Fachbeiträge
Auf den Trichter gekommen
von Stefan Müller-Ivok
E-Learning ist in aller Munde. Man hat die webbasierte Weiterbildung der Mitarbeiter längst als wichtigen Schlüssel zu nachhaltigem Unternehmenserfolg erkannt. Die dafür notwendigen Strukturen werden jedoch oft ins Blaue hinein geplant - und zwar dann, wenn ausschließlich die technische Umsetzung im Fokus steht und die eigentlichen Ziele nachträglich aufgepfropft werden. Der Pharmakonzern Aventis zeigt, dass es anders herum besser geht. Ein Praxisbericht von Stefan Müller-Ivok.
Inhaltsübersicht:
- Effizienter lernen
- Strukturen abbilden
- E-Shopping: kaufen, verkaufen, buchen
- Ein erfolgreiches Pilotprojekt
- Fazit
E-Learning ist in aller Munde. Man hat die webbasierte Weiterbildung der Mitarbeiter längst als wichtigen Schlüssel zu nachhaltigem Unternehmenserfolg erkannt. Die dafür notwendigen Strukturen werden jedoch oft ins Blaue hinein geplant. Dann nämlich, wenn nur die technische Umsetzung im Fokus steht und die eigentlichen Ziele nachträglich aufgepfropft werden. Der Pharmakonzern Aventis zeigt, dass es anders herum besser geht.
Der Nürnberger Trichter |
Die Nürnberger Stadtbibliothek besitzt einen Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert, auf dem drei Männer einem auf dem Boden Liegenden die gesamte Weisheit mit einem großen Trichter einflößen. Das Motto der bekannten Darstellung lautet: "Seht liebe Leut hie steht der Mann, so alle Künst eingießen kann." Diesen Anspruch erheben moderne E-Learning-Konzepte auch gerne für die Wirtschaft. Nicht selten ist der Trichter jedoch verstopft oder seine Wirkung verpufft, wenn er wahllos alles ausschüttet, was irgendwie mit Wissensvermittlung zu tun haben könnte.
"Scheitert ein E-Learning-Projekt, liegt das meist daran, dass man Weg und Ziel verwechselt und das Pferd von hinten aufzäumt", weiß Michael Timmermann von Aventis: "Es reicht nicht, eine leistungsfähige Plattform zu installieren und sich dann Gedanken zu machen, was sie eigentlich abbilden soll." Timmermann ist im Bereich Human Resources zuständig für die Verbesserung der unternehmensweiten Governance, das heißt Prozesse in Organisation und Mitarbeiterführung möglichst effizient zu gestalten.
Dass man mit E-Learning-Strategien, die über einen ziemlich willkürlichen Wissenstransfer hinaus gehen, besser fährt, ergibt sich schon aus der Struktur eines global agierenden Konzerns wie Aventis. Das Unternehmen bündelt die bisherigen Pharmaaktivitäten von Rhône-Poulenc und Hoechst unter einem neuen Dach. Weltweit sind rund 54.000 Mitarbeiter (Stand: Ende 2002) beschäftigt, etwas über die Hälfte davon in Europa. In Deutschland sind es rund 7.500. Die Notwendigkeit einer differenzierten Planung von E-Learning-Programmen entsteht vor allem aus zwei Faktoren: der geographischen Standortverteilung und den Kernaktivitäten des Unternehmens. Die Entwicklung und Vermarktung von Pharmaka unterliegt strengen Bestimmungen, die länderspezifisch differieren. Beides muss sich in den Lerninhalten und deren Vermittlung widerspiegeln.
Effizienter lernen
Um auf den Wunsch nach Veränderungen im Fortbildungsbereich zu reagieren, gründete Aventis ein E-Learning-Forum in der Abteilung Human Resources und gab den Auftrag, den Einsatz und die Verwaltung von Lerninhalten zu vereinheitlichen und ihre technische Realisierung im Sinne des E-Learnings voran zu treiben. "Authentizität, bessere Konsistenz der Lernprogramme, was Inhalt und Qualität angeht, mehr Effizienz beim Lernen, mehr Individualität bei der Auswahl von Kurstyp und Vermittlungsart sowie keine redundanten Angebote mehr durch internes Networking", fasst Michael Timmermann die Vorgaben zusammen.
Zunächst machte sich das Team daran, die lokal gewachsenen Lernkulturen genau unter die Lupe zu nehmen und mögliche E-Learning-Aktivitäten darauf abzustimmen. Dabei entstand eine Reihe von Fragen: Ist eine Lernkultur vorhanden? Wenn ja, welche Art hat sich etabliert - ein Klassenraum- oder Individualtraining? Welcher Lerntyp dominiert in der Zielgruppe - Mitarbeiter, die jedes inhaltliche Beispiel einzeln vorgelegt bekommen müssen, oder solche, die nach einem Muster selbstständig Transferleistungen erbringen? Und schließlich die Gretchenfrage: Profitieren die jeweiligen Bereiche bzw. Nutzergruppen überhaupt von den E-Learning-Strukturen?
Neben dem inhaltlichen Zuschnitt stand bei den Überlegungen des Forums auch der betriebswirtschaftlich optimale Einsatz der Lernangebote im Mittelpunkt. "Wir wollen jeder Kostenstelle die Möglichkeit geben, Lerninhalte selbst anzuschaffen und abzurechnen. Das bringt ein hohes Maß an individueller Verantwortung und ist aus Kosten-/Nutzenerwägungen die beste Lösung", erklärt Michael Timmermann den dezentralen Ansatz. "Denn die lokalen Stellen können die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter am besten einschätzen."
Strukturen abbilden
Als Nächstes machten sich die Projektmitarbeiter daran, die Vorgaben in eine geeignete Architektur zu gießen. "Das führt nur zum Erfolg, wenn man E-Learning nicht auf das Bereitstellen von Inhalten reduziert, sondern den Managementaspekt absolut gleichrangig behandelt", spielt Timmermann auf die erwähnte Kurzsichtigkeit beim Aufbau solcher Strukturen an. In diesem Sinne entwickelten die Mitarbeiter ein Szenario in drei Ebenen mit verteilten Aufgaben:
- In das so genannte Governance-Level fällt die zentrale Nutzerverwaltung über die Lernmanagement-Plattform.
- Die zweite Stufe bildet die einzelnen Regionen und Kostenstellen ab. Dort geht es um das Evaluieren und Beschaffen der Lerninhalte sowie das Performance Management.
- Auf dem Individual-Level werden durch lokale Aktivitäten maßgeschneiderte Trainingspläne erstellt und der Zugriff auf die Kursprogramme ermöglicht.
Bei der Auswahl der geeigneten Lernplattform erhielt die Enterprise Edition von Saba Learning den Zuschlag. Das intranet-/internetbasierte Lernmanagement-System automatisiert den gesamten Lernzyklus weitgehend. Über die Plattform lassen sich unterschiedliche Lernbedürfnisse unternehmensweit analysieren und Kataloge generieren sowie die Lerninhalte und Kurstypen nach definierten Kompetenz- und Zertifizierungsrichtlinien bereitstellen. Das System erzeugt individuelle Kurs- und Stundenpläne und verwaltet Wartelisten. Der Einsatz von Lehrpersonal, Räumlichkeiten und Lernmaterial wird ebenfalls zentral koordiniert.
E-Shopping: kaufen, verkaufen, buchen
Besonders wichtig für die Umsetzung der Aventis-Vorgaben ist die Marktplatzfunktion der Saba-Lernplattform. Dort kann man Lernangebote erwerben und verkaufen, inklusive detaillierter Verwaltung aller anfallenden Kosten. Die Funktionalität verbindet die Vorteile von E-Learning mit einem betriebswirtschaftlichen Ansatz, der Learning on demand als Pay-as-you-go-Service anbietet. "Wir wollten ein E-Shopping-Modell aufsetzen, über das die anfordernde Stelle auf derselben Plattform direkt mit dem Anbieter von Lernprogrammen in Dialog treten, bestellen und abrechnen kann", erklärt Michael Timmermann.
Hierzu hat das Projektteam bei Aventis einen Prozess in der unternehmensweit eingesetzten E-Shopping-Plattform Ariba abgebildet, der die Verbindung zwischen Lernanforderungen und Kostenstellenverantwortung herstellt. Das hausinterne Modell Aventage wurde bereits in den täglichen Betrieb überführt. Jede Kostenstelle ermittelt geeignete Inhalte aus einer umfassenden Bedarfsevaluierung der Zielgruppe heraus und bestellt die Angebote im Katalog. Die Order wird dem Anbieter zugestellt, dieser schickt im Gegenzug die Zugangsdaten (URL, Passwort) für das Angebot samt Rechnung zurück. Die anfordernde Kostenstelle behält die volle Kontrolle über den Bestell- und Abrechnungsvorgang und kann themenflexibler und budgetorientierter arbeiten als das über eine zentrale Abwicklung möglich wäre. Das Szenario setzt allerdings voraus, dass die Kostenstellen proaktiv bei der Auswahl der Online-Lerninhalte mitwirken. Wie die bisherige Praxis zeigt, wird das Angebot an den einzelnen Standorten rege wahrgenommen.
Ein erfolgreiches Pilotprojekt
Neben den Inhalten spielt auch die Zeit eine zentrale Rolle, die die Adressaten für E-Learning aufzubringen bereit sind. Um hier ein beispielhaftes Vorgehen für die Evaluation zu etablieren und die Reaktion der Nutzer zu testen, setzten Michael Timmermann und seine Mitarbeiter Anfang 2002 den so genannten E-XXL Piloten auf. XXL steht für Explore Experts Learning. Dahinter verbarg sich eine limitierte Anzahl von Angeboten aus dem E-Learning-Katalog von Aventis, die über sieben Monate verteilt einer begrenzten Userzahl an den drei Standorten Frankfurt, Bridgewater und Somerset zur Verfügung gestellt wurden. Als Zielgruppe wählten die Tester bewusst die Führungskräfte. Das Kursangebot teilte sich in Hard Skills und Soft Skills oder Desktop Courses und Professional Development Courses. Zu ersteren zählten z.B. Lehrgänge zu IT-relevanten Themen wie die Arbeit mit Microsoft Office und SAP. Die Soft-Skills-Angebote umfassten Kurse zu Projektmanagement, Mitarbeiterführung und Präsentationstechniken - also weniger greifbare Inhalte.
Das Ergebnis überraschte: "Wir hatten damit gerechnet, dass sich die Nutzer auf die Desktop-Kurse stürzen", berichtet Timmermann. "Es waren aber die weichen Themen, mit denen sie deutlich mehr Zeit verbrachten." Zwar meldeten sich erwartungsgemäß mehr Mitarbeiter für die IT-Tutorials an (650 gegenüber 610), verbrachten aber im Schnitt nur 40 Minuten damit, während die Soft Skills ihre User im Schnitt über eine Stunde bannen konnten. Offensichtlich sind Mitarbeiter eher bereit, ihre kostbare Zeit in komplexere Trainingsbereiche zu investieren. Das war genau im Sinn der E-Learning-Konzeption: "Es sollen ja gerade die präsenzgebundenen Abteilungen davon profitieren, indem die Mitarbeiter Fortbildungsmöglichkeiten erhalten, ohne dass sie sich auf Dienstreise begeben müssen und die Arbeitsabläufe entscheidend beeinträchtigt werden", erläutert Timmermann.
Fazit
Das Pilotprojekt führte jedoch auch zu einer etwas ernüchternden Erkenntnis: Der Aufwand, für E-Learning-Angebote im Unternehmen eine weit verbreitete Akzeptanz zu schaffen, ist nach wie vor groß. Timmermann spricht von nichts weniger als einem notwendigen kulturellen Wandel durch E-Learning. Der Mitarbeiter stelle dieser neuen Art der Wissensvermittlung essenzielle Fragen: Ist sie inhaltlich besser als die herkömmlichen Methoden? Finde ich mich mit meinen Kenntnissen und Erwartungen darin wieder? Kann ich die Angebote schnell nutzen und leicht bedienen? Haben andere Lerner bereits Erfolge mit E-Learning gehabt? Es empfiehlt sich deshalb, so das Fazit des erfolgreichen Aventis-Projekts, bei der Evaluation der Zielgruppenbedürfnisse nicht auf das Klinkenputzen zu verzichten und mit Kick-Off-Meetings, Floor Walking, E-Mails und Broschüren nachdrücklich für die Lernangebote zu werben. "Entscheidend ist, dass eine zentrale Steuerstelle das E-Learning-Projekt koordiniert, vorantreibt und stets darauf achtet, das Vorhaben der Zielgruppe transparent zu machen. Erst dann sollte man an die technische Umsetzung denken", bringt es Michael Timmermann auf den Punkt.
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