Fachbeiträge
Nur ganzheitliche Ansätze führen zum Erfolg
von Prof. Dr.-Ing. Uwe Dombrowski und Silvia Kuper
Wissensmanagement hat in Unternehmen Hochkonjunktur. Dabei stellt sich die Frage, wie sich das Wissen von einem Mitarbeiter zum nächsten, von einer Abteilung in die andere und zwischen Standorten übertragen lässt. Die Theorie diskutiert in diesem Zusammenhang verstärkt die Möglichkeiten auf Basis der Wissenstransformation. Zu erfahren, inwiefern die Modelle, Methoden und Instrumente dieses ganzheitlichen Ansatzes auch in der Praxis deutscher Großunternehmen verbreitet sind, war Zweck einer Befragung des Instituts für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung an der Technischen Universität Braunschweig. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung der Kernaussagen der im Rahmen von Tiefeninterviews befragten Experten aus 14 Großunternehmen, überwiegend aus der Automobilindustrie.
Von Prof. Dr.-Ing. Uwe Dombrowski
und Silvia Kuper
Inhaltsübersicht:
- Aktuelle Implementierungsansätze
- Formen der Wissenstransformation
- Instrumente zur Unterstützung der Wissenstransformation
- Wissenstransformation gezielt fördern
- Chancen und Risiken
- Ausblick
Wissensmanagement hat in Unternehmen Hochkonjunktur. Dabei
stellt sich die Frage, wie sich das Wissen von einem Mitarbeiter zum nächsten,
von einer Abteilung in die andere und zwischen Standorten übertragen lässt.
Die Theorie diskutiert in diesem Zusammenhang verstärkt die Möglichkeiten
auf Basis der Wissenstransformation, deren Bedeutung zunächst im Zusammenhang
mit Untersuchungen zur Wissensgenerierung in japanischen Unternehmen herausgestellt
wurde [1]. Zu erfahren, inwiefern die Modelle, Methoden und Instrumente dieses
ganzheitlichen Ansatzes auch in der Praxis deutscher Großunternehmen verbreitet
sind, war Zweck einer Befragung des Instituts für Fabrikbetriebslehre und
Unternehmensforschung an der Technischen Universität Braunschweig. Lesen
Sie hier eine Zusammenfassung der Kernaussagen der im Rahmen von Tiefeninterviews
befragten Experten aus 14 Großunternehmen, überwiegend aus der Automobilindustrie.
Aktuelle Implementierungsansätze
Die Automobilindustrie zählt als eine der Vorreiterbranchen in Sachen
Wissensmanagement, doch auch hier ist das Wissensmanagement keineswegs überall
vollständig umgesetzt. Gerade zwei Drittel der befragten Unternehmen haben
einen ganzheitlichen Wissensmanagement-Ansatz gewählt, der psychologische,
organisatorische und informationstechnologische Faktoren und damit die Komponenten
Mensch, Organisation und Technik umfasst. Die meisten Organisationen setzen
Wissensmanagement unterstützend ein, um ihre Unternehmensziele zu erreichen
und ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu erhalten. Im Vordergrund steht
dabei häufig, Doppelarbeit zu vermeiden, Transparenz zu schaffen sowie
Wissen bei Mitarbeiterfluktuationen zu bewahren. Mit gezielten Interventionen,
wie dem Einrichten von Communities of Practice, soll die Wissensbasis der Organisation
verändert werden.
Die drei Dimensionen eines ganzheitlichen Wissensmanagement-Ansatzes [2] |
In den meisten Unternehmen wird Wissensmanagement als eine umfangreiche, organisationsübergreifende
Veränderungsaufgabe gesehen, die durchgängig über die Projektarbeit
institutionalisiert wird. So werden in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen
(z.B. Personalwesen, Change Management oder IT-Abteilung) die Rahmenbedingungen
für ein funktionierendes Wissensmanagement geschaffen. Eine gezielt für
die durchgängige Umsetzung etablierte, eigene Abteilung ist aufgrund der
im Wissensmanagement enthaltenen Aspekte eher widersprüchlich. Diese sollten
vielmehr von allen Mitgliedern des Unternehmens ausgehen und getragen werden.
Formen der Wissenstransformation
Der Begriff der Wissenstransformation ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur
vor allem von Nonaka/Takeuchi [1] geprägt worden. Sie greifen die von Polanyi
[2] getroffene Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Wissen auf
und bezeichnen das Zusammenwirken und das jeweilige Überführen der
Wissensbereiche von implizit in explizit (und umgekehrt) als Wissensumwandlung.
Dabei werden vier Formen der Wissenstransformation unterschieden: Sozialisation,
Externalisierung, Internalisierung sowie Kombination.
Die vier Formen der Wissenstransformation [1] |
Die Wissenstransformation beschränkt sich dabei nicht auf die bloße
Überführung und das Zusammenspiel von implizitem und explizitem Wissen.
Die Weitergabe und damit die in der ökonomischen Literatur synonym verwendeten
Termini wie Wissenstransfer oder Wissens(ver)teilung sind untrennbar mit dem
Begriff der Wissenstransformation verknüpft. Da Wissen in diesem Zusammenhang
als ein personengebundenes, von individuellen mentalen Modellen abhängiges
Endprodukt von Lernprozessen verstanden wird und darüber hinaus auf bereits
bestehendem Wissen aufbaut, kann kein bloßer Transfer vergleichbar der
Weitergabe eines physischen Objektes stattfinden. Vielmehr erfolgen bei jeglicher
Art von Wissenstransfer auch eine oder mehrere der oben genannten Transformationsformen.
Instrumente zur Unterstützung der Wissenstransformation
Die Interviews der Befragung brachten eine Vielzahl verschiedener Instrumente
hervor, die in den Unternehmen für die Transformation von Wissen eingesetzt
werden. Sie wurden entsprechend der Nennhäufigkeit durch die Unternehmensvertreter
eingeordnet, wobei ein Mehrfacheingliedern möglich war. Die Grenzen zwischen
den vier Formen der Wissenstransformation sind dabei fließend.
Ausgewählte Instrumente zur Unterstützung der Wissenstransformation |
Dem impliziten Wissen wird im Kontext des Wissensmanagements das größte
Potenzial zugesprochen. Insbesondere über Mentoring und informelle Communities
of Practice, in denen interessierte Mitarbeiter spezielle Themen besprechen,
aus Erfahrungen lernen und gemeinsam neue Ideen entwickeln, wird implizites
Wissen ausgetauscht. So hat sich bei einem der befragten Unternehmen ein so
genanntes Kamin-Gespräch etabliert. Hier treffen Experten und Führungsnachwuchskräfte
aus allen Unternehmensbereichen einmal pro Monat fakultativ während ihrer
Freizeit zusammen, um in ungezwungener Atmosphäre direkt Wissen und Erfahrungen
auszutauschen.
Die Mehrheit der Unternehmen stuft Coaching, Mentoring sowie gegenseitige Partnerschaften,
in denen die Partner selbstorganisiert ihr Lernen gestalten, als besonders relevant
für ein funktionierendes Wissensmanagement ein. Dennoch fällt auf,
dass nur wenige Befragungsteilnehmer die Werkzeuge der Sozialisation als zentrale
Thematik des Wissensmanagements betrachten. Eher sehen die interviewten Experten
diese als einen Zuständigkeitsbereich der Personalabteilung an. So weisen
einige der Unternehmensvertreter auch explizit darauf hin, dass nicht allein
die Sozialisation im Vordergrund der Transformation stehen dürfe. Vielmehr
sei eine ausgewogene Mischung aus allen vier Formen der Wissenstransformation
im Sinne von Nonaka/Takeuchi [1] anzustreben.
Aus informationstechnologischer Sicht auf die Wissenstransformation nutzen
die Unternehmen überwiegend Yellow Pages, Know-how-Datenbanken sowie das
Intranet oder Internetportale. Über diese Systeme soll den Mitarbeitern
in erster Linie bei spezifischen Aufgabenstellungen der Zugang zu Expertise
und relevanten Wissensträgern des Unternehmens geschaffen und eine kollektive,
abteilungs- und standortübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht werden.
Informations- und Kommunikationssysteme können aber nur dann den gewünschten
Nutzen für das Wissensmanagement einer Organisation bringen, wenn sie von
den Mitarbeitern akzeptiert und tatsächlich angewendet werden. Von ihrer
Bereitschaft hängt ab, ob die angebotenen Systeme genutzt und die Daten
gepflegt werden. In diesem Zusammenhang erklärte ein Interviewteilnehmer,
dass vor der Einführung einer solchen Software die Mitarbeiter in seinem
Unternehmen z.B. nach ihrer bevorzugten Darstellungsform und gewünschten
Inhalten befragt worden sind. Entsprechend konnte im Anschluss an eine Präsentation
unterschiedlicher Visualisierungsvarianten und eine detaillierte Mitarbeiterbefragung
herausgefunden werden, inwiefern infrage kommende Wissensmanagement-Software
modifiziert werden muss, um den Vorstellungen der Mitarbeiter zu entsprechen.
[3]
Wissenstransformation gezielt fördern
Der Austausch und das Bereitstellen von Wissen darf in einem Unternehmen nicht
nur gefordert, sondern sollte auch gezielt gefördert werden. Mehrheitlich
beklagen die Unternehmensvertreter, dass aufgrund der Anforderungen des operativen
Tagesgeschäfts die Zeit dafür meist zu knapp ist. Und obwohl den meisten
Experten bewusst ist, dass Wissensarbeit nur geleistet werden kann, wenn den
Mitarbeitern dafür auch genügend Zeit eingeräumt wird, werden
diese Freiräume nur selten gewährt. Häufig wird von den Mitarbeitern
verlangt, entsprechende Aktivitäten in die Freizeit zu verlegen.
Anreiz- und Belohnungskonzepte sind nur in Ansätzen in wenigen der befragten
Unternehmen vorhanden. Finanzielle Anreize wie Erfolgsbeteiligungen werden im
Zusammenhang mit Wissensmanagement kaum eingesetzt. Vielmehr stufen die Interviewpartner
hier immaterielle Anreize als zielführend ein. Eines der Unternehmen startet
gerade den Versuch, das allgemeine Belohnungssystem dahingehend zu erweitern,
dass Mitarbeiter, die bereit sind, ihr Wissen weiterzugeben und z.B. in Yellow
Pages offen zu legen, dafür den prestigeträchtigen Status eines Experten
öffentlich verliehen bekommen.
Ein anderes Unternehmen sieht einen wissensförderlichen Ansatz darin,
Aspekte der Wissensteilung als einen Baustein auf dem Karrierepfad der Mitarbeiter
zu betrachten: Eine Führungskraft, die potenzielle Nachfolger in ihrer
Abteilung entwickelt, fördert so ihre eigene Karriere in der Organisation.
Außerdem wird die Bereitschaft der Mitarbeiter, ihr Wissen zu teilen,
in ihre Beurteilung aufgenommen. Gleichzeitig werden mit jedem Mitarbeiter konkrete
Wissensziele vereinbart, die sich über ein Management by Knowledge Objectives
aus den Unternehmenszielen ableiten lassen. Dabei sollten sowohl interne als
auch Umwelteinflüsse berücksichtigt werden.
Chancen und Risiken
Viele Interviewpartner betonen, dass das Top-Management anstehende Projekte zur
Implementierung von Wissensmanagement explizit unterstützen muss, damit diese
nicht versanden. Aber auch die Bereitschaft der Mitarbeiter ist ein wesentlicher
Erfolgsfaktor für das Wissensmanagement. Um die Akzeptanz der Belegschaft
für neu eingeführte Prozesse und Tools zu erlangen, ist es nach Auffassung
eines Unternehmensvertreters wichtig, ein intensives internes Marketing zu betreiben,
zumal sich der Erfolg von Wissensmanagement bisher nicht mit eindeutigen Kennzahlen
belegen lasse. Dabei sollten sich die Akteure des Wissensmanagement-Projekts ernsthaft
mit Widerstandsursachen beschäftigen, um Opponenten zielgerichtet ihre Ängste
zu nehmen.
Von noch größerer Bedeutung für eine erfolgreiche Umsetzung
des Wissensmanagements ist es nach Meinung einiger der Befragungsteilnehmer,
bei jenen Mitarbeitern im Unternehmen anzusetzen, die bereits ein positiv besetztes
Verständnis von Wissensmanagement haben. Diese sollten als Promotoren gewonnen
werden, die ihre unentschlossenen Kollegen begeistern und aktiv einbeziehen.
Solche Wissenspromotoren gilt es im Unternehmen zu identifizieren und gezielt
anzusprechen.
Werden innerhalb eines Unternehmens allerdings nicht die nötigen strukturellen
und kulturellen Rahmenbedingungen geschaffen, ist ein erfolgreiches Wissensmanagement
nur eingeschränkt möglich. Vor diesem Hintergrund heben einige Experten
den Wandel zu einer eher prozessorientierten Unternehmensstruktur mit klar definierten
Verantwortlichkeiten hervor. Weiterhin stufen sie eine adäquat gestaltete
Unternehmenskultur als ebenso bedeutsam ein. Diese sollte einen kontinuierlichen
Wissenstransfer zwischen Mitarbeitern, Abteilungen und Unternehmensbereichen
unterstützen und von Lern- und Innovationsfähigkeit sowie von Vertrauen
und Fairness, Offenheit und Authentizität geprägt sein. So weist ein
Interviewpartner explizit darauf hin, dass eine Wissensmanagement-Initiative
ohne davon überzeugte Mitarbeiter mit großer Wahrscheinlichkeit zum
Scheitern verurteilt sei. Nur wenn die Mitarbeiter einen konkreten persönlichen
Nutzen im Wissensmanagement sehen und die Einstellung „Wissen ist Macht“
überwinden, sind sie bereit, ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit anderen
zu teilen und gemeinsam weiterzuentwickeln.
Fazit
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass in vielen deutschen Großunternehmen
die Modelle, Methoden und Instrumente des Wissensmanagements etabliert sind.
Wissensmanagement nimmt vor allem in der Automobilindustrie einen hohen Stellenwert
ein und wird in Zukunft immer mehr den Erfolg eines Unternehmens mitbestimmen.
Dabei sei allerdings vor einer undifferenzierten Verklärung gewarnt: Damit
Wissensmanagement tatsächlich den gewünschten Nutzen bringen kann,
ist realistisch einzuschätzen, inwiefern den Dimensionen Mensch, Organisation
und Technik gleichermaßen Rechnung getragen wurde, welche Chancen und
Risiken damit verbunden sind und wo noch Handlungsbedarf besteht. Einzig jene
Unternehmen, die ein ganzheitliches Wissensmanagement mit aufeinander abgestimmten
Modellen, Methoden und Instrumenten etablieren, können auch künftig
einen Beitrag zur Bewältigung der internen und marktbedingten Herausforderungen
leisten.
Literatur:
[1] Nonaka, I./Takeuchi, H.: Die Organisation
des Wissens: Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar
machen. Frankfurt/M.: Campus 1997.
[2] Polanyi, M.: Implizites Wissen. Frankfurt/M.:
Suhrkamp 1985.
[3] Dombrowski, U./Horatzek, S./Zeisig,
M.: Situatives mitarbeiterbezogenes Management der Ressource „Wissen“.
In: wt Werkstattstechnik online 6/2002.
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