Fachbeiträge

Ausgabe 12 / /2001
Fachbeitrag Best Practice

Was Ärzte wissen müssen

von Jürgen Beier

Im Gesundheitswesen haben viele Personengruppen, neben Ärzten z.B. auch das Pflegepersonal, die Krankenkassen, die Patienten und ihre Angehörigen, ein großes Bedürfnis nach der passenden Information zur rechten Zeit. Mögliche Herangehensweisen zur medizinischen Informationsrecherche sowie deren spezifische Vor- und Nachteile beschreibt Jürgen Beier. Dabei zeigt sich als Trend, dass auch in der Medizin die Logistik der Information immer mehr an Bedeutung gewinnt.

 

Von Jürgen

 

Beier

 

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

Fragen wie "Wo finde ich die Information

 

zu ...?" oder "Wer kann mir sagen, ...?" bleiben

 

im medizinischen Umfeld immer häufiger unbeantwortet bzw. resultieren

 

in einer aufwendigen Suche mit mehr oder weniger zufriedenstellenden

 

Ergebnissen. Im Gesundheitswesen haben viele Personengruppen, darunter

 

neben den Ärzten auch z.B. das Pflegepersonal, die Krankenkassen

 

und Krankenhausverwaltungen, die Kranken und ihre Angehörigen,

 

ein großes Bedürfnis nach der passenden Information zur

 

rechten Zeit.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurz gefasst:

  • Zur medizinische Informationsrecherche existiert eine Vielzahl von Möglichkeiten.
  • Zeitschriften als Publikationsmedium besitzen in der Medizin einen höheren Stellenwert als das Internet.
  • Die Literaturdatenbank MEDLINE erfasst nahezu alle Zeitschriften der Biomedizin.
 

 

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Arten medizinischer Information

 

 

Generell wird die medizinische Information in patientenspezifische

 

(Dokumentation der Diagnostik und Therapie) und in fachliche Information

 

gegliedert. Letztere teilt sich in drei Untergruppen:

 

 

  1. Primärinformation bezeichnet direkte Forschungsergebnisse zu aktuellen und im Allgemeinen hochspezialisierten Themen, die als so genannte Originalarbeiten nach einem Begutachtungsprozess (Peer-Review) durch eine Redaktion oder ein externes Expertengremium in Kongressbeiträgen, Reports und Fachzeitschriften publiziert werden.
  2. Die Sekundärinformation sammelt und stellt die Primärinformation in Form von Katalogen und Bibliographien zusammen. Der am weitesten verbreitete medizinische Katalog ist der Index Medicus der National Library of Medicine (NLM, Bethesda, USA) mit seiner elektronischen Variante MEDLINE.
  3. Die Tertiärinformation stellt die Primärinformation neu zusammen, kritisiert, bewertet, synthetisiert und kondensiert sie in Form von Fach- und Lehrbüchern, Unterrichtsmaterialien, Editorials, Übersichtsartikeln und Leitlinien. Für behandelnde Ärzte stellen Tertiärinformationen sicher die wichtigste, da geprüfte und validierte Informationsquelle dar.

 

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Vorgehensweisen zur Informationssuche

 

 

Um die benötigte Information zu einem medizinischen Thema

 

zu finden, existiert eine Vielzahl möglicher Herangehensweisen

 

[1]. Man kann z.B.:

 

 

  • einen Freund, Kollegen, Bibliotheksmitarbeiter, Experten fragen
  • ein Fachbuch suchen, das eine Einführung in das Thema gibt
  • aufbereitetes Wissen zur Evidence Based Medicine (EBM) bzw. zur Best Clinical Practice nutzen in Form von Leitlinien (z.B. www.awmf-online.de) oder zu Studienresultaten (www.cochrane.de)
  • Inhaltsverzeichnisse, Jahresindexe passender Zeitschriften durchsehen
  • Literaturverweise in Büchern oder Fachzeitschriftenbeiträgen verfolgen
  • in einer nach Sachgruppen geordneten Bibliographie, einem Bibliotheks-Stichwortkatalog oder einer Abstractsammlung nachsehen
  • in einer elektronischen Literaturdatenbank (z.B. MEDLINE, DIMDI, FIZ) suchen
  • einen professionellen Recherche- und Lieferdienst beauftragen (z.B. ISI Institute for Scientific Information, Deutsche Zentralbibliothek für Medizin)
  • im Internet mit Suchmaschinen oder über medizinische Portale (z.B. www.netdoktor.de, www.multimedica.de, www.gesundheitsscout24.de) nach Materialien suchen

 

Jede dieser Herangehensweisen hat Vor- und Nachteile:

 

  • Es ist nicht einfach jemanden zu finden, der sich in der Materie auskennt und Zeit und Geduld hat, sich mit der Fragestellung zu befassen. Die Antworten sind subjektiv, der Sichtweise und dem jeweiligen Kenntnisstand der befragten Person verhaftet. Positiv ist die Möglichkeit, die Thematik im Dialog weiter zu erläutern, genauer einzugrenzen und assoziativ zu diskutieren.
  • Konferenzbände enthalten Abstracts zu Vorträgen mit eng umgrenzten Themen. Ihr großer Vorteil liegt in ihrer Aktualität und ihrer hohen thematischen Spezialisierung. Sie bieten allerdings keine geschlossene und systematische Übersichtsdarstellung eines Gebiets, da sich die Beiträge nicht aufeinander beziehen und keine einheitliche redaktionelle Bearbeitung stattfindet. Die Kongresse selbst bieten allerdings die Möglichkeit, Experten zu treffen, zu diskutieren sowie informelle Netzwerke aufzubauen.
  • Bücher erscheinen erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung, wenn sich neue Erkenntnisse zu einem Fachgebiet etabliert haben. Bücher kondensieren die Erkenntnisse aus anderen Quellen der Primärinformation.
  • Über die klassischen (Papier-) Bibliotheken ist die Bestellung umständlich und zeitaufwendig. Seit einigen Jahren existieren Bestell- und Lieferdienste, die Kopien per Fax, Post oder E-Mail versenden und so den Bestellvorgang deutlich beschleunigen und vereinfachen. Für beide Methoden gilt: Da vor der Bestellung oft nur der Titel der bestellten Publikation bekannt ist, ist schwer einzuschätzen, ob durch deren Inhalt die Fragestellung abgedeckt wird.
  • Stichwortkataloge und Inhaltsklassifikationen sind hierarchisch nach Sachgruppen gegliedert. Eine ausreichende Kenntnis dieser domänenspezifischen Gliederung und der (medizinischen) Fachterminologie seitens des Benutzers ist hier obligatorisch.
  • Literaturdatenbanken bieten Zugang über Sachgruppen, Schlüsselwörter und Freitextsuche. Im Allgemeinen stellen sie nur bibliographische Angaben zur Verfügung, die Publikation muss weiterhin über Bibliotheken oder Lieferdienste bestellt werden.
  • Quellen im Internet werden von Einzelpersonen oder Redaktionen thematisch zusammengestellt. Alle großen Gesundheitsportale enthalten z.B. umfangreiche Linklisten zu diversen Krankheiten. Hier ergeben sich ähnliche Probleme wie bei der Befragung von Experten – erschwerend hier: Die Seiten sind statisch, eine Meinungsbildung über das Fachwissen des Erstellers im persönlichen Gespräch ist nicht möglich. In der schnelllebigen Zeit des World Wide Webs sind solche Angaben oft schon veraltet oder münden in tote Links.
  • Typische Internet-Suchmaschinen verwenden zum großen Teil nur die Volltextsuche nach Wörtern und Wortgruppen – die vielen Synonyme der medizinischen Terminologie sowie Mehrsprachigkeiten bleiben unberücksichtigt. Suchmaschinen indizieren meistens nur HTML-Dokumente, andere Dateiformate wie MS Word oder Postscript bzw. Dateien in Datenbanken werden nicht erfasst.
  • Die Richtigkeit, Qualität und Aktualität der Angaben im Internet ist schwer zu prüfen. Anders als bei Zeitschriften- und Buchpublikationen findet hier keinerlei Review statt [2].

 

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Metadaten-Verschlagwortung medizinischer Literatur

 

 

Eine Informationsrecherche anhand der im Dokumententext enthaltenen

 

Wörter reicht in den meisten Fällen nicht aus. Aus diesem

 

Grund werden zu einem Dokument Metadaten vergeben, die neben typischen

 

bibliographischen Informationen zusätzlich stichwortartige

 

Angaben zu Inhalt und Fachgebiet enthalten.

 

 

 

Zur Verschlagwortung medizinischer Publikationen in Zeitschriften

 

und Büchern wird von den Bibliotheken der MeSH-Standard

 

verwendet (Medical Subject Heading). Der MeSH enthält über

 

19.000 Konzepte (Stand 2001), wird jährlich von der NLM (National

 

Library of Medicine) aktualisiert und in Deutschland vom DIMDI (Deutsches

 

Institut für Medizinische Dokumentation und Information) übersetzt

 

und herausgegeben. Bei der NLM verschlagworten professionelle medizinische

 

Dokumentare mit Hilfe des kontrollierten Vokabulars des MeSH die

 

aktuelle Literatur und vergeben pro Publikation zwischen fünf

 

und zwölf MeSH-Deskriptoren. Bei der Auswahl zwischen Synonymen

 

legt der MeSH einen Vorzugsbegriff fest.

 

 

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MEDLINE

 

 

Die Literaturdatenbank MEDLINE

 

der National Library of Medicine ist wegen der Größe

 

des Datenpools und ihrer Vollständigkeit aus der medizinischen

 

Recherche nicht mehr wegzudenken. MEDLINE enthält sämtliche

 

bibliographischen Verweise aus über 4.000 biomedizinischen

 

Zeitschriften mit ca. 11 Mio. Einträgen (Stand 2001) aus 71

 

Ländern seit Mitte der sechziger Jahre. Über das Internet

 

kann jedermann kostenlos und ohne Anmeldung auf sie zugreifen.

 

 

 

Alle Literatureinträge werden mit Hilfe des MeSH-Thesaurus

 

verschlagwortet. Über das Internet-Suchinterface können

 

Metadaten und Boolesche Verknüpfungen von Freitext eingegeben

 

werden. Zur Trefferliste können Abstracts der Publikation in

 

verschiedenen Formaten angezeigt und heruntergeladen werden. Über

 

die Funktion "Related Articles" steht eine Query-by-Example-Suche

 

zur Verfügung. Zur Beschaffung der gesamten Publikation existiert

 

ein (kostenpflichtiger) Lieferdienst. Zusätzlich zum Abstract

 

wird jeder Artikel in die Sachgruppenhierarchie einer Linkliste

 

namens MEDLINE Plus einsortiert. Diese schafft somit, leider auf

 

einer noch zu allgemeinen Ebene, die Anbindung der Zeitschriftenpublikationen

 

an externe Ressourcen im Internet.

 

 

 

beier1 picture
Internet-Suchinterface der Literaturdatenbank MEDLINE

 

Stellenwert von Zeitschriften, Büchern und Internet

 

 

Bei der Primärinformation besitzen in der Medizin die Zeitschriften

 

(und hier insbesondere die renommierten Journale) mit Abstand den

 

höchsten Stellenwert. Zur vergleichenden Bewertung der Qualität

 

von Zeitschriften wurde ein so genannter Impact-Faktor eingeführt

 

(Science

 

Citation Index – Journal Citation Reports, erstellt vom

 

ISI Institute for Scientific Information). Auf Basis der Zitathäufigkeiten

 

in anderen Zeitschriften wird jährlich für über 5.000

 

biomedizinische Zeitschriften ein individueller Impact-Faktor ermittelt.

 

Für Publikationen in Buchform hingegen werden keine Impact-Faktoren

 

vergeben. Einzelne Forscher, Abteilungen und ganze Forschungseinrichtungen

 

oder Krankenhäuser werden heute hinsichtlich des Outputs nach

 

ihrem Impact-Faktor bewertet und nach Ranking sortiert. Aus diesem

 

Grunde hat das Internet bisher keinerlei Relevanz als Publikationsmedium

 

für die medizinische Forschung erlangen können: Hier gibt

 

es keine Belohnung in Form von Impact-Sammelpunkten.

 

 

Seitenanfang

Medizinische Suchmaschinen

 

 

Einige Internet-Suchmaschinen haben sich auf Sites mit medizinischen

 

Themen spezialisiert. Wer also bestimmte medizinische Fachinhalte

 

im Internet sucht, sollte – neben den medizinischen Portalen

 

– bei einer dieser Suchmaschinen vorbeischauen:

 

 

 

 

Die Indizierung erfolgt auf Zuruf oder sofern der Spider auf HTML-Seiten

 

stößt, die einen definierten Schwellenwert zur Häufigkeit

 

medizinischer Fachtermini überschreiten. Bei medizinischen

 

Suchmaschinen sind häufig auch Thesauri integriert, die die

 

Sucheingaben kontrollieren und automatisch um weitere Suchbegriffe

 

(Synonyme, Sprachvarianten) erweitern.

 

 

 

Die Suchmaschine der hyperCIS AG setzt als Frontend ein semantisches

 

Netz ein, das die MeSH-Klassifikation als XML-Topic-Map abbildet.

 

Der Benutzer navigiert hier von Thema zu Thema; die Themen sind

 

hierarchisch und mit Siehe-auch-Beziehungen untereinander verwoben.

 

Jeder Netzknoten (Topic) enthält neben dem Thema weitere Beschreibungen

 

wie Definition, Synonyme und Übersetzungen. Bei jedem Klick

 

auf einen Topic wird aus den Knoteninformationen automatisch eine

 

Suchanfrage generiert.

 

 

 

beier2 picture
Topic Map der medizinischen Klassifikation MeSH mit Steuerung einer Suchmaschine

 



Ausblick

 

 

In Zukunft wird die Logistik der Information auch in der Medizin

 

weiter an Bedeutung gewinnen. Intelligente Retrieval-Systeme werden

 

nicht nur ad hoc auf Aufforderung des Suchenden eine Recherche beginnen,

 

sondern autonom agieren und dem Anwender die Suchresultate automatisch

 

und individuell zustellen [1]. Die heute bereits

 

existierenden Interessenprofile der Anwender werden ihre Allgemeinheit

 

verlieren und in den konkreten Tagesablauf mit seinen anstehenden

 

Aufgaben und Aktivitäten eingebunden sein.

 

 

 

Heutzutage sieht ein personalisiertes Interessenprofil z.B. wie

 

folgt aus: "Dr. Brinkmann interessiert sich für laserinduzierte

 

Thermotherapie". Wenn das System Dokumente zu diesem Thema

 

findet, wird es diese Dr. Brinkmann z.B. per E-Mail zusenden. Ein

 

System der Zukunft hingegen wird die aktuelle Tagesplanung von medizinischen

 

Fachkräften berücksichtigen: Dr. Brinkmann wird morgen

 

um 8.00 Uhr eine Leberoperation durchführen – ein intelligentes

 

System wird dementsprechend am Abend vorher zur Vorbereitung dieses

 

Eingriffs relevante Dokumente zu aktuellen Techniken, Leitlinien

 

der Best Practices und Komplikationsrisiken speziell für ihn

 

zusammenstellen. Sinnvollerweise sollten dabei auch der Aufenthaltsort

 

des Empfängers und der Weg der Benachrichtigung berücksichtigt

 

werden: z.B. tagsüber PDF-Dokumente per E-Mail an die Klinikadresse,

 

nach Dienstende per Fax an die Privatadresse oder bei Abwesenheit

 

eine SMS-Benachrichtigung zum Handy (Unified Messaging). Ziel ist

 

hier eine effektive Integration der Versorgung mit Information in

 

den Arbeitsablauf eines jeden Mitarbeiters: Die passende Information

 

bei der richtigen Person zur rechten Zeit am gewünschten Ort

 

im angemessenen Präsentationsformat im adäquaten Informationskanal.

 

 


Literatur:

 

 

[1] Lucas, R.: Informationslogistik für Wissensarbeiter. In:

 

wissensmanagement 1/2001,

 

S. 6-8.

 

 

 

[2] Mehr zu diesem Thema der Qualitätssicherung im medizinischen

 

Internet findet sich unter www.medcertain.org.

 

 

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