Fachbeiträge

Ausgabe 4 / /2002
Fachbeitrag Best Practice

Gesteuerter Wissensaustausch in Problemgruppen

von Andreas Kahnert

Die meisten etablierten Wissensmanagement-Ansätze gehen davon aus, dass die Mitarbeiter, wenn auch nicht immer gleich willens, so doch in der Lage sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen. Doch ist dies nicht immer der Fall – sei es etwa aufgrund von Sprachbarrieren oder kulturellen Unterschieden. Wie sich das global tätige Energie- und Automatisierungstechnik-Unternehmen ABB dieser Aufgabe gestellt hat, erfahren Sie von Andreas Kahnert.

Von Andreas Kahnert

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

Die

 

meisten etablierten Wissensmanagement-Ansätze und -Lösungen

 

gehen davon aus, dass die Mitarbeiter, wenn auch nicht immer gleich

 

willens, so doch in der Lage sind, ihr Wissen mit anderen zu teilen.

 

Wie sieht es aber aus, wenn der Wissende weder an seinem Einsatzort

 

die erforderliche Infrastruktur noch die Fähigkeit besitzt,

 

sich mitzuteilen? Sei es aufgrund von Sprachbarrieren oder einfach,

 

weil er sich nicht entsprechend artikulieren kann.

 

 

 

Das

 

global tätige Energie- und Automatisierungstechnik-Unternehmen

 

ABB hat sich dieser Aufgabe gestellt und für den Bereich seines

 

Industriellen Service ein Knowledge-Sharing-Konzept entwickelt,

 

das es ermöglicht, das Wissen unter solch problematischen Bedingungen

 

auszutauschen.

 

 


Die Ausgangssituation

 

Szenario 1 (bisher):
Ein Getränkekonzern stellt in einem Werk in Kanada täglich mehrere Millionen Liter Cola her. Während der Nachtschicht tritt ein Fehler in der Produktionsanlage auf. Die Produktion steht still. Jede Minute kostet das Unternehmen mehrere tausend Dollar an Umsatzeinbußen. Ein Team von Wartungs- und Servicetechnikern ist vor Ort. Nach zweieinhalb Stunden ist der Fehler lokalisiert: Eine Pumpe hat einen Lagerschaden. "Kein Problem", denkt sich das Wartungsteam und macht sich auf den Weg zum Ersatzteillager, um eine Austauschpumpe zu holen. Dort erfährt es, dass während der vorangegangenen Schicht an zwei anderen Stellen der Anlage die gleiche Pumpe versagte und die beiden letzten Ersatzpumpen dafür verwendet wurden. Der Hersteller habe Lieferschwierigkeiten. Die Suche nach Ersatzlösungen beginnt unter dem enormen Druck der ständig steigenden Ausfallkosten. Die Reparatur der defekten Pumpe würde ca. 12 Stunden dauern. Könnten ähnliche Pumpen von anderen Herstellern eingesetzt werden? Wer könnte noch so eine Pumpe auf Lager haben? Die Lager und Dichtungen dieser speziellen Pumpe sind auf die zersetzenden Eigenschaften von Cola abgestimmt. Der Pumpenfachmann aus der Tagesschicht ist gerade unerreichbar auf einem Lehrgang. Lager und Dichtungen der defekten Pumpe sind zerstört. Die beiden anderen schadhaften Pumpen wurden sofort nach dem Ausbau zum Hersteller versandt. Nach langwierigen Telefonaten konnten Zulieferer ausgemacht werden. Ein Satz Lager und Dichtungen kommt per Eilkurier. Nach insgesamt 21 Stunden läuft die Produktion wieder an. Der Schaden beträgt 120.000 Dollar.

 

 

Auch wenn solche Schäden nicht an der Tagesordnung sind, kommt

 

es aufgrund von Einsparungen bei Lagerhaltung und Personal immer

 

häufiger zu Problemen. Für den Servicedienstleister bedeutet

 

dies einen Drahtseilakt: Er muss die Balance zwischen Gewinn aus

 

Einsparungsmaßnahmen und Verlust durch Ausfallkosten zum Vorteil

 

seiner Kunden und damit zum seinem eigenen Vorteil optimieren.

 

 

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Das Ziel

 

 

ABB bietet weltweit Servicedienstleistungen für große

 

Industriekonzerne an. Der Einsatz von Wissensmanagement soll hier

 

deutliche Vorteile bringen.

 

 

Szenario 2 (heute bei ABB):
Ein Getränkekonzern stellt in einem Werk in Kanada mehrere Millionen Liter Cola täglich her. Nachtschicht, ein Fehler in der Produktion tritt auf. Servicetechniker sind vor Ort. Nachdem die Standardanalysen versagen, stellt ein Servicetechniker über Handy und Palmtop eine Anfrage an das Maintenance Methodolgy Center (MMC) Food & Beverage. 17 Minuten später erhält er einen Anruf von einem Kollegen aus Australien, der die Anfrage im Emergency Room des MMC las. Auch er arbeitet in der Cola-Herstellung und hat dieses Problem schon einmal gehabt. Nach Erläuterungen bekommt der Techniker in Kanada helfende Pläne und Skizzen auf den Palmtop geschickt und kann somit den Fehler nach nur einer Stunde lokalisieren: Eine Pumpe hat einen Lagerschaden. Das Wartungsteam schaut elektronisch im Lagerbestand nach und erfährt dort sofort, dass während der vorangegangen Schicht die beiden letzten Ersatzpumpen verwendet wurden. Der Hersteller hat Lieferschwierigkeiten. Ein Mitarbeiter formuliert das Problem im Emergency Room: "Reparatur der defekten Pumpe dauert 12 Stunden. Wer hat so eine Pumpe auf Lager? Können ähnliche Pumpen von anderen Hersteller eingesetzt werden?" Ein Kollege mailt aus den USA: Er hat die gesuchte Pumpe auf Lager und könnte sie innerhalb von sechs Stunden nach Kanada schicken. Zehn Minuten später gibt eine E-Mail aus der Schweiz den rettenden Hinweis: Die Dichtungen für die Pumpe C25Fe sind die gleichen wie in der defekten und könnten in der Pumpe F111-083 aus dem Frischwasserzulauf eingebaut werden. Eine schnelle Online-Überprüfung zeigt, dass beide Teile auf Lager sind. Nach 5 Stunden läuft die Produktion wieder an. Der Schaden beträgt 30.000 Dollar.

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MMCwebs: Diskussionsforen für weltweiten Wissensaustausch

 

 

Außer dem Emergency Room finden die Arbeiter, Techniker und

 

Ingenieure von ABB Service in den so genannten Maintenance Methodology

 

Center Webs (MMCwebs) weitere themenbezogene Diskussionsforen. Sie

 

können auch in Best-Pactice-Datenbanken suchen und dort ihre

 

Lösungen anderen zur Verfügung stellen. Schnell haben

 

sie anhand der Personen-Profile und den für ihr Problem interessanten

 

Beiträgen die potenziellen Ansprechpartner identifiziert. Da

 

die Benutzer dieses Knowledge-Sharing-Systems rund um den Globus

 

verteilt sitzen, sind immer einige von ihnen erreichbar.

 

 

 

Die Maintenance Methodology Center wurden nach Industriezweigen

 

gruppiert. Jedes MMC stellt einen Verantwortlichen für sein

 

MMCwebs. Dessen Aufgabe ist es, externes Wissen aufzubereiten und

 

die Qualität und Aktualität der internen Beiträge

 

zu gewährleisten. Er motiviert und erzieht die Mitarbeiter

 

zur gewinnbringenden Teilnahme.

 

 

 

kahnert1 picture
Die Diskussionsforen der MMCwebs-Plattform ermöglichen den Wissensaustausch über Fabrik- und Ländergrenzen hinweg.

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Situationsanalyse: mögliche Hemmnisse identifizieren

 

 

Der Nutzen dieses weltweiten Wissensaustausches erscheint jedem

 

Leser sofort einleuchtend. Dennoch war das Knowledge-Management-Team

 

von ABB sehr skeptisch zu Beginn dieser Aufgabe. Sollten sich hierbei

 

doch Mitarbeiter austauschen, die nicht dem klassischen Bild des

 

Wissensträgers entsprechen. Meist sind es Ingenieure und andere

 

Akademiker, die in Wissensmanagement-Projekten ihr Wissen anderen

 

zur Verfügung stellen bzw. das Wissen anderer nutzen. Sie sind

 

es gewohnt, mit dem Computer umzugehen; für sie gehören

 

Seminare und Workshops zum normalen Arbeitsprozess.

 

 

 

Wartung und Service umfassen ein breites Spektrum an Aufgaben:

 

von Wartungsarbeiten direkt an der Produktionslinie über das

 

Ersatzteilmanagement bis hin zu Arbeiten im Bereich des Engineerings

 

zur Verbesserung der Produktivität. Betrachtet man die Qualifikation

 

der Mitarbeiter, so sind vom Hilfstechniker über Mechaniker

 

bis hin zum Ingenieur, Verkäufer und Manager alle vertreten.

 

 

 

Eine gut funktionierende Kommunikation der Wissensträger untereinander

 

ist die Grundvoraussetzung für ein gewinnbringendes Knowledge-Sharing-System.

 

Da der Austausch über die Fabrik- und sogar Ländergrenzen

 

hinaus stattfinden soll, muss neben einer entsprechenden Infrastruktur

 

auch eine neue Kommunikationskultur etabliert werden.

 

 

 

Untersuchungen von ländertypischen Servicebetrieben lieferten

 

zusammen mit Erfahrungsberichten aus vielen Teilen der Welt die

 

Basis für das Design der MMCwebs von ABB. Neben den auch hierzulande

 

auftretenden Problemen bzw. Hindernissen wie mangelnde Infrastruktur,

 

unzureichende Fähigkeiten einiger Benutzer im Umgang mit Computern

 

und Internet, persönliche Ängste sowie organisatorische

 

bzw. hierarchische Hindernisse wurden solche identifiziert, die

 

charakteristisch für die zunehmende Globalisierung sind. Sie

 

treten insbesondere in Projekten wie MMCwebs auf, da Wissensträger

 

aus allen Schichten der Bevölkerung verschiedener Länder

 

vertreten sind.

 

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Kulturelle und systemische Hindernisse überwinden

 

Unterschiedliche Sprachen

 

 

Die Systemsprache ist Englisch. Dennoch trägt MMCwebs den

 

Sprachfähigkeiten seiner Nutzer Rechnung. Formulare zur Aufnahme

 

des Wissens bieten zu ihrer eigenen Beschreibung zweisprachige Klassifizierungs-

 

und Schlüsselwortlisten. Nach der Auswahl in der Landessprache

 

werden ihre englischen Übersetzungen abgespeichert und können

 

von anderen Teilnehmern mit der Suchmaschine gefunden werden. Den

 

eigentlichen Text kann der Autor dann in seiner bevorzugten Sprache

 

eingeben. Sein Beitrag enthält einen Link zu seinem persönlichen

 

Profil. Dort erfährt man, welche Sprachen er spricht. Ist keine

 

gemeinsame dabei, kann über den Link zu seiner Abteilung direkt

 

auf die Profile seiner Kollegen zugegriffen werden. So kann schnell

 

ein Kollege identifiziert werden, der übersetzen kann.

 

 

 

kahnert2 picture
In den Personen-Profilen von MMCwebs sind auch die Sprachen der Teilnehmer erfasst.

 

Kulturelle Werte und Praktiken

 

 

Nach Hoftstede [1] sind vier Aspekte zu

 

nennen, deren unterschiedliche Ausprägungen die Kulturen charakterisieren:

 

 

  • Machtabstand (Power Distance)
  • Individualisierung versus Kollektivismus
  • maskuline versus feminine Gesellschaften
  • Unsicherheit (Uncertainty Avoidence)

 

 

Interaktionen zwischen Kulturen, die sich auf entgegengesetzten

 

Enden der Skala eines oder mehrerer dieser Aspekte befinden, führen

 

leicht zu Hemmnissen beim globalen Wissensaustausch. Da die MMCwebs-Plattform

 

für alle Teilnehmer dieselbe ist, wurde beim Design großer

 

Wert auf die Vermeidung von Funktionen gelegt, die eines der Extreme

 

auf der Skala mehr ansprechen würden als das andere.

 

 

 

Machtabstand meint den Grad der Akzeptanz von schwachen Mitgliedern

 

gegenüber ungleicher oder gar willkürlicher Machtverteilung

 

durch hierarchisch Höherstehende oder Organisationen. So wird

 

z.B. in Malaysia und einigen Ländern Mittel- und Südamerikas

 

die Verteilung von PCs und der Zugang zum Internet als Machtmittel

 

eingesetzt. Die Überprüfung, wer einen PC benötigt,

 

sollte daher von einer unabhängigen Instanz erfolgen. Je höher

 

der Machtabstand, desto weniger duldet ein Chef die öffentliche

 

Anerkennung der Leistung und des Wissens seiner Untergebenen. Die

 

rege Teilnahme seiner Untergebenen sollte daher über entsprechende

 

Anreizprogramme unmittelbar auch zur Steigerung seiner Anerkennung

 

führen.

 

 

 

In Systemen, in denen die Gruppe wichtiger ist als das Individuum,

 

wie z.B. in Indonesien oder Venezuela, möchte der Einzelne

 

ungern in Erscheinung treten. Er wird kaum Beiträge in MMCwebs

 

leisten, die ihn zum Mitarbeiter des Monats machen. Dagegen fragt

 

sich der Mitarbeiter in den USA, warum er überhaupt etwas mitteilen

 

sollte, wenn seine persönliche Reputation nicht dadurch gewinnt.

 

 

 

In maskulinen Gesellschaften wie Japan oder Irland wird das Annehmen

 

fremder Hilfe als Schwäche ausgelegt. Hier müssen Schulungen

 

und Anreizsysteme wesentlich stärker auf die Benutzung und

 

Umsetzung des über das Knowledge-Sharing-Systems gefundenen

 

Wissens ausgerichtet werden. In Skandinvien dagegen rennt man offene

 

Türen bei der Einführung solcher Systeme ein.

 

 

 

Ein hoher Grad an Unsicherheit gibt an, wie stark sich eine Kultur

 

durch unbekannte oder unsichere Situationen bedroht fühlt.

 

Solche Kulturen, z.B. Japaner, brauchen feste Regeln und Vorgehensweisen.

 

Mitarbeiter in Hong Kong oder Großbritannien hingegen würden

 

sich durch ein zu starres System gegängelt fühlen.

 

 

 

Diese Beispiele zeigen, dass bei organisatorischen Maßnahmen

 

wie Bildung, Schulung und Betrieb von Communities lokale Verhaltensweisen

 

berücksichtigt werden müsssen. Insbesondere Motivationsmaßnahmen

 

werden deshalb auf lokale Einheiten verlegt.

 

 

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Literatur

 

 

[1] Hoftstede, Geert: Cultures and Organizations: Software of the

 

Mind. McGraw-Hill Companies, Inc. (ISBN: 0070293074)

 

 

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