Fachbeiträge
Communities – die Zukunft der Wissensorganisation?
von Dr. Peter Schütt
Gerne werden Communities als wahres Wundermittel für eine möglichst reibungslose Transformation in eine wissensbasierte und lernende Organisation beschworen. Doch was genau hat man unter einer Community zu verstehen? In den meisten Fällen wird damit nur modisch der altgediente Begriff der Benutzergruppe ersetzt. Doch Communities gehen – richtig verstanden – weit darüber hinaus. Ihnen kommt eine wachsende Bedeutung als neue und zusätzliche Organisationsebene zu. Im ersten Teil seiner dreiteiligen Beitragsreihe räumt Peter Schütt mit einigen Missverständnissen auf und zeigt, wie zielgerichtete Communities aufgebaut werden können.
Von Peter
Inhaltsübersicht:
- Nutzergruppe oder mehr?
- Sind Teams Communities?
- Die Community als Gilde?
- Kundenorientierung hat ihren Preis
- Das C4+1-Community-Design-Modell
Über
Communities gibt es in jüngerer Zeit Unmengen an theoretischer
Fachliteratur. Gern werden sie hier als Wundermittel zur Heilung
jeglicher organisatorischer Schwierigkeiten beim Übergang in
die Wissensgesellschaft gedeutet. Die meisten Betrachtungen sind
jedoch relativ eindimensional und Communities sind dort kaum mehr
als klassische Benutzergruppen von Intra- oder Internetseiten. Dabei
gibt es, praktisch betrachtet, eine Vielzahl verschiedener Arten
von Communities innerhalb von Unternehmen, in Unternehmensverbünden
und als Kunden-Communities, die tatsächlich stark an Bedeutung
gewinnen. Dieser Artikel räumt mit einigen Missverständnissen
auf und zeigt, wie zielgerichtete Communities aufgebaut werden können.
Im Umfeld aktueller
Diskussionen zu Wissensmanagement tritt der Begriff Communities
unübersetzt in seinem amerikanischen Original immer häufiger
auf und es werden dem Thema sogar ganze Bücher gewidmet [1].
Dabei fällt auf, dass mit Communities in den meisten Publikationen
eigentlich nur Benutzergruppen gemeint sind, die gemeinsam Intranetlösungen
und Portale zur Informationsbündelung nutzen. Den Autoren scheint
das deutsche Wort aber nicht krass genug zu sein.
Aktuell findet
in vielen Unternehmen der Übergang von der historisch durch
die Informationstechnologie (IT) vorgegebene Anwendungszentrierung
zum themenorientierten Arbeiten mit Unterstützung durch transparente,
in Portalen gebündelten Informationsquellen aus verschiedensten
Anwendungen statt. Dabei ist in der Tat in einem wesentlichen ersten
Schritt zu bestimmen, welche Benutzergruppen welche Informationen
aus welchen Informationsquellen benötigen. Nur dann können
entsprechende IT-Portale sinnvoll gestaltet und gefüllt werden.
Denn auch beim Thema der Portale gilt eben, dass ein reines Investment
in Technologie noch lange nicht selig macht.
Eine wichtige
Facette solcher Nutzergruppen, für die vielleicht auch ein
modernerer Begriff lohnend ist, sind Kunden-Communities, insbesondere
im Umfeld von E-Commerce, bei denen es um die Bindung an einen Anbieter
im oder über das Internet geht.
Aber in Communities
steckt viel mehr, wie all diejenigen schon ahnen, die nicht der
allgegenwärtigen Wissensmanagement-Hardliner-Fraktion angehören,
die immer noch glaubt, dass man jegliches Wissen in Datenbanken
niederlegen könne und solle.
Viele Unternehmen
haben in den letzten Jahren begonnen, Aufgaben von Teams, die nach
jeweiliger Befähigung zusammengestellt werden, lösen zu
lassen, anstatt diese Aufgaben einfach an die zuständigen Personen
oder Abteilungen zu delegieren, die in manchen Fällen gar nicht
über das notwendige Fachwissen verfügen. Arbeiten die
Teammitglieder nicht physisch an einem Standort zusammen, sondern
überwiegend über elektronische Medien, dann spricht man
auch von virtuellen Teams.
Teams zeichnen
sich dadurch aus, dass die Mitglieder in der Regel berufen werden
und dass das Team jeweils einen ganz konkreten Projektauftrag mit
einem klaren Zieltermin hat. Das unterscheidet sie von Communities,
die eher freiwillig zusammenkommen, sich mit einem mehr oder weniger
engen, geschäftsrelevanten Themenbereich befassen und ihn inhaltlich
kontinuierlich weiterentwickeln dies per se natürlich
ohne feste Terminvorgabe und damit auch ohne vorgegebenes Ende.
Damit liegen
sie nahe bei den Arbeitskreisen, zu denen die Mitglieder aber in
der Regel auch abgeordnet werden. Communities im Sinne wie
die Benennung hier benutzt werden soll bauen wesentlich mehr
auf das Prinzip der Freiwilligkeit, weil Wissen eben nur auf freiwilliger
Basis als Einzelentscheidung des jeweiligen Wissensträgers
weitergegeben wird. Wie sagt Peter Drucker: "In a knowledge
economy everybody is a volunteer" in der Wissensgesellschaft
gibt es nur Freiwillige [2]. Aus den Funktionsprinzipien
und insbesondere den Schwächen von Arbeitskreisen (Nutzungspotenzial
folgt einer Euphoriekurve und lässt schnell stark nach, Lethargie
vieler Teilnehmer usw.) lässt sich viel lernen. Damit sind
Communities sozusagen die besseren Arbeitskreise, aber nur, wenn
man sie entsprechend aufbaut und managt.
Ein Einflussfaktor
des Internets hat noch nicht voll durchgeschlagen, wird aber den
Bedarf an solchen Communities als kritischen Erfolgsfaktor in naher
Zukunft bestimmen: E-Working, also das Arbeiten von irgendwo über
das Internet. Irgendwo kann beim Kunden, kann von zu Hause, kann
auf einer Fahrt im Intercity oder in einer Lounge am Flughafen und
kann auch mal am klassischen Arbeitsplatz sein. Diese modernste
Form des Telearbeitens [3] verändert die
Kommunikationsprozesse und damit die Sozialstrukturen in Unternehmen.
Sowohl für
virtuelle Teams als auch für E-Worker ist die physische Distanz
zur Person des Chefs in der hierarchischen Aufbauorganisation zu
weit, um Entscheidungen immer zu verifizieren das dauert
einfach zu lange. Damit wächst zwangsweise die dezentrale Verantwortung,
eine Entwicklung, die in den 80er Jahren schon als so genannte Empowerment-Strategie
begann damals, um unter Kostendruck die Organisation schlanker
zu machen. Jetzt ist der Antrieb aber weniger der Kostengedanke
als vielmehr die Schnelligkeit.
Auch wenn der
Mensch von manchen Organisationstheoretikern immer wieder gern als
Rad im Räderwerk des Unternehmens, also als maschineller Bestandteil,
gesehen wird, so ist insbesondere im Punkt Motivation die Gefühlswelt
nicht zu vernachlässigen. Dazu gehören Lob und kritische
Verbesserungsvorschläge. Dadurch, dass die Zusammenarbeit in
der virtuellen Organisation unter zeitlichen Aspekten noch enger
wird als in der hierarchisch-realen, wird und muss auch Lob und
Kritik aus dieser Organisationsform kommen gleichsam als
Benzin für den Alltag.
Damit nähert
sich die Struktur trotz Einbindung in ein Unternehmen (oder eine
Kette von kleineren Unternehmen) immer mehr den frühen mittelalterlichen
Handwerksgilden, die nach H. Stradal [4] und
Otto von Gierke [5] als "Personenvereinigung
zum gegenseitigen Schutz und Beistand, religiöser und gesellschaftlicher
Tätigkeit sowie zur beruflichen und wirtschaftlichen Förderung
ihrer Mitglieder" gegründet wurden. Damals hatten sich
Handwerker und Händler entsprechend ihres jeweiligen Fachwissens
zu Gilden oder Zünften zusammengeschlossen. Heute sind es die
Wissensarbeiter in ihren Fachthemen, wobei deren Communities (noch)
nicht so tiefgehend sind. Dass die Gilden nach mehreren 100 Jahren
verkrusteten und mit einem ausufernden Regelwerk Fortschritt und
Veränderung lähmten, kann dabei nur als warnendes Beispiel
für die Zukunft gesehen werden.
Auch wenn in Amerika
der größte private Arbeitgeber kein klassisches Unternehmen
mehr ist, sondern der Zeitarbeitsanbieter Manpower Inc., schon 1997
mit über 2 Millionen Angestellten, so ist die Erwartung, dass
moderne Gilden die Unternehmen als Sozialstruktur ersetzen, vermutlich
übertrieben. Was sich aber in zahlreichen Unternehmen
auch bei der IBM und Lotus heute schon zeigt, ist, dass sie
eine neue Ebene der Organisation besetzen. In sehr modernen Unternehmen
ist ein Mitarbeiter heute gleich dreimal eingebunden:
- in der hierarchischen Aufbauorganisation, in der er seinen Karrieremanager hat
- in der Projektorganisation, aus der er seine kurz- und mittelfristigen Aufträge bekommt
- in der relativ neuen Community-Organisation, in der er sein Wissen ausbaut [6]
Organisationsmodell mit 3 Ebenen. Neu ist die Wissensebene mit echten, thematisch orientierten Communities, die Wissenaustausch und -vermehrung über alle Bereiche ermöglicht. |
hat ihren Preis
Einer der aktuellen
Megatrends ist der Umbau vieler Unternehmen weg von einer produktorientierten
Ablauforganisation hin zu einer kundenorientierten Struktur. Im
Banken- und Versicherungsbereich geht man z.B. aktuell von einer
Spartenorganisation auf eine Multi-Channel-Struktur, die neben verschiedenen
Vertriebswegen auch nach kleinen, mittleren und großen Kunden
separiert und nicht mehr nach Girokonten, Investmentbanking, Baufinanz
usw.
Was diese 90°-Drehung
der Organisation bedeutet, hat Chrysler schon Ende der 80er Jahre
erfahren: 1987 hatte man die American Motor Company gekauft, baute
dann lediglich deren Jeep weiter und übernahm das zu jener
Zeit futuristische Organisationskonzept einer Plattformorientierung.
Gab es bis dahin Karosserieentwickler, Motorenentwickler usw.
und zwar jeweils zuständig für alle Fahrzeuge so
waren die Bereiche in der neuen Organisation für ein ganzes
Fahrzeug, also entweder kleine, mittlere, große PKWs, Lastwagen
oder Jeeps, zuständig.
Die Organisationsveränderung
war sehr erfolgreich. Die mittlere Entwicklungszeit ging schon beim
ersten Fahrzeug von typischen 52 Monaten auf 39 zurück. Das
Problem war nur, dass das Fahrzeug Qualitätsmängel hatte,
die erst in der Produktionslinie auffielen und deren Beseitigung
dann teuer zu stehen kam. So fehlte z.B. seit Jahren zum ersten
Mal ein Geruchsschweller in den Türen. Chrysler analysierte
die Gründe und musste erkennen, dass die Drehung der Organisation
die informelle Organisation der Kommunikationsbeziehungen nachhaltig
geschädigt hatte und das Fachwissen einzelner Gruppen im neuen
Organisationsmodell nicht mehr ausreichte. Deshalb wurden die Kommunikationsstrukturen
der alten Spartenorganisation quasi als 3. Ebene der Organisation
neu erfunden. Heute sind nach Ausweitung des Modells auf
Mercedes fast alle Mitarbeiter der Automobilsparten von DaimlerChrysler
in so genannten TechClubs auf freiwilliger Basis organisiert. Dort
wird Erfahrungswissen ausgetauscht und manches davon wird in der
jeweiligen Lotus Domino Datenbank Engineering Book of Knowledge"
festgehalten [7].
Das Modell
bei IBM Global Services ist nicht viel anders. Dort ist zwar die
Organisation nicht umgebaut worden, aber der Bedarf an Erfassung
von Lessons Learned und an weltweiter Optimierung und Vereinheitlichung
hat auch dort zur Bildung von mittlerweile über 65 Communities
geführt, die u.a. ihre Intellectual-Capital-Management-Datenbanken"
auf Lotus Domino Basis managen.
Das C4+1-Community-Design-Modell
Beide Beispiele
zeigen die wachsende Bedeutung von Communities als neue und zusätzliche
Organisationsebene. Solche Communities sind primär keine Benutzergruppen,
sondern haben einen konkreten Auftrag: bei DaimlerChrysler die Qualitätssicherung
und Produktinnovation und bei IBM Global Services die Vereinheitlichung
und Weiterentwicklung der Serviceangebote.
Nun funktionieren
nicht alle Communities gleich und man sollte zunächst durch eine
Analyse klären, in welche Richtung der größte Handlungsbedarf
besteht. Dazu gibt es vier fundamental unterschiedliche Ausrichtungen,
die man nur sehr beschränkt miteinander kombinieren kann:
- die Informationsnutzungs-Community
- die Innovations-Community
- die Lern-Community
- die Wissenserhaltungs-Community
Zu diesen vier
unternehmensintern ausgerichteten Arten von Communities gesellen
sich die ausschließlich extern orientierten Kunden-Communities,
die ganz anderen Regeln folgen.
Ausblick
Mehr über
das C4+1-Community-Design-Modell erfahren Sie in Heft
3 Mai 2001 von wissensmanagement das Magazin für
Führungskräfte.
[1] Schmidt,
M.P.: Knowledge Communities. München 2000.
[2] Peter
Drucker auf der Delphi Knowledge Conference, San Diego 1998.
[3] Vgl.
Schütt, Peter: Telearbeit Wissensmanagement macht's
möglich. In: wissensmanagement Ausgabe 6/2000. S. 38-42.
[4] Stradal,
H: Gilde. In: Handwörterbuch zur deutschen. Rechtsgeschichte
1. 1971.
[5] von
Gierke, Otto: Das deutsche Genossenschaftsrecht 1. In: Rechtsgeschichte
der deutschen Genossenschaften. 1868. Nachdruck 1954.
[6] Schütt, Peter: Wissensmanagement. Niedernhausen 2000.
[7] Karlenzig, Warren: Chrysler's new Know-Mobiles. In: Knowledge
Management Magazine Mai 1999.
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