Fachbeiträge
Gesteuerter Wissensaustausch in Problemgruppen
von Andreas Kahnert
Die meisten etablierten Wissensmanagement-Ansätze gehen davon aus, dass die Mitarbeiter, wenn auch nicht immer gleich willens, so doch in der Lage sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Doch ist dies nicht immer der Fall – sei es etwa aufgrund von Sprachbarrieren oder kulturellen Unterschieden. Wie sich das global tätige Energie- und Automatisierungstechnik-Unternehmen ABB dieser Aufgabe gestellt hat, erfahren Sie von Andreas Kahnert.
Von Andreas Kahnert
Inhaltsübersicht:
- Die Ausgangssituation
- Das Ziel
- MMCwebs: Diskussionsforen für weltweiten Wissensaustausch
- Situationsanalyse: mögliche Hemmnisse identifizieren
- Kulturelle und systemische Hindernisse überwinden
Die
meisten etablierten Wissensmanagement-Ansätze und -Lösungen
gehen davon aus, dass die Mitarbeiter, wenn auch nicht immer gleich
willens, so doch in der Lage sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen.
Wie sieht es aber aus, wenn der Wissende weder an seinem Einsatzort
die erforderliche Infrastruktur noch die Fähigkeit besitzt,
sich mitzuteilen? Sei es aufgrund von Sprachbarrieren oder einfach,
weil er sich nicht entsprechend artikulieren kann.
Das
global tätige Energie- und Automatisierungstechnik-Unternehmen
ABB hat sich dieser Aufgabe gestellt und für den Bereich seines
Industriellen Service ein Knowledge-Sharing-Konzept entwickelt,
das es ermöglicht, das Wissen unter solch problematischen Bedingungen
auszutauschen.
Die Ausgangssituation
Szenario 1 (bisher): |
Auch wenn solche Schäden nicht an der Tagesordnung sind, kommt
es aufgrund von Einsparungen bei Lagerhaltung und Personal immer
häufiger zu Problemen. Für den Servicedienstleister bedeutet
dies einen Drahtseilakt: Er muss die Balance zwischen Gewinn aus
Einsparungsmaßnahmen und Verlust durch Ausfallkosten zum Vorteil
seiner Kunden und damit zum seinem eigenen Vorteil optimieren.
Das Ziel
ABB bietet weltweit Servicedienstleistungen für große
Industriekonzerne an. Der Einsatz von Wissensmanagement soll hier
deutliche Vorteile bringen.
Szenario 2 (heute bei ABB): |
MMCwebs: Diskussionsforen für weltweiten Wissensaustausch
Außer dem Emergency Room finden die Arbeiter, Techniker und
Ingenieure von ABB Service in den so genannten Maintenance Methodology
Center Webs (MMCwebs) weitere themenbezogene Diskussionsforen. Sie
können auch in Best-Pactice-Datenbanken suchen und dort ihre
Lösungen anderen zur Verfügung stellen. Schnell haben
sie anhand der Personen-Profile und den für ihr Problem interessanten
Beiträgen die potenziellen Ansprechpartner identifiziert. Da
die Benutzer dieses Knowledge-Sharing-Systems rund um den Globus
verteilt sitzen, sind immer einige von ihnen erreichbar.
Die Maintenance Methodology Center wurden nach Industriezweigen
gruppiert. Jedes MMC stellt einen Verantwortlichen für sein
MMCwebs. Dessen Aufgabe ist es, externes Wissen aufzubereiten und
die Qualität und Aktualität der internen Beiträge
zu gewährleisten. Er motiviert und erzieht die Mitarbeiter
zur gewinnbringenden Teilnahme.
Die Diskussionsforen der MMCwebs-Plattform ermöglichen den Wissensaustausch über Fabrik- und Ländergrenzen hinweg. |
Situationsanalyse: mögliche Hemmnisse identifizieren
Der Nutzen dieses weltweiten Wissensaustausches erscheint jedem
Leser sofort einleuchtend. Dennoch war das Knowledge-Management-Team
von ABB sehr skeptisch zu Beginn dieser Aufgabe. Sollten sich hierbei
doch Mitarbeiter austauschen, die nicht dem klassischen Bild des
Wissensträgers entsprechen. Meist sind es Ingenieure und andere
Akademiker, die in Wissensmanagement-Projekten ihr Wissen anderen
zur Verfügung stellen bzw. das Wissen anderer nutzen. Sie sind
es gewohnt, mit dem Computer umzugehen; für sie gehören
Seminare und Workshops zum normalen Arbeitsprozess.
Wartung und Service umfassen ein breites Spektrum an Aufgaben:
von Wartungsarbeiten direkt an der Produktionslinie über das
Ersatzteilmanagement bis hin zu Arbeiten im Bereich des Engineerings
zur Verbesserung der Produktivität. Betrachtet man die Qualifikation
der Mitarbeiter, so sind vom Hilfstechniker über Mechaniker
bis hin zum Ingenieur, Verkäufer und Manager alle vertreten.
Eine gut funktionierende Kommunikation der Wissensträger untereinander
ist die Grundvoraussetzung für ein gewinnbringendes Knowledge-Sharing-System.
Da der Austausch über die Fabrik- und sogar Ländergrenzen
hinaus stattfinden soll, muss neben einer entsprechenden Infrastruktur
auch eine neue Kommunikationskultur etabliert werden.
Untersuchungen von ländertypischen Servicebetrieben lieferten
zusammen mit Erfahrungsberichten aus vielen Teilen der Welt die
Basis für das Design der MMCwebs von ABB. Neben den auch hierzulande
auftretenden Problemen bzw. Hindernissen wie mangelnde Infrastruktur,
unzureichende Fähigkeiten einiger Benutzer im Umgang mit Computern
und Internet, persönliche Ängste sowie organisatorische
bzw. hierarchische Hindernisse wurden solche identifiziert, die
charakteristisch für die zunehmende Globalisierung sind. Sie
treten insbesondere in Projekten wie MMCwebs auf, da Wissensträger
aus allen Schichten der Bevölkerung verschiedener Länder
vertreten sind.
Kulturelle und systemische Hindernisse überwinden
Unterschiedliche Sprachen
Die Systemsprache ist Englisch. Dennoch trägt MMCwebs den
Sprachfähigkeiten seiner Nutzer Rechnung. Formulare zur Aufnahme
des Wissens bieten zu ihrer eigenen Beschreibung zweisprachige Klassifizierungs-
und Schlüsselwortlisten. Nach der Auswahl in der Landessprache
werden ihre englischen Übersetzungen abgespeichert und können
von anderen Teilnehmern mit der Suchmaschine gefunden werden. Den
eigentlichen Text kann der Autor dann in seiner bevorzugten Sprache
eingeben. Sein Beitrag enthält einen Link zu seinem persönlichen
Profil. Dort erfährt man, welche Sprachen er spricht. Ist keine
gemeinsame dabei, kann über den Link zu seiner Abteilung direkt
auf die Profile seiner Kollegen zugegriffen werden. So kann schnell
ein Kollege identifiziert werden, der übersetzen kann.
In den Personen-Profilen von MMCwebs sind auch die Sprachen der Teilnehmer erfasst. |
Kulturelle Werte und Praktiken
Nach Hoftstede [1] sind vier Aspekte zu
nennen, deren unterschiedliche Ausprägungen die Kulturen charakterisieren:
- Machtabstand (Power Distance)
- Individualisierung versus Kollektivismus
- maskuline versus feminine Gesellschaften
- Unsicherheit (Uncertainty Avoidence)
Interaktionen zwischen Kulturen, die sich auf entgegengesetzten
Enden der Skala eines oder mehrerer dieser Aspekte befinden, führen
leicht zu Hemmnissen beim globalen Wissensaustausch. Da die MMCwebs-Plattform
für alle Teilnehmer dieselbe ist, wurde beim Design großer
Wert auf die Vermeidung von Funktionen gelegt, die eines der Extreme
auf der Skala mehr ansprechen würden als das andere.
Machtabstand meint den Grad der Akzeptanz von schwachen Mitgliedern
gegenüber ungleicher oder gar willkürlicher Machtverteilung
durch hierarchisch Höherstehende oder Organisationen. So wird
z.B. in Malaysia und einigen Ländern Mittel- und Südamerikas
die Verteilung von PCs und der Zugang zum Internet als Machtmittel
eingesetzt. Die Überprüfung, wer einen PC benötigt,
sollte daher von einer unabhängigen Instanz erfolgen. Je höher
der Machtabstand, desto weniger duldet ein Chef die öffentliche
Anerkennung der Leistung und des Wissens seiner Untergebenen. Die
rege Teilnahme seiner Untergebenen sollte daher über entsprechende
Anreizprogramme unmittelbar auch zur Steigerung seiner Anerkennung
führen.
In Systemen, in denen die Gruppe wichtiger ist als das Individuum,
wie z.B. in Indonesien oder Venezuela, möchte der Einzelne
ungern in Erscheinung treten. Er wird kaum Beiträge in MMCwebs
leisten, die ihn zum Mitarbeiter des Monats machen. Dagegen fragt
sich der Mitarbeiter in den USA, warum er überhaupt etwas mitteilen
sollte, wenn seine persönliche Reputation nicht dadurch gewinnt.
In maskulinen Gesellschaften wie Japan oder Irland wird das Annehmen
fremder Hilfe als Schwäche ausgelegt. Hier müssen Schulungen
und Anreizsysteme wesentlich stärker auf die Benutzung und
Umsetzung des über das Knowledge-Sharing-Systems gefundenen
Wissens ausgerichtet werden. In Skandinvien dagegen rennt man offene
Türen bei der Einführung solcher Systeme ein.
Ein hoher Grad an Unsicherheit gibt an, wie stark sich eine Kultur
durch unbekannte oder unsichere Situationen bedroht fühlt.
Solche Kulturen, z.B. Japaner, brauchen feste Regeln und Vorgehensweisen.
Mitarbeiter in Hong Kong oder Großbritannien hingegen würden
sich durch ein zu starres System gegängelt fühlen.
Diese Beispiele zeigen, dass bei organisatorischen Maßnahmen
wie Bildung, Schulung und Betrieb von Communities lokale Verhaltensweisen
berücksichtigt werden müsssen. Insbesondere Motivationsmaßnahmen
werden deshalb auf lokale Einheiten verlegt.
Literatur
[1] Hoftstede, Geert: Cultures and Organizations: Software of the
Mind. McGraw-Hill Companies, Inc. (ISBN: 0070293074)
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