Fachbeiträge
Wie Versicherungen ihr Wissen in Wettbewerbsvorteile verwandeln
von Claudia Hilker
Im Rahmen der zunehmenden Globalisierung stehen Versicherungsunternehmen vor neuen Herausforderungen: Kunden fragen nach individuellen Produkten für ihre speziellen Bedürfnisse. Werden diese Anfragen nicht flexibel und kurzfristig bedient, sucht sich der Kunde einen anderen Anbieter. Versicherer müssen ein hohes Serviceniveau bieten und immer schneller, kompetenter und flexibler ihr Wissen nutzen – bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten. Mit Wissensmanagement können die Versicherungsgesellschaften ihre Mitarbeiter unterstützen, damit sie auf die neuen Anforderungen sicher und kompetent reagieren können. Doch konzentrieren sich die Wissensmanagement-Maßnahmen bei Versicherungen bislang vor allem auf den Bereich E-Learning. Claudia Hilker zeigt Ansatzpunkte für einen effizienten Einsatz von Wissensmanagement in der Versicherungsbranche auf.
Von Claudia Hilker
Inhaltsübersicht:
- Victoria: Interaktiv lernen und besser verkaufen
- Außendienst-Informationen ohne Medienbrüche
- AXA mit eigener Akademie
- ALF: das Allianz Lern Forum
- DVA informiert über branchenspezifische Weiterbildungstrends
- Status quo und Perspektiven
- Einsatzmöglichkeiten von Wissensmanagement bei Versicherungen
- Fazit und Ausblick
Neue Rahmenbedingungen haben den deutschen Versicherungsmarkt
in den letzten Jahren stark verändert. Seit der Deregulierung
des Marktes zu Anfang der 90er Jahre haben sich die Innovationszyklen
bei Produkten und Arbeitstechniken stark verkürzt. Service
und Geschwindigkeit sind zu den wichtigsten Wettbewerbsfaktoren
geworden. „Schneller, besser und billiger" – so
lassen sich die Erwartungen der Kunden an ein Versicherungsunternehmen
heute zusammenfassen. Auch die Mitarbeiter der Versicherungen müssen
sich diesen Erwartungen stellen. Mit Wissensmanagement können
die Versicherungsgesellschaften ihre Mitarbeiter unterstützen,
damit sie auf die neuen Anforderungen sicher und kompetent reagieren
Victoria: Interaktiv lernen und besser verkaufen
Die Victoria setzt bereits seit 1994 Computer Based Trainings (CBT)
für Mitarbeiter bei Fach- und Softwaretraining ein. Für
die Verkaufsschulung schien das neue Medium zunächst nicht
geeignet. Kenntnisse aus dem Bereich Verhaltenstraining seien doch
nur in Präsenzseminaren vermittelbar, lauteten die Zweifel
von Fachleuten vor Beginn des Projekts. Das CBT „Kundenberatung
und Verkauf“ hat sich in der Praxis jedoch längst bewährt.
„In Verbindung mit Präsenzseminaren ist die Trainingsintensität
erheblich gestiegen“, so Dr. Sabine Erkens, E-Learning-Managerin
der Victoria. Das Trainingskonzept zur Vertriebsunterstützung
bei der Victoria basiert heute auf Blended Learning. Damit werden
Kundenberatung und Verkauf für die Außendienstpartner
am Monitor durch interaktive Gesprächssituationen sowie ergänzend
in Präsenzveranstaltungen vermittelt. Das Fazit von Dr. Erkens:
„Die Ausbildung neuer Agenturpartner und die Vermittlung verkäuferischer
Fähigkeiten gelingt schneller, einfacher und kostengünstiger
Außendienst-Informationen ohne Medienbrüche
Auch in der Versicherungsbranche ist „time-to-market“
ein Schlüsselbegriff: Ändern sich Produkte oder werden
neue Produkte entwickelt, so wird es von der Schulung der verschiedenen
Vertriebskanäle abhängen, wann und wie diese Produkte
auch verkauft werden. Lösungen für die Versicherungswirtschaft
müssen deshalb sicherstellen, dass immer die aktuellsten Informationen
für den Vertrieb zur Verfügung stehen. Deshalb erhalten
die 4.000 Außendienst-Mitarbeiter der Victoria einmal im Monat
einen digitalen Newsletter. Die „Außendienstinformationen“
enthalten alle wichtige Informationen wie Tarif- oder Leistungsänderungen.
Abgesehen von den Kosteneinsparungen entfällt auch die mit
einem Printmedium einhergehende Zeitverzögerung. Auch der administrative
Aufwand wurde reduziert. So wurde ein wichtiger Geschäftsprozess
für das Kerngeschäft organisatorisch unterstützt.
Die Vision von Dr. Erkens zur optimalen Produkteinführung geht
jedoch weit darüber hinaus: „Morgens stellt der Vorstand
per Video-Konferenzschaltung allen Außendienstpartnern ein
neues Produkt vor. Das Produkt wird anschließend in virtuellen
Kleingruppen diskutiert. Die Fragen zum Produkt werden in FAQs gesammelt.
Die Verkaufsförderung steht direkt online digital bereit, z.B.
als Powerpoint-Vortrag. Eifrige Lerner können auch noch direkt
ein WBT mit Online-Test machen, um auf kritische Kundenfragen adäquat
AXA mit eigener Akademie
Ziel der im Juli 2002 neu gegründeten AXA Akademie ist es,
alle Qualifizierungsmaßnahmen im Konzern an einer zentralen
Stelle zu bündeln. Als einen besonderen Erfolg im E-Learning
bezeichnet Dr. Lutz Dietrich, Projektleiter im Personalbereich des
AXA Konzerns, die konzernweite Schulung zu neuen IT-Standard-Anwendungen,
die online durchgeführt wurden. Mit einem Web Based Training
(WBT) erhielten über 10.000 Mitarbeiter der AXA IT-Schulungen
über Windows und Outlook. Enorme Einsparungen konnten bewirkt
werden: Statt drei Tagen Präsenzschulung wurden nur noch zwei
Tage benötigt. Auch spielerisches Lernen fördert die AXA
Akademie: Wirtschaftssimulationsspiele zur Förderung von Business
und Project Management Skills werden seit 2000 mit Erfolg eingesetzt.
Ebenso werden Projektleiter-Trainings, Ausbildungen zum Versicherungsfachmann
und Fremdsprachentraining mittels Blended Learning durchgeführt
und von den Mitarbeitern sehr gut angenommen. Es ist geplant, dass
Mitarbeiter der AXA, die an bestimmten Trainings teilnehmen wollen,
sich das nötige Fachwissen vorher online aneignen müssen.
Damit werden die Präsenzschulungen vom Ballast der Vermittlung
nüchterner Theorie befreit. Gleichzeitig wird sichergestellt,
dass alle Schulungsteilnehmer den gleichen Wissensstand haben. „Verhaltens-,
Methoden- und Sozialtrainings werden so verkürzt und können
sich auf das Wesentliche konzentrieren: die Vertiefung des Gelernten
durch Praxisübungen. Und der schnellere und niveauvollere Einstieg
in das Lernen beim Präsenztreffen macht allen Beteiligten mehr
Spaß – auch den Trainern“, so Dr. Dietrich.
ALF: Das Allianz Lern Forum
E-Learning gibt es bei der Allianz Versicherungs AG seit Anfang
2000 mit dem Projekt Allianz Lern Forum (ALF). ALF ist ein Werkzeug
für selbstgesteuertes Lernen, das als Plattform das Intranet
der Allianz nutzt. Neben einer Wissensdatenbank bietet das System
auch Werkzeuge zur Kommunikation und Planung. Die Lernpraxis wird
mit ALF gemeinsam von Ausbildern und Auszubildenden gestaltet. Die
Wege, um an Informationen heranzukommen sind bei ALF vielfältig.
Das System integriert in verschiedenen Katalogen alle vorhandenen
Lerninhalte und liefert zu allen Materialien eine kurze didaktische
Beschreibung. Die Lernplattform soll zur qualitativen Verbesserung
der betrieblichen Erstausbildung dienen. Es geht dabei nicht nur
um neue Lernmethoden, sondern vor allem auch um die Vermittlung
von Schlüsselqualifikationen, wie etwa Selbstorganisation,
Fach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und eigenverantwortliches
DVA informiert über branchenspezifische Weiterbildungstrends
Die Deutsche Versicherungsakademie GmbH (DVA) wurde von den Spitzenverbänden
der Versicherungswirtschaft gegründet. Die DVA berät und
informiert alle mit Aus- und Weiterbildung befassten Personen und
Institutionen in der Versicherungswirtschaft und setzt sich für
bundesweit einheitliche Standards und Qualitätssicherung –
auch im Bereich E-Learning – ein. Von 7. bis 9. Oktober 2002
veranstaltete die DVA den ersten zentralen Bildungskongress „Bildung
gestalten im Wandel der Branche“ mit einer integrierten Fachtagung
zum Thema E-Learning in Hannover. In zehn Foren präsentierten
Referenten aus der Versicherungswirtschaft und anderen Branchen
praxiserprobte Lösungen. Die Veranstalter wollen damit allen
Personal- und Bildungsverantwortlichen in der Versicherungswirtschaft
eine Möglichkeit bieten, um sich über aktuelle Themen
und Innovationen im Bildungsbereich zu informieren, Erfahrungen
auszutauschen sowie Netzwerke zu pflegen.
Status quo und Perspektiven
In der Versicherungsbranche mangelt es derzeit noch an einem unternehmensweiten
Einsatz von Wissensmanagement. Auch wenn E-Learning bereits erfolgreich
im Personalbereich eingesetzt wird, fehlt der ganzheitliche Einsatz
von Wissensmanagement im unternehmensweiten Bereich. Erst wenn die
Geschäftsprozesse im Kerngeschäft der Versicherungsbranche
mit Maßnahmen des Wissensmanagements unterstützt werden,
wird das Potenzial von Wissensmanagement voll ausgeschöpft.
Nachfolgend sind drei Ansatzpunkte für einen sinnvollen Einsatz
von Wissensmanagement in der Versicherungsbranche beispielhaft skizziert.
Effiziente Schadenregulierung als wertvoller Schlüssel zur Kundenbindung
Mit einer zügigen Schadenbearbeitung lassen sich Kunden langfristig
an das Unternehmen binden. Lösungen für Wissensmanagement
können dabei helfen, jeweils die aktuellste Information zur
richtigen Zeit an den entscheidenden Stellen zur Verfügung
zu stellen. Über kollaborative Systeme kann eine effektive
Zusammenarbeit mit den am Schadenprozess beteiligten Stellen realisiert
werden. In virtuellen, projektbezogen angelegten Arbeitsräumen
können alle relevanten Dokumente wie Briefwechsel etc. gespeichert
und problemlos von allen Beteiligten abgerufen werden. In virtuellen
Ordnern lassen sich Informationen laufend problemlos lokalisieren,
aktualisieren und archivieren. Dass diese Möglichkeiten keine
Fiktion sind, zeigt das Beispiel der Niederlande. Hier werden diese
Lösungen in der Schadenregulierung bereits in der Praxis eingesetzt,
was zu Einsparungen von bis zu 30% geführt hat.
Intelligenter mit Vertriebspartnern zusammenarbeiten
Versicherungsunternehmen bedienen sich verschiedener Vertriebskanäle.
Der Vertrieb über die eigene Vertriebsorganisation, Finanzdienstleister
oder Maklerorganisationen stellt unterschiedliche Anforderungen
an die Informationsvermittlung über Produkte oder Kunden. Auch
werden die meisten Interaktionen mit Endkunden auf dem heutigen
Versicherungsmarkt nicht mehr von Versicherungsspezialisten verwaltet.
Da diese Kooperationspartner aber oft nur wenig Erfahrung mit Versicherungsfragen
haben, sind sie in Bereichen wie etwa der Risikoübernahme auf
traditionelle Versicherungsunternehmen angewiesen. Mit Wissensmanagement-Maßnahmen
können Organisationen in der Versicherungswirtschaft auf beiden
Seiten optimal von diesen Geschäftsbeziehungen profitieren:
Plattformen können die Informationsverteilung organisieren
und gewährleisten einen sicheren Austausch von Know-how zwischen
Unternehmen. Sie sorgen dafür, dass die Beurteilung von Angeboten
und die Bereitstellung von Dokumentationen schneller und effektiver
ablaufen kann. Extranets für Partner machen die Zusammenarbeit
zwischen Spezialversicherern und deren Agenten für beide Seiten
vorteilhaft.
Individuelle Kundenanforderungen verstehen
Jede Versicherungsorganisation steht vor der Herausforderung, bestehende
Kunden langfristig an das eigene Unternehmen zu binden. Hierzu ist
es wichtig, bereits vorhandene Informationen über Kunden zu
analysieren, damit weitergehende Angebote bedarfsorientiert und
individuell an den Kunden gerichtet werden können. Wissensmangement
bietet hier die Möglichkeit, sämtliche den Kunden betreffenden
Informationen, seien es Verträge, Korrespondenz oder aber Kundendaten
aus einer Customer-Relationship-Management-Anwendung, miteinander
zu verknüpfen und so potenzielle Interessen des Kunden gezielt
zu adressieren. Mit Wissensmanagement könnten die Versicherungen
somit ihre Kundennähe verbessern – angefangen beim Kundenkontakt
über die Kundenkommunikation bis hin zur individuellen Kundenansprache.
Einsatzmöglichkeiten von Wissensmanagement bei Versicherungen |
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Fazit und Ausblick
Im Rahmen der zunehmenden Globalisierung stehen Versicherungsunternehmen
vor neuen Herausforderungen: Kunden fragen nach individuellen Produkten
für ihre individuellen Bedürfnisse. Werden diese Anfragen
nicht flexibel und kurzfristig bedient, suchen sich Kunden einen
anderen Anbieter. Versicherer müssen ein hohes Serviceniveau
bieten und immer schneller, kompetenter und flexibler ihr Wissen
nutzen – bei gleichzeitiger Minimierung der Kosten. Der Einsatz
von Wissensmanagement bei Versicherungen konzentriert sich bislang
vor allem auf den Einsatz von E-Learning. Zumeist werden alle E-Learning-Aktivitäten
zentral von einer Akademie im Konzern gesteuert. Solange sich der
Einsatz auf diesen Bereich konzentriert und nicht weitere Wissensmanagement-Instrumente
integriert werden, werden sich die Erfolge nur allmählich einstellen.
Wünschenswert für ein branchenspezifisches Wissensmanagement
ist eine systematische Herangehensweise für die Versicherungsbranche
mit den Bausteinen Wissensstrategie, Organisation und Prozesse,
Human Resources, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie
Kundenintegration und Kundenbeziehung. Erforderlich sind insbesondere
noch weitere branchenspezifische Erfahrungen mit Methoden zur Integration
von Wissen in Dienstleistungsinnovationsprozesse sowie Fallstudien
und Success Stories mit Handlungs- und Gestaltungsempfehlungen.
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