Fachbeiträge
Klein gewinnt!
von Gabriele Vollmar
Larry Prusak, Executive Director des Institute for Knowledge Management in Cambridge, USA, gilt vielen als der Erfinder von Wissensmanagement. Wir sprachen mit ihm über seinen Weg zum Wissensmanagement, die elf Todsünden im Wissensmanagement, die Vorteile kleiner Unternehmenseinheiten, das Aussterben der Dinosaurier und die Frage, warum Manager "Krieg und Frieden" lesen sollten.
Larry Prusak ist Executive Director
des von IBM unterstützten Institute for Knowledge Management
in Cambridge, USA. Er hat sich als einer der Ersten mit dem Thema
Wissensmanagement auseinandergesetzt und gilt vielen als der Erfinder
von Wissensmanagement.
Wir sprachen mit Larry Prusak über
die 11 Todsünden im Wissensmanagement, die Überlegenheit
föderalistischer Strukturen, das Aussterben der Dinosaurier
und die Romane Tolstois.
wm: Mr. Prusak, wann haben Sie angefangen,
sich mit Wissen und dem Management von Wissen zu beschäftigen
und warum?
Prusak: Ich beschäftige mich seit
etwa zehn Jahren mit Wissensmanagement. Als ich damit anfing, war
ich Unternehmensberater für Informationsmanagement. Aber je
länger ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde
mir, dass es nicht Daten und Informationen sind, die Menschen dazu
befähigen ihre Arbeit zu tun oder die Unternehmen einzigartig
machen, sondern dass es das Wissen ist und zwar das Wissen
in den Köpfen.
"Wissensmanagement heißt, den Kontakt zwischen den Menschen herzustellen" |
wm: Aber was genau verstehen Sie unter
Wissen und dann auch unter Wissensmanagement?
Prusak: Wissen als solches gibt es nicht,
es kann immer nur Menschen geben, die etwas wissen. Außerhalb
des Menschen existieren lediglich Daten und Informationen. Deshalb
kann es auch keine Wissens-Software geben, egal was die Software-Hersteller
versprechen. Software-Tools können im Wissensumfeld lediglich
die Kommunikation zwischen den Menschen unterstützen. Und genau
das ist auch Wissensmanagement: den Kontakt zwischen Menschen herstellen.
wm: Momentan erleben wir einen wahren
Wissensmanagement-Boom: Jedes Software-Tool, jede Beraterleistung
erhält das Etikett Wissensmanagement. Fragt man
aber, was genau denn Wissensmanagement sei, kann diese Frage kaum
jemand beantworten, denn der Begriff ist noch immer sehr schwammig.
Liegt darin aber nicht die Gefahr, dass Mitarbeiter oder auch Führungskräfte,
die Wissensmanagement-Projekte gleich welcher Art angehen, schnell
frustriert werden und Wissensmanagement deshalb als eine weitere
nutzlose Management-Mode abtun?
Prusak: Vor zehn Jahren, als ich anfing
mich mit Wissensmanagement zu befassen, arbeitete ich bei Ernst
& Young. Dort waren die Wörter Wissen oder
gar Wissensmanagement verpönt, denn man dachte,
das könne kein Geld einbringen. Und Ernst & Young schien
zunächst Recht zu behalten, denn auf der ersten Konferenz,
die ich 1993 mithalf zu organisieren, waren nur 70 Teilnehmer. Inzwischen
hat sich das geändert; auf einer Vielzahl von Veranstaltungen
auf der ganzen Welt tauschen sich Tausende von Teilnehmern über
Wissensmanagement aus. Mittlerweile befasst sich übrigens auch
Ernst & Young mit dem Thema Wissensmanagement.
Natürlich ist Wissensmanagement ein heiß diskutiertes
und kommerziell ausgebeutetes Thema; wir leben nun einmal in einer
kommerziellen Welt. Aber deshalb dem Wissensmanagement die eigenen
Fehler und Enttäuschungen anzulasten, weil vielleicht die für
teures Geld eingekaufte so genannte Wissensmanagement-Software nicht
das hält, was sie verspricht, wäre, als ob man Jesus für
die Kreuzzüge verantwortlich machte.
wm: Gehört das zu den elf Todsünden
im Wissensmanagement, über die Sie auch geschrieben haben?
Prusak: Ja. Außerdem sind da noch:
- zu denken, es gäbe Wissen losgelöst vom Menschen
- zu denken, Wissen könne in Datenbanken gespeichert werden
- zu denken, Wissen könne produziert werden wie irgendein beliebiges Wirtschaftsgut
- Dokumente und Wissen zu verwechseln
- anzunehmen, Groupware könne Menschen dazu bringen zusammenzuarbeiten
- und noch vieles mehr
wm: Mit welchen Hauptproblemen sehen
sich Unternehmen konfrontiert, die Wissensmanagement praktizieren
wollen?
Prusak: Massive Probleme entstehen z.B.,
wenn ein Unternehmen davon ausgeht, dass seine Wissensprobleme durch
Software gelöst werden könnten. Dann bleibt die bereits
angesprochene (Ent-)Täuschung im doppelten Wortsinn nicht aus.
Ein zweites Problem sind fehlende Ressourcen an Geld, Mitarbeitern,
aber auch Zeit und Freiräumen, um ein solches Projekt, wie
immer dies konkret aussehen mag, ins Leben zu rufen und am Leben
zu halten. Zum Beispiel sind Communities of Practice ein sehr effizientes
Wissensmanagement-Werkzeug. Um solche Gemeinschaften aber zu bilden
oder zusammenzuhalten, bedarf es so genannter Bindungs- und Brückenbauer.
Aber nicht jedes Unternehmen hat oder kennt Mitarbeiter mit den
nötigen sozialen und kommunikativen Fähigkeiten.
"Wissen kann nicht transferiert werden, es kann lediglich diffundieren" |
wm: In Zeiten der Globalisierung machen
sich auch viele klein- und mittelständische Unternehmen auf
den Weg in den Weltmarkt und gründen Außenstellen in
der ganzen Welt. Ein direkter Erfahrungsaustausch unter den Mitarbeitern
ist dann nicht mehr möglich, Wissensmanagement wird in der
Folge zu einer Notwendigkeit. Aber sind nicht die meisten Wissensmanagement-Lösungen
schlicht überdimensioniert für diese Firmen?
Prusak: Ehrlich, es gibt keine Wissensmanagement-Lösungen!
Aber einem Unternehmer, der in diesem Dilemma steckt, würde
ich raten:
- Lassen Sie jedes Büro oder jede Geschäftseinheit selbständig und eigenverantwortlich agieren!
- Versuchen Sie nicht, alles zentral verwalten zu wollen!
- Schaffen Sie eine föderalistische Struktur!
Um Wissen austauschen zu können, müssen Menschen in direktem
Kontakt stehen. Das Wissen WAS kann ich via Groupware
oder ähnlichen Hilfsmitteln austauschen, so haben ja auch wir
unseren Termin heute per E-Mail vereinbart. Wollte ich aber wissen,
WIE Sie ein deutsches Magazin zum Thema Wissensmanagement betreiben,
müsste ich Sie besuchen, lange Gespräche mit Ihnen führen
und Ihnen eine Zeit lang über die Schulter schauen. Wissen
kann nicht transferiert werden, es kann lediglich diffundieren.
Kürzlich wurden in den USA Studien zur optimalen Größe
von Gruppen oder aber auch Geschäftseinheiten angestellt: Es
hat sich gezeigt, dass eine Größe von 150 bis 200 Mitarbeitern
optimal ist. In einer größeren Gruppe kann Wissen nicht
mehr effizient geteilt werden. Das sehr erfolgreiche Start-up-Unternehmen
Viant, ein Internet-Consulter in den USA, gründet ständig
neue Geschäftseinheiten; sobald ein Büro die Grenze von
150 Mitarbeitern überschreitet, wird es geteilt.
"Wenn eine Organisation zu komplex wird, muss sie früher oder später agileren kleineren Unternehmen weichen" |
wm: Die aktuelle Entwicklung geht doch
aber genau in die andere Richtung: Das Motto heißt immer größer,
immer mächtiger; Vodafone übernimmt Mannesmann, Daimler-Benz
fusioniert mit Chrysler usw.
Prusak: In der Tierwelt sind Tiere, die
zu groß werden, wie z.B. die Dinosaurier, irgendwann nicht
mehr lebensfähig und werden von den kleinen Tieren verdrängt.
Ähnliches geschieht in der Wirtschaftswelt: Organisationen,
die über ein bestimmtes Maß hinaus wachsen, werden irgendwann
zu komplex, um noch sinnvoll geführt werden zu können.
Denn letztendlich werden Organisationen immer nur und immer noch
von Menschen geführt und der Mensch ist und bleibt ein Wesen
mit beschränkter intellektueller Aufnahmefähigkeit und
einem ebenso beschränkten Vorstellungsvermögen. Wenn also
eine Organisation zu komplex wird, um sie noch durchschauen und
verstehen zu können, ist sie nicht mehr regierbar und muss
früher oder später agileren kleineren Unternehmen weichen.
wm: Aber was ist mit den viel beschworenen
lernenden Organisationen, können diese sich nicht quasi selbst
fortbilden und evolutiv weiterentwickeln?
Prusak: Nur Menschen, nicht aber abstrakte
Gebilde wie Organisationen sind überhaupt in der Lage zu lernen.
Wenn die Menschen in einer Organisation ihren Wissensstand erhöhen,
erhöhen sie gleichzeitig den Wissensstand dieser Organisation.
Die amerikanische Handelskammer hat bei sieben großen amerikanischen
Firmen, wie z.B. Boing, das Lernverhalten der Mitarbeiter untersucht
und dabei festgestellt, dass mehr als 80% des Wissens über
informelles Lernen durch Zuschauen, Nachmachen, Learning by doing
usw. erworben wird. Die riesigen Ausgaben, die momentan für
Trainings etc. gemacht werden, sind unter diesem Gesichtspunkt mehr
als zweifelhaft.
So habe ich einmal ein Unternehmen beraten, das sich Sorgen darum
machte, dass nur eine Handvoll älterer Techniker mit einem
bestimmten technischen Problem umgehen konnte. Das Unternehmen hat
sich die entsprechende Weiterbildung aller jüngeren Techniker
unterm Strich Millionen kosten lassen. Dabei hatten die älteren
Techniker bei einem Bier ihr Wissen schon längst geteilt!
wm: Wenn aber nur die Menschen innerhalb
einer Organisation, nicht aber diese selbst Wissensträger sein
können, läuft ein Unternehmen immer noch Gefahr, mit einem
scheidenden Mitarbeiter wertvolles Wissen zu verlieren.
Prusak: Bei diesem Schreckensszenario
wird außer Acht gelassen, dass Arbeiten eine soziale Tätigkeit
ist. Wenn ein Mitarbeiter ein Unternehmen verlässt, wird man
feststellen, dass seine Kollegen alleine schon durch die Tatsache
des Zusammenarbeitens normalerweise seine Arbeit und damit auch
sein Know-how recht gut beherrschen. Wichtig ist trotzdem, die Personalfluktuation
so gering wie möglich zu halten und Gemeinschaften nicht durch
zu häufige Wechsel ständig auseinander zu brechen.
wm: Aber das häufige Wechseln des
Unternehmens ist doch gerade das, was die moderne Arbeitsbiografie
heute und wohl noch mehr in Zukunft auszeichnet.
Prusak: Menschen, die häufig ihr
berufliches Umfeld wechseln, sind meist in stabilen individuellen
Netzwerken fest verankert. Es bleibt aber die Tatsache, dass eine
hohe Fluktuation für ein Unternehmen auf lange Sicht tödlich
ist.
wm: Nichtsdestotrotz sind unsere Arbeitswelt,
aber auch unsere Lebenswelt zunehmend durch raschen und diskontinuierlichen
Wandel gekennzeichnet. Diskontinuität aber entspricht nicht
unbedingt der menschlichen Natur.
Prusak: Richtig. Deshalb müssen
Unternehmen, die einem sehr raschen Wandel unterworfen sind, trotzdem
für ihre Mitarbeiter stabile Umgebungen im Kleinen schaffen.
Dann werden diese Mitarbeiter auch über einen längeren
Zeitraum bei den Unternehmen bleiben.
wm: Wir sind hier in Brüssel, Mr.
Prusak. Stellen Sie Unterschiede zwischen der amerikanischen und
europäischen Kultur und Mentalität in Bezug auf Wissensmanagement
fest?
Prusak: Die Europäer scheinen mir
aufgeschlossener im Hinblick auf Zweideutigkeit und weniger technologiehörig.
Die Amerikaner glauben noch immer, mit der richtigen Technik alle
Probleme lösen zu können. Dies mag daran liegen, dass
die meisten Führungskräfte Techniker oder Buchhalter sind,
d.h. sie haben gelernt, dass es auf alles eine eindeutige Antwort
gibt. Das ist aber nicht der Fall!
Früher habe ich Bewerber bei Einstellungsgesprächen immer
nach den Büchern gefragt, die sie beeinflussen. Die Antwort
auf diese Frage oder fast noch mehr das Schuldig-Bleiben einer Antwort
sind sehr aussagekräftig.
wm: Welche Bücher haben denn Sie
selbst beeinflusst, Mr. Prusak?
Prusak: Nun da sind z.B. die Bücher
von Bertram Russell, Max Weber, Karl Marx oder Leo Tolstoi.
wm: Hat auch Tolstoi Ihre Sicht auf das
Wissensmanagement geprägt?
Prusak: Nehmen Sie "Krieg und Frieden"
und wie Tolstoi darin die Schlacht bei Waterloo beschreibt, d.h.
er beschreibt sie eigentlich gar nicht, sondern lässt uns nur
teilhaben an den Erlebnissen und subjektiven Wahrnehmungen seiner
Figuren. Vor dem inneren Auge des Lesers entsteht also keineswegs
ein Schlachtenpanorama, sondern der Leser gewinnt vielmehr den Eindruck
eines heillosen Durcheinanders, dem die Figuren ausgeliefert sind,
weil sie es nicht durchschauen können.
Sich der eigenen eingeschränkten Wahrnehmung in komplexen
Situationen bewusst zu sein, das ist vielleicht das, was Manager
von Tolstoi lernen sollten.
wm: Mr. Prusak, herzlichen Dank für
das Gespräch.
Das Gespräch führte Gabriele Vollmar.
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