Fachbeiträge

Ausgabe 4 / /2001
Fachbeitrag

Communities – die Zukunft der Wissensorganisation?

von Dr. Peter Schütt

Gerne werden Communities als wahres Wundermittel für eine möglichst reibungslose Transformation in eine wissensbasierte und lernende Organisation beschworen. Doch was genau hat man unter einer Community zu verstehen? In den meisten Fällen wird damit nur modisch der altgediente Begriff der Benutzergruppe ersetzt. Doch Communities gehen – richtig verstanden – weit darüber hinaus. Ihnen kommt eine wachsende Bedeutung als neue und zusätzliche Organisationsebene zu. Im ersten Teil seiner dreiteiligen Beitragsreihe räumt Peter Schütt mit einigen Missverständnissen auf und zeigt, wie zielgerichtete Communities aufgebaut werden können.

 

Von Peter

Schütt

 

 

 

Inhaltsübersicht:

 

 

 

Über

Communities gibt es in jüngerer Zeit Unmengen an theoretischer

Fachliteratur. Gern werden sie hier als Wundermittel zur Heilung

jeglicher organisatorischer Schwierigkeiten beim Übergang in

die Wissensgesellschaft gedeutet. Die meisten Betrachtungen sind

jedoch relativ eindimensional und Communities sind dort kaum mehr

als klassische Benutzergruppen von Intra- oder Internetseiten. Dabei

gibt es, praktisch betrachtet, eine Vielzahl verschiedener Arten

von Communities innerhalb von Unternehmen, in Unternehmensverbünden

und als Kunden-Communities, die tatsächlich stark an Bedeutung

gewinnen. Dieser Artikel räumt mit einigen Missverständnissen

auf und zeigt, wie zielgerichtete Communities aufgebaut werden können.

 

 

 


Nutzergruppe oder mehr?

 

 

Im Umfeld aktueller

Diskussionen zu Wissensmanagement tritt der Begriff Communities

unübersetzt in seinem amerikanischen Original immer häufiger

auf und es werden dem Thema sogar ganze Bücher gewidmet [1].

Dabei fällt auf, dass mit Communities in den meisten Publikationen

eigentlich nur Benutzergruppen gemeint sind, die gemeinsam Intranetlösungen

und Portale zur Informationsbündelung nutzen. Den Autoren scheint

das deutsche Wort aber nicht krass genug zu sein.

 

 

Aktuell findet

in vielen Unternehmen der Übergang von der historisch durch

die Informationstechnologie (IT) vorgegebene Anwendungszentrierung

zum themenorientierten Arbeiten mit Unterstützung durch transparente,

in Portalen gebündelten Informationsquellen aus verschiedensten

Anwendungen statt. Dabei ist in der Tat in einem wesentlichen ersten

Schritt zu bestimmen, welche Benutzergruppen welche Informationen

aus welchen Informationsquellen benötigen. Nur dann können

entsprechende IT-Portale sinnvoll gestaltet und gefüllt werden.

Denn auch beim Thema der Portale gilt eben, dass ein reines Investment

in Technologie noch lange nicht selig macht.

 

 

 

Eine wichtige

Facette solcher Nutzergruppen, für die vielleicht auch ein

modernerer Begriff lohnend ist, sind Kunden-Communities, insbesondere

im Umfeld von E-Commerce, bei denen es um die Bindung an einen Anbieter

im oder über das Internet geht.

 

 

Aber in Communities

steckt viel mehr, wie all diejenigen schon ahnen, die nicht der

allgegenwärtigen Wissensmanagement-Hardliner-Fraktion angehören,

die immer noch glaubt, dass man jegliches Wissen in Datenbanken

niederlegen könne und solle.

 

 

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Sind Teams Communities?

 

 

 

Viele Unternehmen

haben in den letzten Jahren begonnen, Aufgaben von Teams, die nach

jeweiliger Befähigung zusammengestellt werden, lösen zu

lassen, anstatt diese Aufgaben einfach an die zuständigen Personen

oder Abteilungen zu delegieren, die in manchen Fällen gar nicht

über das notwendige Fachwissen verfügen. Arbeiten die

Teammitglieder nicht physisch an einem Standort zusammen, sondern

überwiegend über elektronische Medien, dann spricht man

auch von virtuellen Teams.

 

 

Teams zeichnen

sich dadurch aus, dass die Mitglieder in der Regel berufen werden

und dass das Team jeweils einen ganz konkreten Projektauftrag mit

einem klaren Zieltermin hat. Das unterscheidet sie von Communities,

die eher freiwillig zusammenkommen, sich mit einem mehr oder weniger

engen, geschäftsrelevanten Themenbereich befassen und ihn inhaltlich

kontinuierlich weiterentwickeln – dies per se natürlich

ohne feste Terminvorgabe und damit auch ohne vorgegebenes Ende.

 

 

 

Damit liegen

sie nahe bei den Arbeitskreisen, zu denen die Mitglieder aber in

der Regel auch abgeordnet werden. Communities – im Sinne wie

die Benennung hier benutzt werden soll – bauen wesentlich mehr

auf das Prinzip der Freiwilligkeit, weil Wissen eben nur auf freiwilliger

Basis als Einzelentscheidung des jeweiligen Wissensträgers

weitergegeben wird. Wie sagt Peter Drucker: "In a knowledge

economy everybody is a volunteer" – in der Wissensgesellschaft

gibt es nur Freiwillige [2]. Aus den Funktionsprinzipien

und insbesondere den Schwächen von Arbeitskreisen (Nutzungspotenzial

folgt einer Euphoriekurve und lässt schnell stark nach, Lethargie

vieler Teilnehmer usw.) lässt sich viel lernen. Damit sind

Communities sozusagen die besseren Arbeitskreise, aber nur, wenn

man sie entsprechend aufbaut und managt.

 

 

 

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Die Community als Gilde?

 

 

Ein Einflussfaktor

des Internets hat noch nicht voll durchgeschlagen, wird aber den

Bedarf an solchen Communities als kritischen Erfolgsfaktor in naher

Zukunft bestimmen: E-Working, also das Arbeiten von irgendwo über

das Internet. Irgendwo kann beim Kunden, kann von zu Hause, kann

auf einer Fahrt im Intercity oder in einer Lounge am Flughafen und

kann auch mal am klassischen Arbeitsplatz sein. Diese modernste

Form des Telearbeitens [3] verändert die

Kommunikationsprozesse und damit die Sozialstrukturen in Unternehmen.

 

 

Sowohl für

virtuelle Teams als auch für E-Worker ist die physische Distanz

zur Person des Chefs in der hierarchischen Aufbauorganisation zu

weit, um Entscheidungen immer zu verifizieren – das dauert

einfach zu lange. Damit wächst zwangsweise die dezentrale Verantwortung,

eine Entwicklung, die in den 80er Jahren schon als so genannte Empowerment-Strategie

begann – damals, um unter Kostendruck die Organisation schlanker

zu machen. Jetzt ist der Antrieb aber weniger der Kostengedanke

als vielmehr die Schnelligkeit.

 

 

 

Auch wenn der

Mensch von manchen Organisationstheoretikern immer wieder gern als

Rad im Räderwerk des Unternehmens, also als maschineller Bestandteil,

gesehen wird, so ist insbesondere im Punkt Motivation die Gefühlswelt

nicht zu vernachlässigen. Dazu gehören Lob und kritische

Verbesserungsvorschläge. Dadurch, dass die Zusammenarbeit in

der virtuellen Organisation unter zeitlichen Aspekten noch enger

wird als in der hierarchisch-realen, wird und muss auch Lob und

Kritik aus dieser Organisationsform kommen – gleichsam als

Benzin für den Alltag.

 

 

Damit nähert

sich die Struktur trotz Einbindung in ein Unternehmen (oder eine

Kette von kleineren Unternehmen) immer mehr den frühen mittelalterlichen

Handwerksgilden, die nach H. Stradal [4] und

Otto von Gierke [5] als "Personenvereinigung

zum gegenseitigen Schutz und Beistand, religiöser und gesellschaftlicher

Tätigkeit sowie zur beruflichen und wirtschaftlichen Förderung

ihrer Mitglieder" gegründet wurden. Damals hatten sich

Handwerker und Händler entsprechend ihres jeweiligen Fachwissens

zu Gilden oder Zünften zusammengeschlossen. Heute sind es die

Wissensarbeiter in ihren Fachthemen, wobei deren Communities (noch)

nicht so tiefgehend sind. Dass die Gilden nach mehreren 100 Jahren

verkrusteten und mit einem ausufernden Regelwerk Fortschritt und

Veränderung lähmten, kann dabei nur als warnendes Beispiel

für die Zukunft gesehen werden.

 

 

 

 

Auch wenn in Amerika

der größte private Arbeitgeber kein klassisches Unternehmen

mehr ist, sondern der Zeitarbeitsanbieter Manpower Inc., schon 1997

mit über 2 Millionen Angestellten, so ist die Erwartung, dass

moderne Gilden die Unternehmen als Sozialstruktur ersetzen, vermutlich

übertrieben. Was sich aber in zahlreichen Unternehmen –

auch bei der IBM und Lotus – heute schon zeigt, ist, dass sie

eine neue Ebene der Organisation besetzen. In sehr modernen Unternehmen

ist ein Mitarbeiter heute gleich dreimal eingebunden:

  • in der hierarchischen Aufbauorganisation, in der er seinen Karrieremanager hat
  • in der Projektorganisation, aus der er seine kurz- und mittelfristigen Aufträge bekommt
  • in der relativ neuen Community-Organisation, in der er sein Wissen ausbaut [6]

 

 

schuett picture

Organisationsmodell mit 3 Ebenen. Neu ist die Wissensebene mit echten, thematisch orientierten Communities, die Wissenaustausch und -vermehrung über alle Bereiche ermöglicht.

 

 

 

 

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Kundenorientierung

hat ihren Preis

 

 

Einer der aktuellen

Megatrends ist der Umbau vieler Unternehmen weg von einer produktorientierten

Ablauforganisation hin zu einer kundenorientierten Struktur. Im

Banken- und Versicherungsbereich geht man z.B. aktuell von einer

Spartenorganisation auf eine Multi-Channel-Struktur, die neben verschiedenen

Vertriebswegen auch nach kleinen, mittleren und großen Kunden

separiert und nicht mehr nach Girokonten, Investmentbanking, Baufinanz

usw.

 

 

Was diese 90°-Drehung

der Organisation bedeutet, hat Chrysler schon Ende der 80er Jahre

erfahren: 1987 hatte man die American Motor Company gekauft, baute

dann lediglich deren Jeep weiter und übernahm das zu jener

Zeit futuristische Organisationskonzept einer Plattformorientierung.

Gab es bis dahin Karosserieentwickler, Motorenentwickler usw. –

und zwar jeweils zuständig für alle Fahrzeuge – so

waren die Bereiche in der neuen Organisation für ein ganzes

Fahrzeug, also entweder kleine, mittlere, große PKWs, Lastwagen

oder Jeeps, zuständig.

 

 

 

Die Organisationsveränderung

war sehr erfolgreich. Die mittlere Entwicklungszeit ging schon beim

ersten Fahrzeug von typischen 52 Monaten auf 39 zurück. Das

Problem war nur, dass das Fahrzeug Qualitätsmängel hatte,

die erst in der Produktionslinie auffielen und deren Beseitigung

dann teuer zu stehen kam. So fehlte z.B. seit Jahren zum ersten

Mal ein Geruchsschweller in den Türen. Chrysler analysierte

die Gründe und musste erkennen, dass die Drehung der Organisation

die informelle Organisation der Kommunikationsbeziehungen nachhaltig

geschädigt hatte und das Fachwissen einzelner Gruppen im neuen

Organisationsmodell nicht mehr ausreichte. Deshalb wurden die Kommunikationsstrukturen

der alten Spartenorganisation quasi als 3. Ebene der Organisation

neu erfunden. Heute sind – nach Ausweitung des Modells auf

Mercedes – fast alle Mitarbeiter der Automobilsparten von DaimlerChrysler

in so genannten TechClubs auf freiwilliger Basis organisiert. Dort

wird Erfahrungswissen ausgetauscht und manches davon wird in der

jeweiligen Lotus Domino Datenbank „Engineering Book of Knowledge"

festgehalten [7].

 

 

 

Das Modell

bei IBM Global Services ist nicht viel anders. Dort ist zwar die

Organisation nicht umgebaut worden, aber der Bedarf an Erfassung

von Lessons Learned und an weltweiter Optimierung und Vereinheitlichung

hat auch dort zur Bildung von mittlerweile über 65 Communities

geführt, die u.a. ihre „Intellectual-Capital-Management-Datenbanken"

auf Lotus Domino Basis managen.

 

 

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Das C4+1-Community-Design-Modell

 

 

Beide Beispiele

zeigen die wachsende Bedeutung von Communities als neue und zusätzliche

Organisationsebene. Solche Communities sind primär keine Benutzergruppen,

sondern haben einen konkreten Auftrag: bei DaimlerChrysler die Qualitätssicherung

und Produktinnovation und bei IBM Global Services die Vereinheitlichung

und Weiterentwicklung der Serviceangebote.

 

 

 

 

Nun funktionieren

nicht alle Communities gleich und man sollte zunächst durch eine

Analyse klären, in welche Richtung der größte Handlungsbedarf

besteht. Dazu gibt es vier fundamental unterschiedliche Ausrichtungen,

die man nur sehr beschränkt miteinander kombinieren kann:

  • die Informationsnutzungs-Community
  • die Innovations-Community
  • die Lern-Community
  • die Wissenserhaltungs-Community

 

 

 

Zu diesen vier

unternehmensintern ausgerichteten Arten von Communities gesellen

sich die ausschließlich extern orientierten Kunden-Communities,

die ganz anderen Regeln folgen.

 

 

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Ausblick

 

 

 

Mehr über

das C4+1-Community-Design-Modell erfahren Sie in Heft

3 Mai 2001 von wissensmanagement – das Magazin für

Führungskräfte.

 

 

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Literatur

 

 

 

[1] Schmidt,

M.P.: Knowledge Communities. München 2000.

[2] Peter

Drucker auf der Delphi Knowledge Conference, San Diego 1998.

[3] Vgl.

Schütt, Peter: Telearbeit – Wissensmanagement macht's

möglich. In: wissensmanagement Ausgabe 6/2000. S. 38-42.

[4] Stradal,

H: Gilde. In: Handwörterbuch zur deutschen. Rechtsgeschichte

1. 1971.

 

[5] von

Gierke, Otto: Das deutsche Genossenschaftsrecht 1. In: Rechtsgeschichte

der deutschen Genossenschaften. 1868. Nachdruck 1954.

[6] Schütt, Peter: Wissensmanagement. Niedernhausen 2000.

[7] Karlenzig, Warren: Chrysler's new Know-Mobiles. In: Knowledge

Management Magazine Mai 1999.

 

 

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