Fachbeiträge
Telearbeit bei der Volkswagen AG – ein zukünftiger Erfolgsfaktor?
von Theda Jensen und Manuela Meske
In den letzten Jahren hat sich der Telearbeitsplatz zu einem vollwertigen Arbeitsplatz entwickelt und das Negativ-Image aus den 80er Jahren, als Heimarbeit mit niedrig qualifizierten Arbeiten assoziiert wurde, abgelegt. Heute sind es gerade die hoch qualifizierten Wissensarbeiter, die zunehmend unabhängig vom betrieblichen Arbeitsplatz agieren. Unternehmen, die Telearbeit praktizieren, berichten dabei von Produktivitätssteigerungen von bis zu 30% und höherer Motivation der Mitarbeiter. Doch das neue Arbeiten stellt die Telearbeiter sowie deren Vorgesetzte und Kollegen auch vor neue Herausforderungen. Lesen Sie den Erfahrungsbericht von Theda Jensen und Manuela Meske über ein Pilotprojekt zur Einführung von Telearbeit bei der Volkswagen AG.
Von Theda
Inhaltsübersicht:
- Pilotversuch Telearbeit bei der Volkswagen AG
- Regelungsabsprache
- Teilnahmevoraussetzungen
- Anforderungen an den Telearbeiter
- Anforderungen an den Vorgesetzten
- Teilnehmende Bereiche und Tätigkeitsfelder
- Ausblick
- Seitenblick
Die gegenwärtige Arbeitswelt ist starken Veränderungen
unterlegen. Die dynamische Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien
ermöglicht es, den Austausch von Informationen leichter, sicherer
und kostengünstiger durchzuführen und eröffnet neue
Gestaltungsvarianten flexibler und dezentraler Lösungen der
Arbeitsorganisation. Doch auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter
unterliegen in den letzten Jahren einem Wandel. Zunehmend besteht
bei den Arbeitnehmern das Bestreben, berufliche und private Interessen
in Einklang zu bringen. Telearbeit ist ein derzeit vieldiskutiertes
Thema nicht nur in der Wissenschaft, sondern verstärkt auch
in der Praxis.
Aus Perspektive der Arbeitnehmer vergrößern sich durch
die Nutzung der modernen Kommunikationsmittel die Freiräume
und somit ihre Eigenständigkeit bei der Arbeitstätigkeit.
Die Möglichkeit einer freieren Zeiteinteilung, die bessere
Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Verringerung von Wegezeiten
entsprechen dem vielbeschriebenen Wertewandel in der Arbeitsgesellschaft.
Unternehmen erwarten von der Einführung von Telearbeit eine
gesteigerte Flexibilität und Produktivität. Durch motiviertere
Mitarbeiter und beschleunigte Kommunikationszeiten soll es zu einer
Stärkung der Innovationskraft und einer Verbesserung der Produktqualität
kommen. Darüber hinaus wird Telearbeit als Chance zur Bindung
hochqualifizierter Mitarbeiterpotenziale an das Unternehmen gesehen.
Die Möglichkeit der Kostensenkung durch reduzierten Büroraumbedarf
ist ein weiteres betriebswirtschaftliches Argument, welches in der
Diskussion um das Thema Telearbeit häufig genannt wird. Insgesamt
gesehen können diese Effekte für ein Unternehmen bedeutende
Schlüsselfaktoren im nationalen und internationalen Wettbewerb
darstellen.
Für die Volkswagen AG stellt die Organisationsform der Telearbeit
einen bedeutenden Bestandteil der innovativen Personalstrategie
dar. Ein aktuelles Pilotprojekt soll nun mögliche Auswirkungen
von Telearbeit im Hause Volkswagen offenlegen.
Pilotversuch Telearbeit bei der
Volkswagen AG
Zu Beginn des Jahres 1998 erging der Beschluss, Telearbeit als
innovative Form der Arbeitsorganisation zunächst in einem Pilotversuch
zu erproben. Die Volkswagen AG definiert Telearbeit im Sinne der
Regelungsabsprache als alternierende Telearbeit, d.h. Beschäftigte
erbringen im Rahmen ihres Arbeitsvertrages einen Teil ihrer Arbeitsaufgabe
unter Verwendung technischer Arbeits- und Kommunikationsmittel außerhalb
der Betriebsstätte der Volkswagen AG.
Des Weiteren sind in der Regelungsabsprache die drei primären
Ziele niedergelegt, die mit der Einführung der zeitlich und
räumlich flexiblen Form der Arbeitsorganisation verbunden werden.
Diese entsprechen im Wesentlichen den bereits dargestellten Vorteilen
von Telearbeit und münden letztlich in der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
des Unternehmens Volkswagen.
Ziele von Telearbeit bei der Volkswagen AG |
Als grundlegende rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen
für das Pilotprojekt Telearbeit können zum einen die angesprochene
Regelungsabsprache, welche u.a. auch die Festlegung der prinzipiellen
Teilnahmevoraussetzungen beinhaltet, als auch die Bildung eines
Projektteams angeführt werden. Bei der praktischen Umsetzung
sind sowohl die Anforderungen an die Telearbeiter und deren Führungskräfte
als auch die unter Telearbeit verrichteten Tätigkeitsfelder
von Interesse. Die Volkswagen AG begann ihr Pilotprojekt im Frühjahr
1999 mit der Zahl von 50 Telearbeitern.
Die Regelungsabsprache stellt als Vorstufe einer möglichen
zukünftigen Betriebsvereinbarung die rechtliche Grundlage der
Versuchsphase dar. Neben der Definition und den Zielen von Telearbeit
werden u.a. die Arbeitszeiten, die Ausstattung eines Telearbeitsplatzes,
die Rechte des Betriebsrates, der Datenschutz und die Informationssicherheit,
der Zugang zum Telearbeitsplatz sowie Haftungsfragen geregelt.
Die bisherige vertragliche Arbeitszeit des Beschäftigten wird
durch Telearbeit nicht verändert. Auch unter Telearbeit gelten
die gesetzlichen, tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen.
Die Verteilung der Arbeitszeit auf den Telearbeitsplatz und den
betrieblichen Arbeitsplatz erfolgt in Abstimmung zwischen dem betrieblichen
Vorgesetzten und dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung betrieblicher
Erfordernisse und persönlicher Interessen. Im Rahmen der Regelungsabsprache
ist jedoch vereinbart, auf ein möglichst ausgeglichenes Verhältnis
zwischen Arbeitszeit im Betrieb und am häuslichen Arbeitsplatz
zu achten.
Die Ausstattung des Telearbeitsplatzes erfolgt unternehmensseitig.
Der in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat definierte Standard-Telearbeitsplatz
beinhaltet:
- einen Schreibtisch
- einen Bürostuhl
- einen verschließbaren Rollcontainer
- eine Schreibtischlampe
- die notwendige Hard- und Software
- ein Telefon
Eine ISDN-Leitung stellt die direkte Verbindung zum Volkswagen-Server
sicher und ermöglicht den Datentransfer zwischen dem häuslichen
Arbeitsplatz und der Volkswagen AG. Für die Einrichtung, welche
im Auftrag und auf Kosten der Volkswagen AG erfolgt, gelten die
für Bildschirmarbeitsplätze festgelegten Standards.
Die Rechte des Betriebsrats bleiben im Rahmen von Telearbeit unberührt;
er bleibt im vollem Umfang für seine betriebsverfassungsrechtlichen
Aufgaben zuständig. Die Belange des Datenschutzes und der Informationssicherheit
bleiben im Rahmen der gesetzlichen und betrieblichen Regelungen
gewahrt. Hierzu dürfen die zur Verfügung gestellten Arbeits-
und Kommunikationsmittel vom Telearbeiter nur für die Arbeitsaufgaben
genutzt werden; der Schutz vor dem Zugriff Dritter muss gewährleistet
sein. Der Zugang zum Telearbeitsplatz durch Vertreter des Arbeitgebers
oder auch den Betriebsrat ist lediglich nach rechtzeitiger Anmeldung
und mit Zustimmung des Beschäftigten möglich. Die Haftung
der Beschäftigten für Beschädigungen und Verlust
der Arbeits- und Kommunikationsmittel ist auf Vorsatz und grobe
Fahrlässigkeit beschränkt. Grundsätzlich wird von
der Unternehmensseite eine Zusatzversicherung für die Einrichtungsgegenstände
des Telearbeitsplatzes abgeschlossen.
Die Teilnahme an dieser neuen Arbeitsorganisationsform ist prinzipiell
für jeden Mitarbeiter freiwillig. Von Seiten des Vorgesetzten
ist jedoch darauf zu achten, dass die Arbeitsaufgabe des zukünftigen
Telearbeiters eine zeitweilige Abwesenheit vom betrieblichen Arbeitsplatz
zulässt und somit daraus keine Beeinträchtigung des Betriebsablaufes
resultiert. Gleichzeitig ist darauf zu achten, dass die privaten
Räumlichkeiten des Mitarbeiters für die Einrichtung einer
außerbetrieblichen Telearbeitsstätte geeignet sind.
Auf Basis der Regelungsabsprache wird zum bestehenden Arbeitsvertrag
eine Zusatzvereinbarung unternehmensseitig und arbeitnehmerseitig
unterzeichnet, mit deren Hilfe das Arbeitsverhältnis in ein
Telearbeitsverhältnis umgewandelt wird.
Voraussetzung für die Teilnahme an dem Pilotprojekt ist der
Besuch einer Einführungsveranstaltung. Diese Maßnahme
qualifiziert den zukünftigen Telearbeiter derart, dass er die
ihm im Rahmen der Telearbeit übertragenen Aufgaben erledigen
kann. Dabei wird über die Ausstattung und den Umgang mit der
Technik am Telearbeitsplatz informiert, Verhaltensempfehlungen zur
Datensicherheit gegeben, auf mögliche gesundheitliche Belastungen
an einem Bildschirmarbeitsplatz hingewiesen sowie die optimale Nutzung
der Büromöbel vorgestellt. Darüber hinaus werden
auch Fragen der Arbeitssicherheit und des Verhaltens im Falle eines
Arbeitsunfalles in den privaten Räumlichkeiten behandelt. Inwieweit
die Notwendigkeit einer weitergehenden, überfachlichen Qualifizierung
bezüglich Themen wie Zeitmanagement, Arbeitsmethodik oder auch
Telefontraining besteht, wird der Projektverlauf zeigen.
Um die Pilotphase erfolgreich durchzuführen sowie eine mögliche
Ausbreitung der flexiblen Arbeitsform auf die gesamte Volkswagen
AG vorzubereiten, wurde als organisatorischer Rahmen ein abteilungsübergreifendes
Kernteam gebildet. Die Projektverantwortung liegt jedoch im zentralen
Personalwesen.
Projektteam Telearbeit bei der Volkswagen AG |
Das Kernteam konstituiert sich aus Vertretern der Geschäftsbereiche
zentrales Personalwesen sowie Führungsorganisation und Systeme
und Vertretern des Betriebsrats. Die auftretenden Probleme und Fragestellungen
werden bei Zusammenkünften in zweimonatigem Turnus gemeinsam
erörtert und durch Ergreifen entsprechender Maßnahmen
behoben. Gegebenenfalls werden hierzu die betreffenden Fachbereiche
wie beispielsweise die Arbeitssicherheit, das Gesundheitswesen oder
aber auch die Personalabteilungen der betreffenden Werke hinzugezogen.
Anforderungen an den Telearbeiter
Zunächst ist die persönliche Arbeitsaufgabe eines Mitarbeiters
bestimmend für dessen mögliche Teilnahme an Telearbeit.
Darüber hinaus liegt es in der Verantwortung der jeweiligen
Vorgesetzten, geeignete Personen für die Teilnahme am Projekt
zu bestimmen. Von Seiten der Projektleitung ist auf wesentliche
Auswahlkriterien hingewiesen worden, die es an dieser Stelle zu
beachten gilt.
Anforderungen an einen Telearbeiter bei der Volkswagen AG |
Dass sich Kriterien wie Vertrauenswürdigkeit, Zuverlässigkeit
und Berufserfahrung als besonders bedeutend für den Auswahlprozess
erwiesen haben und scheinbar insbesondere Mitarbeitern zugeschrieben
werden, die eine recht lange Unternehmenszugehörigkeit aufweisen,
ist auch in dem hier beschriebenen Projekt abzulesen: Mehr als die
Hälfte der Pilotteilnehmer ist länger als 10 Jahre bei
der Volkswagen AG beschäftigt. Diese Personen kennen die internen
Strukturen und konnten in der Vergangenheit informelle Netzwerke
bilden, so dass trotz der zeitweiligen räumlichen Abwesenheit
geringe Kommunikationsschwierigkeiten entstehen dürften.
Anforderungen an den Vorgesetzten
Nicht nur für den Telearbeiter, auch für den Vorgesetzten
verändert sich die Arbeitssituation. Denn die Führung
von räumlich entfernten Mitarbeitern stellt neue Anforderungen
an ihn. Ein ergebnisorientierter Führungsstil wird als unerlässlich
für Telearbeit erachtet. Nicht die persönliche Kontrolle
des Arbeitsverhaltens, der Ausführung einzelner Arbeitsschritte,
sondern vielmehr die Kontrolle der Arbeitsergebnisse steht hierbei
im Mittelpunkt. Darüber hinaus muss auch die Führungskraft
über ein großes Maß an Kommunikationsfähigkeit
verfügen und die verstärkte Verpflichtung regelmäßiger
und ausreichender Kommunikation mit dem nicht permanent anwesenden
Mitarbeiter erkennen. Notwendiges Vertrauen und Flexibilität
sind bereits auf der Seite des Telearbeiters angesprochen worden.
Und letzten Endes gilt auch für die Führungskraft der
Grundsatz der Freiwilligkeit.
Anforderungen an einen Telearbeiter bei der Volkswagen AG |
Teilnehmende Bereiche und Tätigkeitsfelder
Während der Pilotphase ist die Anzahl der angebotenen Telearbeitsplätze
auf 50 Telearbeitsverträge beschränkt, welche aus verschiedensten
Bereichen ausgewählt worden sind. Am Standort Wolfsburg aus
dem Bereich Führungsorganisation und Systeme, der Forschung
und Entwicklung, der Kommunikation, der Produktion oder auch dem
Betriebsrat. Der Standort Kassel ist durch Mitarbeiter des Vertriebs
an dem Pilotversuch beteiligt. Weiterhin befinden sich Beschäftigte
der Tochtergesellschaften VW Coaching und VW Transport unter den
Projektteilnehmern. Durch diese breit gefächerte Auswahl an
Teilnehmern konnte eine starke Differenzierung der Tätigkeiten
und Qualifikationsniveaus erreicht werden.
Bereich | Tätigkeit |
Forschung und Entwicklung |
CAD-Konstruktion |
Kommunikation | Öffentlichkeitsarbeit |
Führungsorganisation und Systeme | Systemanalytiker |
Betriebsrat | Verfassen von Redebeiträgen |
Produktion | Erstellung von Sicherheitsdatenblättern für Prozessmaterialien |
Vertrieb | Händlerbetreuung |
VW Coaching | Entwicklung von Seminar- bzw. Trainingskonzepten |
VW Transport | Systemanalytiker |
Beispielhafte Auflistung der von Telearbeitern verrichteten Aufgaben und Tätigkeiten |
Dieses vielseitige Aufgabenspektrum erlaubt die Beurteilung der
Pilotphase hinsichtlich unterschiedlichster Perspektiven und Aspekte.
Interessant ist hierbei die Tatsache, dass nicht nur einfach strukturierte
Tätigkeiten im Vorfeld des Projekts als telearbeitstauglich
erachtet werden. Im Gegenteil ist ein hoher Anteil der Telearbeiter
als hochqualifiziert einzustufen.
Um im Verlauf der Pilotphase des Projekts Telearbeit möglichst
viele Erkenntnisse zu gewinnen, wird eine wissenschaftliche Begleitforschung
durchgeführt. Hierzu kommen Fragebögen, Workshops und
Interviews zur Anwendung. Nicht nur die Telearbeiter selbst, sondern
auch deren Vorgesetzte und Kollegen stehen hierbei im Fokus. Die
Auswirkungen der neuen Arbeitsform auf die gesamte Gruppe können
maßgeblich für das Gelingen beziehungsweise Nicht-Gelingen
von Telearbeit sein. Diese Dokumentation der gemachten Erfahrungen
bildet die Entscheidungsgrundlage für die zukünftige Ausgestaltung
von Telearbeit in der Volkswagen AG.
Dieser Beitrag ist in Heft
6 November 2000 von wissensmanagement Das Magazin für
Führungskräfte erschienen. Inzwischen ist die Pilotphase
des Projekts Telearbeit bei der Volkswagen AG abgeschlossen.
Heft 4 Juli 2001 von wissensmanagement können Sie weiterlesen:
Hier berichten die Autorinnen über die Ergebnisse des Pilotprojektes.
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