Fachbeiträge
Eine Frage der Verständigung: Deutsche Unternehmen und englische Sprache
von Stefan Hartwig
Englisch begegnet uns hierzulande immer häufiger in Werbeaussagen oder sogar als Unternehmenssprache. In beiden Bereichen gibt es – unabhängig von weltanschaulichen oder geschmacklichen Fragen – handfeste betriebswirtschaftliche Faktoren, die berücksichtigt werden sollten. Vor diesem Hintergrund warnt Stefan Hartwig vor leichtfertigen Englisch-Deutsch-Mischungen und dem Einsatz des Englischen als allgemeiner Konzernsprache.
Von Stefan Hartwig
Inhaltsübersicht:
- Teure Missverständnisse durch unsinnige Werbebotschaften
- Unternehmenssprache und Sprachen im Unternehmen
- Fazit
Englischsprachige Werbebotschaften landeten im Herbst
2003 in der Illustrierten „Die Bunte“ auf der Out-Liste. Begründung:
„Klingen flott, werden aber von den meisten Deutschen gar nicht oder völlig
falsch verstanden“. Englisch begegnet uns hierzulande immer häufiger
in Werbeaussagen oder sogar als Unternehmenssprache. In beiden Bereichen gibt
es – unabhängig von weltanschaulichen oder geschmacklichen Fragen
– handfeste betriebswirtschaftliche Faktoren, die berücksichtigt
werden sollten.
Die öffentliche Kritik an Englisch-Deutsch-Mischungen
nimmt zu. Zur „Bunten“ gesellte sich Focus-Chefredakteur Helmut
Markwort und schrieb Ende 2003 mit offensichtlichem Spott auf der ersten Seite
seines Magazins: „Wieder zwei Beispiele von wichtigtuerischem Denglisch
notiert. Ein Kollege hat in einem Trimmstudio einen Aushang gelesen, wonach
ein ‚hand-out beim check-in‘ liege. Abends höre ich mit eigenen
Ohren, wie ein Manager seinem Kollegen berichtet, er habe mit Herrn Soundso
zwei ‚one-to-one-meetings‘ gehabt. Unsereiner hätte gesagt,
wir haben uns zweimal getroffen. Die beiden haben sich wahrscheinlich auch noch
gegenseitig ‚gebrieft‘“.
Wenn Wirtschaftsbosse ihre Botschaften derartig verklausulieren, wird weit
mehr als eine Geschmacksfrage daraus. Denn das Sprachgemisch kann dann leicht
als nichtssagender Werbespruch oder schlimmstenfalls als Verschleierung verstanden
werden. So prangerte das Handelsblatt unlängst als Zitat des Tages eine
Aussage von Degussa-Chef Utz-Hellmuth Flecht an, der über den konzerninternen
Wissensaustausch sagte: „Auf der Basis von Blue Spirit, unserer Unternehmenskultur,
sind vor wenigen Monaten die Initiativen Linking Knowledge und Solutions to
Customer gestartet“. Diese Aussage ist zweifellos ungeeignet, einem Außenstehenden
– sicher aber auch den meisten Mitarbeitern – eine klare Botschaft
zu vermitteln.
Teure Missverständnisse durch unsinnige Werbebotschaften
Im September 2003 sorgte eine Untersuchung der Kölner Agentur Endmark
für Aufsehen. Die auf die Namensfindung für Produkte, Dienstleistungen
oder Firmen spezialisierte Agentur hatte untersucht, ob und wie die Deutschen
aktuelle englischsprachige Werbebotschaften verstehen. Das Ergebnis der Studie
mit 1.100 Befragten war: Die meisten der untersuchten Werbesprüche wurden
von der Mehrheit nicht oder nicht so wie gemeint verstanden. So konnten z.B.
nur 15 Prozent der Befragten den Siemens-Slogan „Be inspired“ korrekt
übersetzen. Die RWE-Botschaft „One group, one utility“ konnten
sogar nur noch 8 Prozent verstehen. Bedenkt man, wie viel Geld ausgegeben wird,
um solche Botschaften zu kommunizieren, zeigt sich der immens große betriebswirtschaftliche
Schaden, der durch nicht verstehbare Werbebotschaften entsteht.
Meist ist es das kleinere Übel, überhaupt nicht verstanden zu werden.
Missverständnisse hingegen lösen teilweise etwas ganz anderes oder
sogar entgegengesetztes bei den Menschen aus, als vom Unternehmen gewünscht.
Es klingt wie ein Witz, dass die Botschaft von Douglas „Come in and find
out“ von rund 20 Prozent der Befragten als „Komm rein und finde
wieder heraus“ verstanden wurde oder das „Powered by emotions“
von Sat 1 mit Strom assoziiert wurde. In beiden Fällen ist das Verstandene
geeignet, dem Unternehmen zu schaden.
Tragen denn nun die Unternehmen die Hauptschuld an nicht verstehbaren Werbebotschaften?
Schließlich neigen besonders Marketingagenturen dazu, den eigenen Soziolekt
bei den Zielgruppen vorauszusetzen, die sie im Auftrag der Unternehmen ansprechen
sollen. Diese Annahme ist unprofessionell und führt zu handwerklichen Fehlern.
Botschaften von Unternehmen sollten von denen verstanden werden, an die sie
sich richten, und nicht primär den Sprachgewohnheiten derer entsprechen,
die sie formulieren. Oder anders ausgedrückt: In der Marketingkommunikation
ist die Reihenfolge vorgegeben – und zwar: Zielgruppe identifizieren,
gewünschte und angestrebte Reaktion festlegen und dann erst – dazu
passend – die Marketingbotschaft entwerfen. Zum Schluss folgen Schritte
wie die Auswahl geeigneter Medien oder das Bereitstellen des Budgets.
Es ist im Marketing inzwischen Gemeingut, auch bei globalen Kampagnen auf nationale,
nötigenfalls sogar regionale sozio-kulturelle und sprachliche Rahmenbedingungen
einzugehen, um die gewünschte Wirkung zu entfalten. In Philipp Kotlers
Handbuch „Grundlagen des Marketing“ heißt es dazu: „Standardisierung
ignoriert, dass jeder nationale Markt seine Eigenheiten hat. (...) Ein paneuropäisches
Werbekonzept erscheint für die meisten Produkte nahezu undenkbar, da schon
zwischen den Staaten Europas große Unterschiede in Bezug auf Kultur, Sprachen,
Traditionen, Musik, Überzeugung, Wertvorstellung und Lebensstil bestehen“.
Wie kann man angesichts dieser Befunde auf die Idee kommen, für Märkte
Sprachen auszuwählen, die dort nicht verstanden werden?
Unternehmenssprache und Sprachen im Unternehmen
Doch nicht nur im Marketing zeitigt der unüberlegte Einsatz des Englischen
mitunter immensen Schaden. Auch innerhalb eines Unternehmens können Informationsverluste
durch sprachliche Missverständnisse nicht nur im Bereich Forschung und
Entwicklung, sondern auch überall sonst, wo es auf Genauigkeit und Vollständigkeit
ankommt, fatal sein und hohe Folgekosten erzeugen.
Verschiedene Unternehmen mit umfangreichem Auslandsgeschäft haben Englisch
als Konzernsprache gewählt. Bei einer solchen Entscheidung gilt es zu bedenken:
Man muss die Mitarbeiter dann auch flächendeckend in die Lage versetzen,
Englisch zu verstehen, ja mehr noch, in dieser Sprache wie in der eigenen arbeiten
zu können. In einer Sprache zu Hause zu sein, das bedeutet weit mehr als
Schulenglisch oder Grundkenntnisse aus Urlaub und Filmen. Es bedarf einer intensiven
Sprachschulung, die über zwei Stunden pro Woche hinausgeht und auch ein
privates Nacharbeiten einschließt.
Wenn es um die Sprachen im Unternehmen geht, müssen die Mitarbeiter sowohl
der in- als auch der ausländischen Unternehmensstandorte berücksichtigt
werden. Bei der Wahl des Englischen als Unternehmenssprache gilt es zu beachten,
dass auch die nicht-englischsprachigen Mitarbeiter darin perfekt kommunizieren
können müssen. Darum ist zu prüfen, in welchen Ländern die
Mitarbeiter über welche Sprachkenntnisse verfügen: Es nützt nichts,
wenn Franzosen, Spanier und Deutsche in dem kommunizieren, was sie jeweils für
Englisch halten, und sich dennoch nicht verstehen, weil keiner die Sprache wirklich
beherrscht.
Bedacht werden muss auch, wie viele Mitarbeiter in Deutschland noch nicht einmal
die deutsche Sprache gut beherrschen. So war im Oktober 2003 im Informationsdienst
des Instituts der Deutschen Wirtschaft unter der Überschrift „Man
spricht – zu wenig – Deutsch“ folgendes zu lesen: „Die
größten Handicaps der heranwachsenden Türken, Griechen, Kroaten,
Polen, Spanier oder Italiener sind ungenügende Sprachkenntnisse und schlechte
oder fehlende Schulabschlüsse. (...) Fast 50 Prozent der Jugendlichen aus
Zuwandererfamilien kommen nach Angaben der internationalen PISA-Studie im Lesen
nicht über die Kompetenzstufe I hinaus. Sie können dem Schulunterricht
inhaltlich kaum folgen.“ Wie aber sollen Mitarbeiter, die bereits die
Sprache ihres Gastlandes nicht vollständig beherrschen, auch noch eine
dritte Sprache so hinreichend erlernen, um darin arbeiten zu können?
Und nicht zuletzt: Was spricht eigentlich dagegen, dass ein in Deutschland
beheimateter Konzern die eigene Sprache statt des Englischen als allgemeine
Unternehmenssprache für alle Standorte wählt? Schließlich ist
Deutsch als Fremdsprache allen Negativmeldungen zum Trotz nicht nur in Ost-
und Mitteleuropa nach wie vor sehr beliebt, sondern auch in anderen Teilen der
Welt – sei es als erste oder zweite Fremdsprache, sei es als Sprache ehemaliger
Gastarbeiter, Austauschstudenten oder alliierter Soldaten, sei es als Sprache
für Wissenschaftler, Tourismusbeschäftigte oder Handeltreibende. Man
schätzt, dass derzeit weltweit etwa 130 Millionen Menschen Deutsch als
Muttersprache sprechen und 15 bis 18 Millionen Deutsch als Fremdsprache lernen.
Fazit
Es gibt gute Gründe, den Einsatz des Englischen in Werbebotschaften oder
als generelle Unternehmenssprache sowie eine leichtfertige Vermischung von Englisch
und Deutsch zu vermeiden. Denn kaum ein Fehler ist schwerwiegender als einer,
aufgrund dessen Kunden das Unternehmen oder die Mitarbeiter sich untereinander
nicht oder nicht richtig verstehen
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren
Fachbeitrag Kommunikation
Change Management: Mitarbeiter informieren, motivieren, aktivieren
von Stefan Bald
Fachbeitrag Changemanagement
Die vier Phasen eines Veränderungsprozesses
von Hans-Werner Bormann
Fachbeitrag Social Media
Das Gießkannenprinzip ist passé
von Carsten Rossi und Walter Huber
Fachbeitrag Changemanagement
Veränderungsprozesse: Akzeptanz aktiv fördern
von Reiner Czichos
Fachbeitrag Customer Relationship Management
Das Unternehmen aus Sicht seiner Kunden
von Dirk Zimmermann