Fachbeiträge
Nachlesen oder Nachfragen? - Ein Ansatz zur Intensivierung des Wissenstransfers
von Prof. Dr.-Ing. Uwe Dombrowski, Sascha Horatzek, Johannes Wrehde
Wie lässt sich der Wissensaustausch in Unternehmen vorantreiben? Mit dieser Frage hat sich das Institut für Fabrikbetriebslehre und Unternehmensforschung (IFU) der Technischen Universität Braunschweig beschäftigt. Ergebnis ist ein ganzheitliches Wissensmanagement-Konzept, das eine erhöhte Handlungskompetenz der Mitarbeiter zum Ziel hat. Dabei werden unter Berücksichtigung der verschiedenen Wissensarten bzw. der diversen Formen der Wissensumwandlung passende Strategien des Wissenstransfers gewählt.
Von Prof. Dr.-Ing. Uwe Dombrowski,
Sascha Horatzek, Johannes Wrehde
Inhaltsübersicht:
- Wissensmanagement steigert die Handlungskompetenz
- Neues Wissen entwickeln
- Vorhandenes Wissen zugänglich machen
- Fazit
Wie lässt sich der Wissensaustausch in Unternehmen
vorantreiben? Mit dieser Frage hat sich das Institut für Fabrikbetriebslehre
und Unternehmensforschung (IFU) der Technischen Universität Braunschweig
beschäftigt und dafür ein ganzheitliches Wissensmanagement-Konzept
entwickelt.
Unternehmen müssen zunehmend schneller auf Marktanforderungen reagieren. Sie
können es sich daher nicht leisten, die Ausführung ihrer Unternehmensprozesse
durch Wissensdefizite unnötig zu verzögern. Wissen über Verbesserungen, Wissen
zur Fehlervermeidung, Wissen über Kunden und Wettbewerber sowie die Partizipation
an den Erfahrungen anderer sind nur einige wenige Beispiele, die den wettbewerbsentscheidenden
Zeitvorsprung verschaffen können. Die wesentliche strategische und operative
Ressource im indirekten Bereich ist daher das Wissen der Mitarbeiter [1],
das in der Literatur bereits als vierter Produktionsfaktor beschrieben wird
[2]. Wissen ist jedoch eine Ressource, die nur ganzheitlich gemanagt werden
kann, also auf Beiträge aus den unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten angewiesen
ist. Mit dem Thema Wissensmanagement beschäftigen sich daher sowohl Ingenieure
als auch Informatiker, Betriebswirte und Sozialwissenschaftler. Dies unterstreicht
bereits seine interdisziplinäre Ausprägung. Dabei lassen sich traditionell drei
Gestaltungsfelder des Wissensmanagements unterscheiden: die Informationstechnologie,
die psychologischen Faktoren und die Organisationsstruktur.
Insbesondere eine zu starke IT-Gläubigkeit war immer wieder die Ursache für
ein Scheitern von Wissensmanagement-Projekten [1]. Während
also der Fokus der Unternehmen in der Vergangenheit auf IT-zentrierten Lösungen
lag, vergaß man, gleichzeitig ein Milieu zu schaffen, das die Bereitschaft zur
Wissensteilung fördert und die IT-Lösung dabei als Hilfsmittel nutzt. Eine übergeordnete
Funktion wird dabei der Unternehmenskultur zuteil. Denn das Wissen der Mitarbeiter
kann nicht ohne deren Bereitschaft für das Unternehmen verfügbar gemacht werden.
Eine diesbezügliche Optimierung ist also in besonderer Weise auf die Mitwirkungsbereitschaft
und die Initiative der Mitarbeiter angewiesen.
In diesem Artikel wird deshalb ein Wissensmanagement-Ansatz vorgestellt, der
den Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitern eines Unternehmens intensiviert.
Dabei werden unter Berücksichtigung der verschiedenen Wissensarten bzw. der
diversen Formen der Wissensumwandlung passende Strategien des Wissenstransfers
gewählt.
Wissensmanagement steigert die Handlungskompetenz
Wissensmanagement wird nicht zum Selbstzweck betrieben, sondern soll die Handlungskompetenz
der Mitarbeiter erhöhen. Deshalb muss das Wissensmanagement dazu beitragen,
dass alle Bausteine zur Handlungskompetenz erfüllt werden.
Die Bausteine zur Handlungskompetenz |
Um kompetent zu handeln, brauchen Mitarbeiter einerseits die erforderliche
Fähigkeit, andererseits die Bereitschaft zur Handlung. Die Fähigkeit wird dabei
durch die Bausteine Kennen und Können hergestellt. Zum besseren Verständnis
sei hier auf die auf Polanyi zurückgehende Einteilung in explizites und implizites
Wissen verwiesen [3]: Explizites Wissen lässt sich in formaler,
systematischer Sprache weitergeben. Implizites Wissen hingegen ist persönlich,
kontextspezifisch und daher nur schwer kommunizierbar [4].
Während explizites Wissen zum Beispiel in Berichte, Dokumente oder Verfahrensanweisungen
umwandelbar ist und dann in Form von Daten vorliegt, handelt es sich beim impliziten
Wissen um Erfahrungen, Weltsichten und Fertigkeiten. Der Baustein Kennen bezieht
sich im Wesentlichen auf explizites Wissen, das vom Mitarbeiter gegebenenfalls
nachgeschlagen werden kann. Beim Können handelt es sich hauptsächlich um implizites
Wissen, das er sich während seines Werdegangs angeeignet hat.
Die Bereitschaft zur Handlung wird durch die Bausteine Wollen, Sollen/Dürfen
und Zeit haben gewährleistet. Während die Fähigkeit eines Mitarbeiters ganz
wesentlich durch Wissensmanagement beeinflusst werden kann, ist das Herstellen
der Bereitschaft zu einem großen Teil eine Führungsaufgabe. Neben Motivation
muss der Mitarbeiter mit den nötigen Befugnissen ausgestattet sein. Und schließlich
ist es unabdingbar, dass ihm ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Gibt es Defizite
bei einem der genannten Bausteine, ist die kompetente Handlung durch den Mitarbeiter
gefährdet.
"Wissensmanagement beschränkte sich in Unternehmen bislang meist darauf, ausgewählte
Mitarbeiter an teuren Weiterbildungsprogrammen teilnehmen zu lassen."[5]
Vergleicht man in diesem Zusammenhang die Arbeitsergebnisse zweier Personen
mit identischer Formalqualifikation, so zeigen sich in der Regel deutliche Unterschiede.
Ursache dafür ist, dass sich die Qualifikation nur auf einen einzelnen Baustein
zur Handlungskompetenz (Können) bezieht. Da Unternehmen jedoch in erster Linie
an einer Steigerung der Handlungskompetenz ihrer Mitarbeiter insgesamt interessiert
sind, müssen Wissensmanagement-Konzepte die Fähigkeit als Ganzes stärken, aber
auch durch Führungsverhalten stützen, damit die Bereitschaft der Mitarbeiter
ebenso gewährleistet ist wie die Fähigkeit.
Neues Wissen entwickeln
Nach Nonaka/Takeuchi entsteht neues Wissen in Unternehmen durch Wissensumwandlung,
die in den vier Formen Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung
auftritt.
Die vier Formen der Wissensumwandlung [4] |
Bei der Sozialisation wird implizites Wissen weitergegeben: "Sozialisation
ist ein Erfahrungsaustausch, aus dem erneut implizites Wissen wie etwa technische
Fertigkeiten entstehen."[4] Die Grundlage dafür bilden Beobachtung,
Nachahmung und Praxis. Bei der Externalisierung wird implizites in explizites
Wissen umgewandelt. Das implizite Wissen wird dabei in Form von Beispielen,
Analogien oder Modellen deutlich. Die Kombination verbindet explizites Wissen
verschiedener Kontexte. Dabei wird durch Recherche vorhandenen Wissens und dessen
Kombination in einem anderen Kontext ein Mehrwert erzeugt, der wiederum explizit
vorliegt. Durch Internalisierung wird explizites Wissen verinnerlicht und so
in implizites Wissen umgewandelt. Damit ist die Internalisierung nahe verwandt
mit dem so genannten Learning by doing.
Nachdem erläutert wurde, wie neues Wissen entstehen kann, gilt es nun, die
Frage zu klären, wie dieses Wissen anderen Personen zugänglich gemacht werden
kann, um deren Handlungskompetenz zu steigern.
Vorhandenes Wissen zugänglich machen
Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass alles implizite Wissen im Unternehmen
explizit gemacht werden kann. Untersuchungen zufolge besteht die Wissensbasis
von Unternehmen zu 80% aus implizitem Wissen, wohingegen nur 20% explizit, d.h.
dokumentierbar sind [1]. Demnach befindet sich der wesentliche
Anteil der Wissensbasis in den Köpfen der Mitarbeiter. Dennoch ist die Umwandlung
von implizitem in explizites Wissen, also die Externalisierung, ein wichtiger
Bestandteil einer Wissensmanagement-Strategie. Der Grund dafür ist, dass im
Zuge des Wissenstransfers explizites Wissen leichter zugänglich ist als implizites
Wissen.
Der Wissenstransfer im Unternehmen sollte nach dem am Institut für Fabrikbetriebslehre
und Unternehmensforschung (IFU) der TU Braunschweig entwickelten Wissensmanagement-Konzept
stets mehrgleisig erfolgen: über einen Adhoc-Wissenstransfer einerseits sowie
über einen organisierten Wissenstransfer andererseits. Beim Adhoc-Wissenstransfer
werden u.a. Wissensmanagement-Tools eingesetzt. Diese Tools sind mittlerweile
in einer Vielfältigkeit an Ausprägungen verfügbar (z.B. klassische Datenbanken,
intranetbasierte Portale, Gelbe Seiten, Dokumentenmanagement-Systeme oder Expertensysteme).
Hier kann der Wissensbedürftige seinen Wissensbedarf durch Nachlesen decken,
falls das benötigte Wissen in expliziter Form vorliegt. Dazu muss er wissen,
dass es dieses Tool gibt und welche Art von Informationen er dort finden kann
(Kennen).
IFU-Konzept zur Wissensbewahrung, -verteilung und -nutzung |
Für den Fall, dass das benötigte Wissen nicht im Wissensmanagement-Tool vorliegt
oder der Wissensbedürftige nicht in der Lage ist, das in expliziter Form vorliegende
Wissen zu internalisieren bzw. mit seinem Erfahrungshorizont zu verknüpfen,
werden im Tool Ansprechpartner hinterlegt. Somit ist dem Wissensbedürftigen
die Möglichkeit gegeben, mit Trägern von implizitem Wissen Kontakt aufzunehmen.
Diese geben ihr Wissen direkt an den Wissensbedürftigen weiter. Dabei kann der
Wissensbedürftige durch die Art der Kontaktaufnahme wählen, ob er die gewünschten
Informationen direkt (z.B. durch ein Telefonat) oder indirekt (z.B. per E-Mail)
erfährt.
Beim organisierten Wissenstransfer werden Wissensträger mit Wissensbedürftigen
(z.B. Berufseinsteiger) zusammengebracht, im gegebenen Beispiel durch Projektarbeit.
Innerhalb dieser Projektarbeit lebt der Wissensträger sein implizit vorhandenes
Wissen vor, welches vom Wissensbedürftigen erlebt wird (Sozialisation). Zudem
sind die Ergebnisse der Projektarbeit, die aus Unternehmenssicht innovatives
Wissen darstellen [6], zu externalisieren und in das Wissensmanagement-Tool
einzupflegen, so dass es wiederum als explizites Wissen für den Adhoc-Wissenstransfer
zur Verfügung steht.
Damit der gewünschte Wissenstransfer überhaupt zustande kommt, bedarf es einer
Unternehmenskultur, welche die Mitarbeiter bestärkt, sich Wissen anzueignen
und es anderen zur Verfügung zu stellen. Laut einer Umfrage des Fraunhofer IPK
unter kleinen und mittleren Unternehmen ist die Unternehmenskultur der mit Abstand
wichtigste Erfolgsfaktor (44%) bei der Einführung von Wissensmanagement [7].
Allerdings sind Unternehmenskulturen häufig noch an veralteten Idealen ausgerichtet.
Mitarbeiter sehen sich in Konkurrenz zueinander, vermuten Interessengegensätze
zwischen sich und der Unternehmensleitung und sind tendenziell eher bemüht,
eigenes Wissen für sich zu behalten, um für das Unternehmen nur schwer ersetzbar
zu sein [8]. Dieser kulturellen Hürde gilt es entgegenzuwirken, indem die Mitarbeiter
für die Vorteile des Wissensaustauschs sensibilisiert werden.
Fazit
Das Wissen der Mitarbeiter eines Unternehmens ist ein wesentlicher strategischer
Wettbewerbsfaktor. Wissensmanagement sollte jedoch nicht zum Selbstzweck betrieben
werden, sondern in erster Linie die Handlungskompetenz der Mitarbeiter steigern.
Mit den beiden Strategien des Adhoc- und des organisierten Wissenstransfers wurde
ein Wissensmanagement-Ansatz vorgestellt, der mit seinen Schwerpunkten Wissensbewahrung,
-verteilung und -nutzung den Wissenstransfer zwischen den Mitarbeitern eines Unternehmens
intensiviert und somit einen Beitrag zur Steigerung der Handlungskompetenz jedes
Mitarbeiters leistet.
Literatur:
[1] Bullinger, H.-J./Ilg, R./Ohlhausen,
P./Wagner, K.: Mit Wissensmanagement neue Potentiale erschließen. Vortrag auf
der 20. Saarbrücker Arbeitstagung 1999.
[2]Stewart, T.A.: Der vierte Produktionsfaktor
- Wachstum und Wettbewerbsvorteile durch Wissensmanagement. München: Hanser
1998.
[3]Polanyi, M.: Implizites Wissen. Frankfurt/M.:
Suhrkamp 1985.
[4]Nonaka, I.; Takeuchi, H.: Die Organisation
des Wissens: Wie japanische Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar
machen. Frankfurt/M.: Campus 1997.
[5] Steinert, C./Büser, T.: Kompetenzsteigerung
wird zum Ziel erklärt. In: Personalmagazin 10/2001.
[6] Dombrowski, U./Horatzek, S.: Die Matrix
- Entwicklung eines Werkzeugs für dezentrales Wissensmanagement. In: Zeitschrift
für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb (zwf) 3/2002.
[7] Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie: e-facts - Informationen zum E-Business 10/2002.
[8] North, K./Varese, N.: Motivieren für
die Wissensteilung und die Wissensentwicklung. In: (wissensmanagement
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