seinem Gesprächspartner die Internet-Adresse
einer Experten-Newsgroup. Sofort nach Beendigung des Telefonats
besucht er die Newsgroup und stellt seine drängenden Fragen
ein, bevor er sich anderen wichtigen Themen des Tagesgeschäfts
widmet.
Am späten Nachmittag hat eine Vielzahl von Experten auf seine
Anfrage geantwortet. Deren Antworten erlauben es ihm nun, das Konstruktionsproblem
vollständig zu lösen. Da der Teamleiter um diese Uhrzeit
nicht mehr alle Teammitglieder erreichen kann, stellt er die gefundene
Lösung in ein Informationsportal ein. Auf das Informationsportal
kann jedes Teammitglied zugreifen. Es ermöglicht den Teammitgliedern,
schnell und effizient Informationen innerhalb des Entwicklungsteams
auszutauschen. Ein Koordinationsagent benachrichtigt alle Teammitglieder
über die Lösung der Problems und sendet einen Verweis
auf die Seiten im Informationsportal, so dass spätestens am
nächsten Morgen alle Beteiligten über die Problemlösung
informiert sind.
Gleichzeitig wird die gefundene Lösung didaktisch aufbereitet,
so dass sie auch zu einem späteren Zeitpunkt, z.B. bei gleichen
Problemen in anderen Projekten, weitergegeben werden kann. Dies
kann durch Methoden des computergestützten kooperativen Lernens
unterstützt werden.
Ausblick:
Vergleich der Potenziale von Wissensmanagement in unterschiedlichen Phasen eines F&E-Projekts
Bei dem geschilderten Szenario handelt es sich lediglich um eine
Momentaufnahme, welche die Fülle von Unterstützungsansätzen
durch Wissensmanagement-Werkzeuge für die Mitarbeiter am Ort
des Problems deutlichen machen soll. Dehnt man jedoch den zeitlichen
Betrachtungswinkel aus, müssen die jeweils aktuellen Besonderheiten
der Arbeitsprozesse zu unterschiedlichen Zeitpunkten eines Entwicklungsprojekts
bei der Einsatzplanung von Wissensmanagement-Werkzeugen berücksichtigt
werden.
Ein Produktentstehungsprozess, wie er z.B. in der VDI-Richtlinie
2221 [10] methodisch beschrieben wird, ist in der Praxis in mehrere
Projektphasen gegliedert:
- Die Initialphase dient dazu, Entwicklungsziele zu vereinbaren, die Projektorganisation festzulegen und eine grobe Projektplanung vorzunehmen.
- In der Konzeptionsphase werden neue Ideen und Ergebnisse aus der Vorentwicklung in Prototypen und Muster umgesetzt und mehrere Varianten erstellt.
- Zur Auswahl des besten Lösungskonzeptes dient die Bewertungsphase, in der die Konzeptvorschläge hinsichtlich technischer Realisierbarkeit, Kosten/Nutzen-Relationen und den Anforderungen anderer Fachabteilungen (z.B. Marketing, Design, Vertrieb) miteinander verglichen werden.
- In der Ausführungsphase wird die ausgewählte Variante verfeinert, weiterentwickelt und kontinuierlich getestet. In Abstimmung mit Fertigungsplanern und Produktionsfachleuten erfolgt die Vorbereitung der Serienproduktion.
- Im Zielcontrolling werden die Daten des projektbegleitenden Controllings in die abschließende Projektauswertung, die Enddokumentation und die Endabrechnung integriert.
Zur Absicherung von Investitionsentscheidungen in die IT-Infrastruktur
eines F&E-Projekts soll nun gezeigt werden, wie die Nutzungsverläufe
der einzelnen Wissensmanagement-Werkzeuge in den unterschiedlichen
Phasen aussehen. Leider existieren hierzu noch keine gesicherten
empirischen Daten, so dass die folgenden Ausführungen eher
als plausible Spekulation denn als wissenschaftliche Aussagen verstanden
werden sollen.
Potenziale von Wissensmanagement-Werkzeugen entlang der Phasen eines F&E-Projekts |
Es lassen sich drei unterschiedliche Potenzialkurven erkennen:
Vor allem in der Konzeptphase sollten Systeme eingesetzt werden,
die den Kommunikationsstrom verbreitern und Ideen durch Visualisierung
greifbar und diskussionsfähig machen. Methoden und Werkzeuge
zur Kreativitätsunterstützung und Wissensgenerierung,
wie z.B. GDSS, Groupware etc., versprechen ihren größten
Nutzen in den frühen Phasen eines F&E-Projekts. In späteren
Phasen wird dann das hier entstehende neue Wissen in Produkte umgesetzt,
wobei bis zum Projektende ständig neues Wissen, vor allem auch
durch die spätere Revision vermeintlich gesicherten Wissens,
z.B. über technologische Prozesse, entsteht.
Werkzeuge zur Nutzung vorhandenen Wissens und Archivierung neuen
Wissens werden hingegen zu Projektbeginn nur von wenigen genutzt.
Informationsportale stellen zu Beginn des Prozesses zunächst
lediglich eine leere Strukturhülle dar, die im weiteren Verlauf
mit Dokumenten, Produkt- und Entwicklungsdaten gefüllt wird.
Der erwartete Nutzungsverlauf folgt daher einem exponentiellen Verlauf
mit dem Maximum gegen Ende des Projekts, wenn genügend Inhalt
in den Datenbanken vorhanden ist, um z.B. Methoden des Data Mining
anwenden zu können. Interessant hierbei ist die Bestimmung
der kritischen Masse an Inhalten, bei der die Nutzungskurve steil
ansteigt.
Für Werkzeuge zur Unterstützung von Entwicklungsteams
und Expertengemeinschaften ist hingegen eher ein oszillierender
Verlauf der Nutzungskurve anzunehmen, dessen Amplitude im Projektverlauf
mit der Anzahl beteiligter Fachleute größer wird. Die
Spitzen sind jeweils gegen Ende der Projektphasen lokalisiert, wenn
verbindliche fachliche und technische Lösungen präsentiert
werden müssen und gleichzeitig der Wissensaustausch zwischen
vor- und nachgelagerten Fachstellen (z.B. Bauteilkonstruktion und
Werkzeugbau) besonders notwendig ist.
Die dargestellten Verläufe stellen, wie bereits weiter oben
erwähnt, lediglich plausible Überlegungen zum Nutzungspotenzial
unterschiedlicher Wissensmanagement-Werkzeuge im Projektverlauf
dar. Auf keinen Fall kann z.B. die Ordinate als Anzahl von Clients
im Netzwerk interpretiert werden. Die Verläufe sollen lediglich
Anhaltspunkte für die Einschätzung der Bedeutung der einzelnen
Systeme in unterschiedlichen Phasen sein. Dessen ungeachtet haben
natürlich projektspezifische Rahmenbedingungen, wie z.B. Häufigkeit
und Schwere auftretender Probleme, Menge und Qualität des bereits
im Projekt vorhandenen Wissens über das Produkt und den Herstellungsprozess,
Qualifikationsniveau der Mitarbeiter, Grad der Etablierung von Wissensmanagement
in der Organisation, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss
auf die Nutzung und den Effizienzbeitrag von IT-Werkzeugen. Eine
systematische Analyse von möglichen Einflussgrößen
und/oder deren Kombination steht ebenfalls noch aus.
Fazit
Forschung und Entwicklung zur Schaffung komplexer Produkte ist
auf ein funktionierendes Wissensmanagement angewiesen. Angesichts
beschleunigter Technologiezyklen und sich verkürzender Produktlebensläufe
besteht die Anforderung an wettbewerbsfähige Unternehmen, Wissen
schnell in marktfähige Produkte umzusetzen. Ein auf Teamebene
ansetzendes dezentrales kooperatives Wissensmanagement hilft den
Mitarbeitern, schnell und flexibel auf die kontinuierlich auftretenden
Probleme im Projektverlauf zu reagieren und Lösungen zu finden.
Die rasche und effektive Weitergabe des in den Köpfen einzelner
Entwicklungsingenieure vorhandenen Wissens an Kollegen und neue
Mitarbeiter unterstützt somit die unternehmerischen Bestrebungen
der Gesamtorganisation, Entwicklungszeiten zu verkürzen und
innovative Produkte am Markt anbieten zu können.
Dafür ist es jedoch notwendig, dass der persönliche Nutzen
jedes einzelnen Mitarbeiters sowohl bei der Entwicklung als auch
beim Einsatz von Wissensmanagement-Werkzeugen im Vordergrund stehen.
Darüber hinaus ist das Nutzungs- und Nutzenpotenzial je nach
Projektphase und Funktionszweck unterschiedlich.
Seitenblick
Die Inhalte dieses Artikels wurden im Rahmen des BMB+F-Leitvorhabens
INVITE (Intuitive Mensch-Technik Interaktion in der vernetzten Informationswelt
der Zukunft) erarbeitet. Für weitere Informationen zu INVITE
siehe auch www.invite.de.
Für weitere Informationen zum Institut für Arbeitswissenschaft
der RWTH Aachen siehe auch www.iaw.rwth-aachen.de.
Literatur
[1] Bullinger, H.-J./Warschat, J. (Hrsg.): Concurrent Simultaneous
Engineering Systems: Way to Successful Product Development. London
1995.
[2] Eversheim, W.: Prozessorientierte Unternehmensorganisation.
Konzepte und Methoden zur Gestaltung "schlanker" Organisationen.
Berlin 1995.
[3] Luczak, H./Herbst, D./Schlick, C./Springer, J./Stahl, J.: Kooperative
Konstruktion und Entwicklung. In: Reichwald, R./Wildemann, H. (Hrsg.):
Kreative Unternehmen. Stuttgart 1995.
[4] Endres, E/Wehner, T.: Zwischenbetriebliche Kooperation. Die
Gestaltung von Lieferbeziehungen. Weinheim 1996.
[5] Spieß, E./Nerdinger, F.W.: Kooperation in Unternehmen.
München 1998.
[6] Zölch, M./ Weber, W.G./Leder, L.: Praxis und Gestaltung
kooperativer Arbeit. Zürich 1999.
[7] Böhmann, T./Krcmar, H.: Werkzeuge für das Wissensmanagement.
In: Nonaka, I./Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Frankfurt
am Main 1997.
[8] Nonaka, I./Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Frankfurt
am Main 1997.
[9] Gallupe, R.B./Bastianutti, L.M./Cooper, W.H.: Unblocking brainstorms.
In: Journal of Applied Psychology 76/1991, S. 137-142.
[10] Verein Deutscher Ingenieure: Methodik zum Entwickeln und Konstruieren
technischer Systeme und Produkte (VDI 2221). Berlin 1993.
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