Fachbeiträge
Qualitätsmanagement braucht Wissensmanagement
von Gabriele Vollmar
In der aktuellen Überarbeitung der internationalen Normenreihe zu Qualitätsmanagement-Systemen ISO 9000/2000 nimmt Wissensmanagement eine zentrale Bedeutung ein. Welche Anforderungen die neue Normenreihe an den qualitätsrelevanten Umgang mit der Ressource Wissen stellt, hat Gabriele Vollmar zusammengefasst. Dabei sieht sie eine Reihe von Analogien und Synergien zwischen Qualitätsmanager und Wissensmanager.
Von Gabriele
Inhaltsübersicht:
- Informationsmanagement – anderes Etikett, gleicher Inhalt
- Analogien und Synergien
- Wettrennen oder Staffellauf?
- Fazit
- Literatur
... und Wissensmanagement setzt Qualitätsmanagement voraus.
Spitzenreiter bei den Erwartungen von Unternehmen an ein verbessertes
Management von Wissen ist laut einer Untersuchung des Fraunhofer
Instituts Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) die Verbesserung
der Produktqualität; auf den Plätzen 2 und 3 rangieren
Innovationsfähigkeit erhöhen" und Kundennähe
verbessern [1]. Qualitätsmanager und
Wissensmanager verfolgen also dasselbe Ziel, ja sie sind Läufer
auf parallelen, sich teilweise überschneidenden Bahnen.
Die Überarbeitung
der internationalen Normenreihe zu Qualitätsmanagement-Systemen
ISO 9000/2000 [2], die mittlerweile
im zweiten Entwurf vorliegt, trägt dem Rechnung wenn
auch an keiner Stelle expressis verbis von Wissensmanagement die
Rede ist.
Informationsmanagement anderes Etikett,
gleicher Inhalt
Es scheint
fast, als scheue der Normenausschuss, der die neue ISO 9000/2000
erarbeitet, den Terminus Wissen in seiner philosophischen
Vielschichtigkeit. Man hat sich für den wohl vermeintlich
handfesteren Begriff der Information entschieden,
dem qualitätsrelevanten Umgang mit derselben aber gleich einen
ganzen Abschnitt gewidmet:
|
Auf
den ersten Blick verführt der relativ enge Begriff der Information
in Verbindung mit dem scheinbaren Fokus auf der (Daten-)Verwaltung
dazu, einen IT-dominierten Ansatz hinter der Forderung nach einem
Informationsmanagement zu vermuten. Dies würde auch alle
Vorurteile der Bürokratie und der Papiertigerei bestätigen,
die der Wissensmanager gegenüber dem Qualitätsmanager,
insbesondere dem ISOisten haben mag. Bei genauerem Hinsehen zeigt
sich aber, dass das Verständnis von Information hier weit
über das hinausgeht, was im Rahmen der Sprachkonvention innerhalb
des Wissensmanagement-Diskurses unter Information zu verstehen
ist [3].
Unter Informationen
werden in der Norm Kenntnisse und/oder Erfahrungen über Prozesse,
Produkte sowie Angaben von Lieferanten und Kunden verstanden. Kenntnisse
und Erfahrungen sind aber durchaus an den Menschen gekoppelt und
nicht so ohne weiteres in Datenbanken und Repositories zu verwalten.
Schaut man
noch genauer hin, so stellt man fest, dass sich die Anforderungen,
die die ISO 9000/2000 an ein Informationsmanagement und damit an
den Qualitätsmanager stellt, weitgehend mit den Aufgaben des
Wissensmanagers decken:
- internes und externes Wissen identifizieren
- Wissen evaluieren
- Wissenstransparenz schaffen
- gegebenenfalls Wissen erwerben
- Wissen (ver-)teilen
- Wissen entwickeln
- Wissen verankern
Ersetzen Sie
Wissen durch Information, und Sie werden
alle diese wohlbekannten Wissensziele in Abschnitt 6.3 der neuen
ISO-Norm 9004 wiederfinden!
Der Qualitätsmanager
soll entgegen der landläufigen Meinung nicht etwa direkt die
tatsächliche Produktqualität sichern (das ist Aufgabe
der Qualitätssicherung), sondern er soll Prozesse innerhalb
der Organisation steuerbar machen, um die Leistung derselben im
Markt zu steigern. Die Aufgabe des Wissensmanagers besteht darin,
das riesige Potenzial an Daten, Informationen, Kenntnissen und Fähigkeiten,
die ein Unternehmen zur Verfügung hat, um sich an veränderte
Marktbedingungen anzupassen und profitabel zu halten, beherrschbar
machen.
Besondere Bedeutung
kommt dabei dem Externalisieren von tazitem Wissen zu. Verstehen
wir unter tazitem (oder implizitem) Wissen jene Wissensbestände,
die nicht in Dokumenten und Repositories in Worte oder Zahlen gefasst
sind, sondern zu einem großen Teil in Routinen, Prozessen
und Praktiken verborgen liegen, kann das Standardisieren und Dokumentieren
von Abläufen, wie dies grundlegender Bestandteil des Qualitätsmanagement
ist, gerade dieses Wissen fassbar machen. Das Erstellen von Arbeits-
oder Verfahrensanweisungen macht Arbeitsabläufe bewusst, erinnerbar
und transparent. Sie sind damit weitgehend von den durchführenden
Personen entkoppelt. Der Qualitätsmanager agiert in diesem
Fall als Wissensmanager.
Das Zusammenwirken
von explizitem und implizitem Wissen erschöpft sich jedoch
nicht in der Externalisierung. Die angestrebte Wissensumwandlung
kennt neben der Externalisierung auch die mindestens ebenso wichtige
Internalisierung (von explizit zu implizit). Die beiden weiteren
Formen der Wissensumwandlung sind: Sozialisation (von implizit zu
implizit) und Kombination (von explizit zu explizit).
Mit der zentralen
Forderung nach Schulungsplänen und koordinierter Weiterbildung
der Mitarbeiter geht die Qualitätsmanagement-Norm ISO 9000
den Weg auch in die Richtung der Internalisierung. (In der neuen
ISO 9004 findet sich diese Forderung übrigens als Unterpunkt
6.2.2 in enger Nachbarschaft zu Abschnitt 6.3 Information"!)
In den geforderten Schulungen der Mitarbeiter geht es dabei keineswegs
nur um das Vermitteln von reinem Sachwissen, sondern darüber
hinaus um das Vermitteln einer Mentalität des Think Quality",
d.h. um das Bewusstmachen dessen, was Qualität für den
einzelnen Mitarbeiter bedeutet. Wie der Wissensmanager nimmt so
auch der Qualitätsmanager Einfluss auf die Unternehmenskultur.
Dokumentation
und Schulung ergänzen sich: Einerseits ist die Dokumentation
und Standardisierung der Prozesse in Umfang und Tiefe u.a. abhängig
von den in Schulungen vermittelten Kenntnissen der ausführenden
Mitarbeiter, andererseits schafft die Prozessdokumentation die Grundlage
für Schulungen und die gemeinsame Nutzung von Kenntnissen und
Erfahrungen. Im Erfüllen der Anforderungen nach ISO 9000 wird
also implizites Wissen externalisiert, um dann erneut internalisiert
zu werden. Da ausserdem alle Prozesse einer ständigen Verifizierung
und Validierung unterworfen sind, um zu verhindern, dass das System
irgendwann erstarrt, wird das Wissen in einem weiteren Schritt in
abgewandelter Form erneut externalisiert, wiederum internalisiert
usw. Wir nähern uns mit diesem Wechselspiel von Externalisierung
und Internalisierung von Wissen, Prozessdokumentation (soweit wie
möglich) und Schulung (soviel wie nötig) letztendlich
der Spirale der Wissensschaffung, wie sie Nonaka und Takeuchi als
grundlegend für die Wissensschaffung in einer Organisation
definiert haben [4].
Den Qualitätsmanager
und den Wissensmanager verbindet aber noch mehr:
- Beide sind geschickte Psychologen und Kommunikatoren und wissen dem Faktor Mensch Rechnung zu tragen. Denn so wie ein ISO-Zertifikat keine Qualität generieren kann, wenn das Qualitätssystem nicht von allen Mitarbeitern gelebt wird, kann die Wissensbasis einer Organisation nur dann ein fruchtbarer Boden sein, wenn alle Mitarbeiter bereit sind, Wissen zu teilen.
- Beide sind zuallererst angewiesen auf das erklärte Engagement des Top-Managements. Ein Engagement, das die ISO 9000 explizit unter dem Punkt “Verantwortung der Leitung" mit der Formulierung einer Qualitätspolitik einfordert. Auch praktiziertes Wissensmanagement im Sinne von Wissen transparent machen und Wissen teilen ist ein Politikum und bedarf einer eindeutigen Haltung der Geschäftsführung, die z.B. Herrschaftswissen deutlich negativ beurteilt. Position und Tun sowohl des Qualitätsmanagers als auch des Wissensmanagers müssen aktiv vom Top-Management getragen und gefördert werden – und dies, ohne dass dem Controlling in eindeutigen Zahlen ein bezifferbarer Nutzen nachzuweisen wäre, der die entstehenden Kosten rechtfertigte. Auch wenn in zahlreichen Balanced Scorecards oder Intellectual-Capital-Bilanzen genau dies wiederholt versucht wird.
- Beide wirken nicht direkt auf die Produktqualität oder etwa auf die Innovationsschnelligkeit, ja ihr tatsächlicher Einfluss ist – wenn überhaupt – nur mittelbar nachzuweisen. Dies liegt auch daran, dass sowohl Qualitätsmanagement als auch Wissensmanagement als integrierende Managementsysteme verstanden sein wollen.
Laut Normenausschuss
wurde bei der Entwicklung der ISO 9000/2000 auf ihre Kompatibilität
mit anderen Management-Systemen geachtet. Der Qualitätsmanager
soll also erklärterweise nicht in Konkurrenz stehen zum Wissensmanager.
Vielleicht
sollten wir deshalb unser Ausgangsbild von den beiden Läufern
auf parallelen Bahnen mit demselben Ziel ändern und aus dem
scheinbaren Wettrennen einen Staffellauf machen. Dabei ist der Qualitätsmanager
der erste Läufer, der den Stab irgendwann an den Wissensmanager
weitergibt. Das bedeutet, dass Qualitätsmanagement eine Vorform
zum Wissensmanagement darstellen kann:
- Prozessdokumentationen liefern bereits einen wichtigen Grundstock an externalisiertem Wissen.
- Koordinierte Schulungen vermitteln Wissen und beeinflussen die Mitarbeitermentalität.
- Im Wechselspiel von Externalisierung (Dokumentation) und Internalisierung (Schulung) beginnt die Spirale der Wissensschaffung.
- Änderung der Unternehmenskultur und Sensibilisierung der Mitarbeiter bereiten den Boden für das Wissensmanagement.
Die Erkenntnis,
dass Qualitätsmanagement Wissensmanagement brauche, hat sich
in der neuen ISO 9000/2000 in der Forderung nach einem Informationsmanagement
niedergeschlagen. Doch ist es nicht eigentlich mehr? Ist Wissensmanagement
nicht die logische Fortführung und Sublimierung des Qualitätsmanagements
auf dem Weg zur Business Excellence in einem immer enger werdenden
Markt?
Bullinger, H.-J./Wörner, K./Prieto, J.: Wissensmanagement heute
Daten, Fakten, Trends. Stuttgart: Fraunhofer Institut Arbeitswirtschaft
und Organisation (IAO) 1997.
Der Normentwurf der ISO 9000/2000 umfasst im einzelnen:
- die umfassende DIN EN ISO 9000 “Qualitätsmanagement-Systeme, Grundlagen und Begriffe” (ISO/CD 9000:1999-05)
- die zentrale DIN EN ISO 9001 “Qualitätsmanagement-Systeme, Forderungen” (ISO/CD 9001: 1999-05), die künftig die Normenreihe 9001-9003 ersetzen wird
- die ergänzende DIN EN ISO 9004 “Qualitätsmanagement-Systeme, Leitfaden zur Leistungsverbesserung” (ISO/D'CD 9004: 1999-05)
Probst, G.: Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource
optimal nutzen. Frankfurt/M.: Gabler 1998.
Nonaka, I./Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Frankfurt/M.:
Campus 1997.
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren
Fachbeitrag Prozessmanagement
Qualität zahlt sich aus
von Leonhard Fromm
Fachbeitrag Qualitätsmanagement
Wissenstransfer steigert die Unternehmenskompetenz
von Marcus Schorn
Fachbeitrag Qualitätsmanagement
Mit Geschichten Potenziale aufdecken
von Dr. Karin Thier und Erwin Hesser
Titelthema Qualitätsmanagement
Risikobasiertes Denken im Mittelpunkt
von Nikil Merani
Titelthema Advertorial
Wissens- & Qualitätsmanagement mit Wikis vereinen
von André Ulrich