Fachbeiträge
Nun schärt mal schön!
von Ulrich H. Schneider
Viele Unternehmen gehen mit großem Enthusiasmus, aber auch großer Naivität an das Thema Wissensmanagement heran, um dann schmerzlich erkennen zu müssen, dass die Mitarbeiter sich nicht um das Knowledge Sharing scheren. Wie kann hier Abhilfe geschaffen werden? Ist die Peitsche oder ist das Zuckerbrot wirkungsvoller? Überraschenderweise birgt die Zuckerbrot-Methode unerwartete Nachteile und weist ihr Peitschen-Pendant ungeahnte Vorteile auf, wie Ulrich H. Schneider in seinem Beitrag feststellt.
Inhaltsübersicht:
Wäre
der legendäre, um praktische Ratschläge nie verlegene
Alt-Bundespräsident Heinrich Lübke jemals mit der Herausforderung
konfrontiert gewesen, eine Wissensbank feierlich zu eröffnen
er hätte es vermutlich mit den Worten "Nun schärt
mal schön..." getan. Mit ähnlich naiver Hoffnung
werden viele Knowledge-Sharing-Initiativen in den Unternehmen gestartet
und damit zum Scheitern verurteilt: Die Mitarbeiter scheren sich
nicht um das Sharing...
erste Welle
Seit einiger
Zeit ist es zum Credo der Management-Kunst geworden, dass der bewusstere
und effizientere Umgang mit dem Unternehmenswissen eine Fähigkeit
darstelle, die über Erfolg oder Misserfolg am Markt entscheide.
Anbieter von Dokumentenmanagement-Software erkannten bald den Trend
und nährten die Hoffnung aufgeschreckter Unternehmensführer,
mit der Implementierung eines entsprechenden Wissensmanagement-Systems
der Herausforderung erfolgreich zu begegnen.
So entstanden
und entstehen immer noch umfangreiche Wissensbanken in den Unternehmen,
die diese wertvolle Ressource für alle, jederzeit und überall
zum nutzbringenden Gebrauch zur Verfügung stellen. Sie kosten
verständlicherweise viel Geld, Zeit und Energie. Und dann wird
regelmäßig die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass die
tolle Wissensbank eine Fehlinvestition war: Keiner nutzt sie! Dies
war die erste Welle des Wissensmanagements.
Warum scheitern
solche gut gemeinten Initiativen? Beim Computerhersteller Siemens
Nixdorf wurden vor einigen Jahren Informationsveranstaltungen für
die Mitarbeiter durchgeführt, um die Ziele der gerade gestarteten,
umfassenden Wissensinitiative zu kommunizieren und um von den Wissensarbeitern
Rückmeldungen über ihre Bedürfnisse zu erhalten.
Für die Kampagne wurde ein Poster eingesetzt, das vernetzte
Köpfe zeigt Symbol für eine mächtige kollektive
Intelligenz, die entsteht, wenn die Mitarbeiter ihr Wissen freizügig
miteinander teilen.
Die Siemens-Nixdorf-Wissensinitiative wollte das Wissen in den Köpfen vernetzen.
Ein Teilnehmer
dieser Veranstaltungen sprach freimütig aus, dass er das Bild
allerdings etwas anders verstand: Die gelben Kabel zwischen den
Köpfen seien Röhren, über die dem Mitarbeiter sein
Wissen aus dem Kopf gesaugt würde, um dann wahrscheinlich die
leere Hülse freistellen zu können den Mitarbeiter
zu entlassen. Es ist zu befürchten, dass seine Wahrnehmung
bei weitem keinen Einzelfall darstellt. Dies führt uns zum
geheimen Grund für das erwähnte Scheitern von Wissensinitiativen:
dem FUZ-Faktor Furcht, Unsicherheit, Zweifel.
© 1998 Ted Goff
"Menschen
teilen Wissen von Natur aus nicht", meint selbst Larry Prusak,
Leiter des Institute for Knowledge Management von IBM. Da helfen
keine altruistischen Appelle ("Der wahre Egoist kooperiert"
Douglas Hofstaedter) oder der Hinweis auf den Gemeinplatz,
dass Wissen die einzige Ressource ist, die durch Teilen nicht weniger,
sondern sogar vermehrt wird. Wenn ich mich frage, was diese Wissensinitiative
für mich persönlich bedeutet, für meine Arbeit, meine
Karriere und es stellen sich Unsicherheit, Zweifel oder sogar (wie
beschrieben) Angst ein, dann fehlt die lebensnotwendige Basis für
das Knowledge Sharing.
Solche Verunsicherungen
sind umso verständlicher, wenn die Wissensinitiative nach Business
Process Reengineering, Lean Management und Downsizing, Cultural
Change oder (ganz aktuell) E-Business nur als modischer Management-Trend
mit ungewissem Ausgang ("Was macht der Protagonist von damals
eigentlich heute?") wahrgenommen wird. Also am besten abtauchen,
nicht auffallen und abwarten, bis sich die Wogen wieder geglättet
haben und der nächste Trend am Horizont erscheint?
Das Beispiel
der deutschen Pharmafirma Sartorius ging vor einiger Zeit durch
die Fachpresse. Dort hatte man das Dilemma mit dem eher teilungsunwilligen
Wissensarbeiter mittels einer Betriebsvereinbarung aufzulösen
versucht. Diese droht dem Mitarbeiter negative Sanktionen bis hin
zur Kündigung an, wenn er beim Behindern oder Unterlassen der
Weitergabe benötigter Informationen ertappt wird. Ein Aufschrei
ging damals durch die wissensbewegte Gemeinde Knowledge Sharing
kann nur auf freiwilliger Basis geschehen, niemals aber unter Zwang!
Dies ist prinzipiell
(und besonders unter Qualitätsgesichtspunkten) sicher zutreffend.
Nur ist andererseits der Einsatz von positiven Sanktionen eines
der Lieblingsthemen der gleichen Gemeinde: Anreiz- und Belohnungssysteme.
Wenn die Mitarbeiter schon nicht freiwillig beim Knowledge Sharing
mitmachen, so muss man geeignete Mittel und Wege finden, sie anzulocken
und bei Laune zu halten.
Die Zuckerbrot-Methode
hat aber mit den gleichen Qualitätsproblemen zu kämpfen
wie ihr Peitschen-Pendant: Um an die (hoffentlich) begehrten Incentives
materieller wie ideeller Art zu gelangen, teilen einige Wissensarbeiter
große Mengen nur vermeintlich wertvollen Wissens, das dann
qualitätsmäßig evaluiert und gegebenenfalls als
Müll wieder entsorgt werden muss.
Sicher kann
man durch einfach zu handhabende Bewertungsmöglichkeiten auf
Seiten der Wissensnehmer dem Wissensgeber ein Brauchbarkeits-Feedback
geben, wie dies beispielsweise in einem (übrigens sehr erfolgreichen)
vertrieblichen Knowledge-Sharing-Projekt mit Incentive-System bei
Siemens geschieht. Allerdings ist zweifelhaft, ob dieses Feedback
allein ein verlässliches Kriterium für die Qualität
darstellt und nicht etwa wertvolles, aber erst in Zukunft relevantes
Wissen aktuell durch den Selektionsrost fällt. Auf jeden Fall
beschert der versüßte Weg beträchtliche Aufwendungen
zur Qualitätssicherung, z.B. durch (kostenintensive) redaktionelle
Maßnahmen.
Gravierender
als die genannten Qualitätsprobleme sind jedoch die unerwünschten
Nebenwirkungen des Zuckerbrot-Ansatzes für die Wissensinitiative:
Die Motivations-Psychologie lehrt uns, dass ein durch Anreize bzw.
Belohnungen erzeugtes Verhalten in der Regel verschwindet, wenn
das Zuckerl wegbleibt, etwa weil es sich das Unternehmen nicht mehr
leisten kann oder will. Eine solche extrinsische Motivation kann
daher sinnvollerweise nur zu Beginn der Wissensinitiative erfolgreich
eingesetzt werden, um im Zuge der internen Marketingmaßnahmen
für die Initiative den Kunden in den Laden zu locken. Wir kennen
dies als Supergewinnmöglichkeiten von Directmailing-Aktionen,
die regelmäßig in unserem Briefkasten landen und uns
zur Beschäftigung mit dem jeweiligen Angebot verleiten sollen.
Um Aufmerksamkeit
für das Knowledge Sharing zu erzeugen, mag der Zuckerbrot-Ansatz
ein zeitgemäßes und psychologisch effektives Mittel darstellen,
nicht jedoch aber für die Gestaltung eines dauerhaften Verhaltens.
Dazu bedarf es einer Motivation, die aus dem Individuum selbst kommt.
Und diese entsteht nur, wenn das Aufwand/Nutzen-Verhältnis
positiv geklärt ist. Wenn ich nämlich erkannt und erfahren
habe, dass Knowledge Sharing keine Schererei ist, sondern auch mir
etwas Wesentliches bringt, meine tägliche Arbeit erleichtert
und mein Wohlbefinden steigert, dann erst wird das Knowledge Sharing
zur Selbstverständlichkeit, über die ich nicht erst nachdenken
und entscheiden muss, ob ich etwa dafür Zeit aufwenden will.
Damit sind
wir bei der zweiten Welle des Wissensmanagements angelangt, der
Einsicht, dass das gewünschte Knowledge Sharing nur in einer
entsprechend gestalteten, fördernden Umgebung wirksam und nachhaltig
funktionieren kann: in einer Organisation, deren Prozesse Knowledge
Sharing als integrale Arbeitsweise beinhalten und Zeitmangel nicht
mehr als beliebteste Ausrede für die Verweigerung herhalten
kann; in einer Kultur, die Knowledge Sharing als selbstverständliche
Tätigkeit in einer Atmosphäre des Vertrauens und der Anerkennung
ermöglicht und ein entsprechendes kooperatives Verhalten fördert.
So rät
Hermann Simon: "Machen Sie sich (...) nicht zu viele Sorgen
über das Schlagwort Wissensmanagement. Fördern Sie stattdessen
eine offene Unternehmenskultur. Sorgen Sie für intensive Kommunikation
in vertikaler und horizontaler Richtung. Und machen Sie nicht diejenigen
nieder, die auch negatives Wissen offen thematisieren und ansprechen."
[1] In solch einer Umgebung
wird es weniger um Incentives gehen, als um die Beseitigung von
"Desincentives" für das Knowledge Sharing.
In diesem Licht
betrachtet, erscheint die Betriebsvereinbarung von Sartorius gar
nicht mehr so verwerflich. Sie zeigt, dass das Unternehmen entschieden
Wert auf eine Kultur des Knowledge Sharing legt und diese in ihren
Wertekanon integriert hat. Dadurch wird sie einklagbar, nicht nur
für die Unternehmensleitung, sondern auch für den Mitarbeiter.
Gleichzeitig
zieht der Ansatz die Aufmerksamkeit weg vom Sammeln und Speichern
des Wissens mit seinen kontraproduktiven, weil Angst auslösenden
Folgen hin zu einer tatsächlich realisierbaren Verhaltensänderung.
Der Ansatz der ersten Welle kann nicht zum erwünschten Ziel,
der Mobilisierung des Wissens, führen: Die Vorstellung, dass
man das Wissen möglichst umfassend aus den Köpfen der
Wissensarbeiter sammeln, mit (üblicherweise) elektronischen
Mitteln erfassen, speichern und verteilen muss, um das gesamte Unternehmenswissen
allen Mitarbeitern zur Verfügung zu stellen, verkennt zumindest
die kognitiven Mechanismen der Generierung und Anwendung von Wissen.
Da gibt es
die Geschichte von den Mondlandungen vor über 30 Jahren. In
einem großen Lagerhaus der NASA in Texas werden all die Datenbänder
und Dokumente über diese einmaligen Pionierleistungen der Menschheit
aufbewahrt. Inzwischen sieht es aber so aus, als müssten jene
Landungen tatsächlich vorerst einmalig bleiben: Die NASA wäre
heute nach eigener Einschätzung nicht in der Lage, erneut auf
dem Mond zu landen, selbst wenn sie es wollte und finanzieren könnte!
Wieso dies,
wo doch alles sorgfältig dokumentiert wurde? Die Antwort ist
so einfach wie für manchen Wissensmanager irritierend: Die
NASA-Mitarbeiter der Gegenwart verfügen nicht über das
benötigte Kontextwissen zu damaligen Systemen, Prozessen und
Verfahren, um mit diesen Informationen etwas anfangen und sie in
aktuelle Kontexte übertragen zu können. Die Know-how-Träger
von damals aber leben heute irgendwo im Ruhestand oder sind gar
verstorben.
Die Kodifizierung
des Wissens (auf Papier oder elektronisch) verstärkt zunächst
nur die allseits beklagte Informationsflut. Das Wissen entsteht
aber streng genommen erst, wenn die Informationen
auf unser Handeln treffen. Dies findet freilich nicht auf Festplatten
statt, sondern in den Köpfen der Akteure.
Das NASA-Beispiel
zeigt außerdem, dass nicht nur die Generierung und Anwendung
des Wissens den handelnden Menschen benötigen, sondern auch
die Tradierung bzw. der Transfer dieser flüchtigen Ressource
über ihre immer kürzer werdende Halbwertzeit hinaus.
Daher ist es
schließlich in der Arbeitspraxis auch nicht immer zielführend,
dass der Wissensarbeiter jegliches benötigte Wissen selbst
erwirbt. Aus Kapazitäts- und Zeitgründen ist die Vernetzung
des individuellen Wissens der Mitarbeiter zur erfolgreichen, gemeinsamen
Bewältigung der Herausforderungen der oftmals effektivere Weg.
Zudem muss dabei keiner um den Verlust seiner Wissensidentität
bangen. "Keine einzelne Person weiß genug, um Leute auf
den Mond zu schießen!" (Harlan Cleveland)
Das Knowledge
Sharing erweitert sich so zum Knowledge Networking. Dessen bevorzugte
Organisationsform ist die weitgehend selbstgesteuerte Wissensgemeinschaft
oder Community of Practice [2].
Für die eingangs erwähnten Software-Anbieter eröffnet
dies die Gelegenheit, nun die bekannten Groupware-Systeme als Kollaborationsplattformen
für solche Wissens- und Lerngemeinschaften neu zu positionieren.
[1] Simon,
Hermann: Wunsch-Wissen. In: manager magazin 11/99.
[2] Schneider,
Ulrich: Die Handwerker
kommen! In: wissensmanagement 2/99.
Filmtipp
"Space
Cowboys" von Clint Eastwood.
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