Fachbeiträge

Ausgabe 10 / /1999
Fachbeitrag Qualitätsmanagement

Qualitätsmanagement braucht Wissensmanagement

von Gabriele Vollmar

In der aktuellen Überarbeitung der internationalen Normenreihe zu Qualitätsmanagement-Systemen ISO 9000/2000 nimmt Wissensmanagement eine zentrale Bedeutung ein. Welche Anforderungen die neue Normenreihe an den qualitätsrelevanten Umgang mit der Ressource Wissen stellt, hat Gabriele Vollmar zusammengefasst. Dabei sieht sie eine Reihe von Analogien und Synergien zwischen Qualitätsmanager und Wissensmanager.

 

Von Gabriele

Vollmar

 

Inhaltsübersicht:

 

 


... und Wissensmanagement setzt Qualitätsmanagement voraus.

Spitzenreiter bei den Erwartungen von Unternehmen an ein verbessertes

Management von Wissen ist laut einer Untersuchung des Fraunhofer

Instituts Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) die “Verbesserung

der Produktqualität”; auf den Plätzen 2 und 3 rangieren

“Innovationsfähigkeit erhöhen" und “Kundennähe

verbessern” [1]. Qualitätsmanager und

Wissensmanager verfolgen also dasselbe Ziel, ja sie sind Läufer

auf parallelen, sich teilweise überschneidenden Bahnen.

 

 

 

Die Überarbeitung

der internationalen Normenreihe zu Qualitätsmanagement-Systemen

ISO 9000/2000 [2], die mittlerweile

im zweiten Entwurf vorliegt, trägt dem Rechnung – wenn

auch an keiner Stelle expressis verbis von Wissensmanagement die

Rede ist.

 

 

 

Informationsmanagement – anderes Etikett,

gleicher Inhalt

 

 

 

Es scheint

fast, als scheue der Normenausschuss, der die neue ISO 9000/2000

erarbeitet, den Terminus “Wissen” in seiner philosophischen

Vielschichtigkeit. Man hat sich für den – wohl vermeintlich

handfesteren – Begriff der “Information” entschieden,

dem qualitätsrelevanten Umgang mit derselben aber gleich einen

ganzen Abschnitt gewidmet:

 

 

 

 

 

 

 

 
6.3   Information

Informationen sind ein grundlegendes Mittel zum Qualitätsmanagement und für sachbezogene Entscheidungsfindungen. Das Informationsmanagement schließt Kenntnis über den Gebrauch und die Bedeutung von Informationen ein und legt die Wissensbasis der Organisation fest.

Um den größtmöglichen Nutzen zu erzielen, sollte eine Organisation sowohl die internen Informationsmittel als auch die externen Informationen, die der Organisation von Wert sein können, verwalten. Die Organisation sollte danach streben, ihre Wissensbasis kontinuierlich zu entwickeln und aufrechtzuerhalten. (…)

Es sollte einen Prozeß zur Ermittlung von internen und externen Informationsquellen geben. Das QM-System sollte die Verfügbarkeit, Angemessenheit und Brauchbarkeit von Informationen einschließlich deren Aufbewahrung, Schutz, Wiederauffindung und Vernichtung sicherstellen. (...)

Die geeigneten MA sollten rechtzeitigen Zugang zu Informationen haben, damit die Organisationsziele erfüllt werden (...)

(Aus: ISO/D'CD 9004: 1999-05 [2])

 

Wissensmanagement nimmt in der neuen ISO 9000/2000 eine zentrale Stellung ein.

 

 

Auf

den ersten Blick verführt der relativ enge Begriff der Information

in Verbindung mit dem scheinbaren Fokus auf der (Daten-)Verwaltung

dazu, einen IT-dominierten Ansatz hinter der Forderung nach einem

Informationsmanagement zu vermuten. Dies würde auch alle

Vorurteile der Bürokratie und der Papiertigerei bestätigen,

die der Wissensmanager gegenüber dem Qualitätsmanager,

insbesondere dem ISOisten haben mag. Bei genauerem Hinsehen zeigt

sich aber, dass das Verständnis von Information hier weit

über das hinausgeht, was im Rahmen der Sprachkonvention innerhalb

des Wissensmanagement-Diskurses unter Information zu verstehen

ist [3].

 

 

 

 

 

Unter Informationen

werden in der Norm Kenntnisse und/oder Erfahrungen über Prozesse,

Produkte sowie Angaben von Lieferanten und Kunden verstanden. Kenntnisse

und Erfahrungen sind aber durchaus an den Menschen gekoppelt und

nicht so ohne weiteres in Datenbanken und Repositories zu verwalten.

 

 

Schaut man

noch genauer hin, so stellt man fest, dass sich die Anforderungen,

die die ISO 9000/2000 an ein Informationsmanagement und damit an

den Qualitätsmanager stellt, weitgehend mit den Aufgaben des

Wissensmanagers decken:

 

  • internes und externes Wissen identifizieren
  • Wissen evaluieren
  • Wissenstransparenz schaffen
  • gegebenenfalls Wissen erwerben
  • Wissen (ver-)teilen
  • Wissen entwickeln
  • Wissen verankern

 

 

Ersetzen Sie

“Wissen” durch “Information”, und Sie werden

alle diese wohlbekannten Wissensziele in Abschnitt 6.3 der neuen

ISO-Norm 9004 wiederfinden!

 

 

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Analogien und Synergien

 

 

Der Qualitätsmanager

soll entgegen der landläufigen Meinung nicht etwa direkt die

tatsächliche Produktqualität sichern (das ist Aufgabe

der Qualitätssicherung), sondern er soll Prozesse innerhalb

der Organisation steuerbar machen, um die Leistung derselben im

Markt zu steigern. Die Aufgabe des Wissensmanagers besteht darin,

das riesige Potenzial an Daten, Informationen, Kenntnissen und Fähigkeiten,

die ein Unternehmen zur Verfügung hat, um sich an veränderte

Marktbedingungen anzupassen und profitabel zu halten, beherrschbar

machen.

 

 

 

Besondere Bedeutung

kommt dabei dem Externalisieren von tazitem Wissen zu. Verstehen

wir unter tazitem (oder implizitem) Wissen jene Wissensbestände,

die nicht in Dokumenten und Repositories in Worte oder Zahlen gefasst

sind, sondern zu einem großen Teil in Routinen, Prozessen

und Praktiken verborgen liegen, kann das Standardisieren und Dokumentieren

von Abläufen, wie dies grundlegender Bestandteil des Qualitätsmanagement

ist, gerade dieses Wissen fassbar machen. Das Erstellen von Arbeits-

oder Verfahrensanweisungen macht Arbeitsabläufe bewusst, erinnerbar

und transparent. Sie sind damit weitgehend von den durchführenden

Personen entkoppelt. Der Qualitätsmanager agiert in diesem

Fall als Wissensmanager.

 

 

Das Zusammenwirken

von explizitem und implizitem Wissen erschöpft sich jedoch

nicht in der Externalisierung. Die angestrebte Wissensumwandlung

kennt neben der Externalisierung auch die mindestens ebenso wichtige

Internalisierung (von explizit zu implizit). Die beiden weiteren

Formen der Wissensumwandlung sind: Sozialisation (von implizit zu

implizit) und Kombination (von explizit zu explizit).

 

 

Mit der zentralen

Forderung nach Schulungsplänen und koordinierter Weiterbildung

der Mitarbeiter geht die Qualitätsmanagement-Norm ISO 9000

den Weg auch in die Richtung der Internalisierung. (In der neuen

ISO 9004 findet sich diese Forderung übrigens als Unterpunkt

6.2.2 in enger Nachbarschaft zu Abschnitt 6.3 “Information"!)

In den geforderten Schulungen der Mitarbeiter geht es dabei keineswegs

nur um das Vermitteln von reinem Sachwissen, sondern darüber

hinaus um das Vermitteln einer Mentalität des “Think Quality",

d.h. um das Bewusstmachen dessen, was Qualität für den

einzelnen Mitarbeiter bedeutet. Wie der Wissensmanager nimmt so

auch der Qualitätsmanager Einfluss auf die Unternehmenskultur.

 

 

 

Dokumentation

und Schulung ergänzen sich: Einerseits ist die Dokumentation

und Standardisierung der Prozesse in Umfang und Tiefe u.a. abhängig

von den in Schulungen vermittelten Kenntnissen der ausführenden

Mitarbeiter, andererseits schafft die Prozessdokumentation die Grundlage

für Schulungen und die gemeinsame Nutzung von Kenntnissen und

Erfahrungen. Im Erfüllen der Anforderungen nach ISO 9000 wird

also implizites Wissen externalisiert, um dann erneut internalisiert

zu werden. Da ausserdem alle Prozesse einer ständigen Verifizierung

und Validierung unterworfen sind, um zu verhindern, dass das System

irgendwann erstarrt, wird das Wissen in einem weiteren Schritt in

abgewandelter Form erneut externalisiert, wiederum internalisiert

usw. Wir nähern uns mit diesem Wechselspiel von Externalisierung

und Internalisierung von Wissen, Prozessdokumentation (soweit wie

möglich) und Schulung (soviel wie nötig) letztendlich

der Spirale der Wissensschaffung, wie sie Nonaka und Takeuchi als

grundlegend für die Wissensschaffung in einer Organisation

definiert haben [4].

 

 

Den Qualitätsmanager

und den Wissensmanager verbindet aber noch mehr:

 

 

  • Beide sind geschickte Psychologen und Kommunikatoren und wissen dem Faktor Mensch Rechnung zu tragen. Denn so wie ein ISO-Zertifikat keine Qualität generieren kann, wenn das Qualitätssystem nicht von allen Mitarbeitern gelebt wird, kann die Wissensbasis einer Organisation nur dann ein fruchtbarer Boden sein, wenn alle Mitarbeiter bereit sind, Wissen zu teilen.
  • Beide sind zuallererst angewiesen auf das erklärte Engagement des Top-Managements. Ein Engagement, das die ISO 9000 explizit unter dem Punkt “Verantwortung der Leitung" mit der Formulierung einer Qualitätspolitik einfordert. Auch praktiziertes Wissensmanagement im Sinne von Wissen transparent machen und Wissen teilen ist ein Politikum und bedarf einer eindeutigen Haltung der Geschäftsführung, die z.B. Herrschaftswissen deutlich negativ beurteilt. Position und Tun sowohl des Qualitätsmanagers als auch des Wissensmanagers müssen aktiv vom Top-Management getragen und gefördert werden – und dies, ohne dass dem Controlling in eindeutigen Zahlen ein bezifferbarer Nutzen nachzuweisen wäre, der die entstehenden Kosten rechtfertigte. Auch wenn in zahlreichen Balanced Scorecards oder Intellectual-Capital-Bilanzen genau dies wiederholt versucht wird.
  • Beide wirken nicht direkt auf die Produktqualität oder etwa auf die Innovationsschnelligkeit, ja ihr tatsächlicher Einfluss ist – wenn überhaupt – nur mittelbar nachzuweisen. Dies liegt auch daran, dass sowohl Qualitätsmanagement als auch Wissensmanagement als integrierende Managementsysteme verstanden sein wollen.

 

 

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Wettrennen oder Staffellauf?

 

 

Laut Normenausschuss

wurde bei der Entwicklung der ISO 9000/2000 auf ihre Kompatibilität

mit anderen Management-Systemen geachtet. Der Qualitätsmanager

soll also erklärterweise nicht in Konkurrenz stehen zum Wissensmanager.

 

 

Vielleicht

sollten wir deshalb unser Ausgangsbild von den beiden Läufern

auf parallelen Bahnen mit demselben Ziel ändern und aus dem

scheinbaren Wettrennen einen Staffellauf machen. Dabei ist der Qualitätsmanager

der erste Läufer, der den Stab irgendwann an den Wissensmanager

weitergibt. Das bedeutet, dass Qualitätsmanagement eine Vorform

zum Wissensmanagement darstellen kann:

 

 

  • Prozessdokumentationen liefern bereits einen wichtigen Grundstock an externalisiertem Wissen.
  • Koordinierte Schulungen vermitteln Wissen und beeinflussen die Mitarbeitermentalität.
  • Im Wechselspiel von Externalisierung (Dokumentation) und Internalisierung (Schulung) beginnt die Spirale der Wissensschaffung.
  • Änderung der Unternehmenskultur und Sensibilisierung der Mitarbeiter bereiten den Boden für das Wissensmanagement.

 

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Fazit

 

 

Die Erkenntnis,

dass Qualitätsmanagement Wissensmanagement brauche, hat sich

in der neuen ISO 9000/2000 in der Forderung nach einem “Informationsmanagement”

niedergeschlagen. Doch ist es nicht eigentlich mehr? Ist Wissensmanagement

nicht die logische Fortführung und Sublimierung des Qualitätsmanagements

auf dem Weg zur Business Excellence in einem immer enger werdenden

Markt?

 

 

 

 

Literatur

 

 

[1]

Bullinger, H.-J./Wörner, K./Prieto, J.: Wissensmanagement heute

– Daten, Fakten, Trends. Stuttgart: Fraunhofer Institut Arbeitswirtschaft

und Organisation (IAO) 1997.

 

 

[2]

Der Normentwurf der ISO 9000/2000 umfasst im einzelnen:

 

  • die umfassende DIN EN ISO 9000 “Qualitätsmanagement-Systeme, Grundlagen und Begriffe” (ISO/CD 9000:1999-05)
  • die zentrale DIN EN ISO 9001 “Qualitätsmanagement-Systeme, Forderungen” (ISO/CD 9001: 1999-05), die künftig die Normenreihe 9001-9003 ersetzen wird
  • die ergänzende DIN EN ISO 9004 “Qualitätsmanagement-Systeme, Leitfaden zur Leistungsverbesserung” (ISO/D'CD 9004: 1999-05)

 

 

[3]

Probst, G.: Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvollste Ressource

optimal nutzen. Frankfurt/M.: Gabler 1998.

 

 

[4]

Nonaka, I./Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Frankfurt/M.:

Campus 1997.

 

 

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