Fachbeiträge
Sind KMU auf den digitalen Wandel vorbereitet?
von Norman Hübner
Ist der deutsche Mittelstand „Digitaler Pionier“ oder eher „Digitale Verfolger“? Oder hat ihn der Wettbewerb als „Digitaler Nachzügler“ oder sogar „Analoger Bewahrer“ längst abgehängt? TÜV Rheinland wollte es genau wissen und hat deshalb die Studie „Digitaler Reifegrad im Mittelstand 2017“ gemeinsam mit Lünendonk & Hossenfelder erarbeitet. Die Ergebnisse sind von strategischer Bedeutung sowohl für Unternehmen, die mitten im digitalen Wandel stecken, als auch für Gestalter auf politischer, regionaler und nationaler Ebene. Denn sie müssen darüber nachdenken, unter welchen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Standort Deutschland im globalen Wettbewerb mittel- bis langfristig gesichert werden kann und wie sich Arbeitsplätze erhalten und neue schaffen lassen.
Inhaltsübersicht:
Laut der Studie „Digitaler Reifegrad im Mittelstand 2017“ ist sich der Mittelstand der gegenwärtigen Transformation sehr wohl bewusst: 60 Prozent der befragten Unternehmen erwarten „starke oder sehr starke Veränderungen für die eigenen Geschäftsmodelle“. 67 Prozent rechnen mit organisatorischen Veränderungen, unter anderem durch eine neue Verteilung der Führungsverantwortung für Unternehmensbereiche. Rund 30 Prozent der Studienteilnehmer sind „Digitale Pioniere“, 14 Prozent „Digitale Verfolger“ und 24 Prozent „Digitale Nachzügler“. Am anderen Ende der Skala sind mit 32 Prozent die „Analogen Bewahrer“, die deutliche Digitalisierungsrückstände aufweisen. Dennoch: „Bei den befragten mittelständischen Unternehmen war das digitale Reifegradniveau recht hoch – was bedeutet, dass die evaluierten Organisationen die Entwicklung aktiv gestalten und nicht einfach nur passiv abwarten – auch wenn das ein Kraftakt ist“, resümiert Prof. Dr. Kai Höhmann, Geschäftsführer der TÜV Rheinland Consulting GmbH.
Analoges Denken bremst digitales Wachstum
Bislang ticken die Uhren in den traditionellen B2B-Branchen, die stark durch den Mittelstand geprägt sind, oft langsamer als in der digitalen Wirtschaft. Entwicklungszyklen umfassen oft mehrere Jahre, grundsätzliche Strategieentscheidungen zu Veränderungen des Geschäftsmodells fallen nur selten. In vielen Branchen, aber auch in der Gesellschaft, nimmt die Veränderungsgeschwindigkeit jedoch rapide zu. Die Digitalisierung gilt zu Recht als vierte industrielle Revolution. Sie verändert viele Unternehmen und Branchen grundlegend. In der Vergangenheit waren Nutzen und Einsatz von IT-Technologien nur auf die Verbesserung und Beschleunigung von Geschäftsprozessen reduziert. Industrie 4.0 und aktuelle Technologien wie Cloud Services, das Internet der Dinge, Big Data oder mobiles Internet schaffen heute die Grundlage dafür, dass konventionelle Geschäftsmodelle über Nacht auf den Kopf gestellt werden können. Das gilt für die digitale Wirtschaft wie Software-Unternehmen, Musik- und Filmindustrie, Fernsehen oder Online-Handel, aber auch für bislang konventionelle Branchen wie Hotellerie, Automobilindustrie oder das Taxiwesen. Die Digitalisierung hat in kürzester Zeit schon viele Branchen transformiert – andere Sektoren könnten daraus wertvolle Erkenntnisse für konkrete Unternehmenssituationen ableiten.
Aber nutzt der deutsche Mittelstand diese Chancen? In der Realität existieren häufig sehr unterschiedliche digitale Reifegrade und Veränderungsgeschwindigkeiten, sowohl im direkten Vergleich der Unternehmen als auch in den verschiedenen Unternehmensbereichen. „Der Einsatz von Smartphones und Tablets für Mitarbeiter sagt noch nichts über den digitalen Reifegrad eines Unternehmens aus“, so Prof. Dr. Kai Höhmann. „Trotz moderner Ausstattung arbeiten viele Unternehmen in der Praxis faktisch analog.“ Prozesse haben erfahrungsgemäß oft noch viele Medienbrüche. Digitale Datenkreisläufe, die wertvolle Informationen über Zielgruppen, Kundenwünsche und mögliche neue Geschäftschancen beinhalten, werden unterbrochen. Sie lassen sich häufig weder effektiv beschleunigen noch nachhaltig auswerten.
Das bedeutet: Viele Potenziale bleiben ungenutzt. Deutlich wird das zum Beispiel dort, wo Daten manuell von einem System in ein anderes übertragen werden müssen. Lassen sich Unternehmen auf den digitalen Wandel ein und entwickeln sie neue Produkte und Dienstleistungen, weichen übergreifende Prozesse die vorhandenen Grenzen zwischen Unternehmensbereichen in der Regel auf. Herrschen im Unternehmen jedoch unterschiedliche digitale Reifegrade und Veränderungsgeschwindigkeiten, kann das die erfolgreiche digitale Transformation eines Unternehmens blockieren. Dazu kommen die organisatorischen Veränderungen durch eine neue Verteilung von Verantwortungen – ein Change-Prozess, der erfahrungsgemäß stets ressourcenintensiv ist.
Investitionen müssen sich auszahlen
Wer sich auf den Weg durch die digitale Transformation macht, muss eine solide Strategie entwickeln, die sich an Geschäftszielen und Investitionsvolumen orientiert und dennoch in einem wettbewerbsorientierten Zeithorizont umzusetzen ist. Weil es an Erfahrung oder an der technischen Expertise fehlt, scheuen sich viele mittelständische Unternehmen, Digitalisierungsprojekte oder gar eine gesamte Strategie konsequent in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig spüren sie den steigenden Handlungsdruck und die Sorge, von der Konkurrenz überholt oder gar abgehängt zu werden.
Ein Weg, solche Defizite auszugleichen, ist, externe Ressourcen hinzuziehen. Der Vorteil: Speziell geschulte Digitalisierungsteams haben einen objektiven Blick auf die Organisation. Diese profitiert wiederum von der Projektkompetenz und den branchenübergreifenden Erfahrungsschatz der externen Berater und baut zugleich interne Kompetenz auf. Weil die Anforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung so vielfältig sind, kommt es darauf an, die richtige Unterstützung zu finden. Die Experten sollten allerdings die Branche kennen, die Komplexität verstehen und auch bei der Arbeit an Spezialthemen und (Teil-)Prozessen das große Ganze für den Kunden im Blick behalten. „Entscheidend für die Unternehmen ist, dass sich Investitionen schnell auszahlen“, so Prof. Dr. Kai Höhmann. „Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern muss immer im Zeichen einer nachhaltigen Wertschöpfung stehen.“
Methodik der Studie
Ziel der Studie „Digitaler Reifegrad im Mittelstand 2017“ war es, Unternehmen noch stärker für die Notwendigkeit, sich mit der Digitalen Transformation auseinanderzusetzen, zu sensibilisieren. „Das Potential der Digitalisierung mangels Expertise ungenutzt zu lassen, kann sich heute kein Unternehmen mehr leisten, das langfristig am Markt bestehen will“, so Prof. Dr. Kai Höhmann.
Weil die Frage des digitalen Reifegrads nicht nur einzelne neue Bereiche wie Online-Vertriebskanäle betrifft, sondern das gesamte Unternehmen, war die Studie ganzheitlich angelegt. Befragt wurden Geschäftsführer und Führungskräfte von insgesamt 110 Mittelständlern mit mindestens 50 und mehr als 3.000 Mitarbeitern. Mit mehr als 70 Fragen aus allen Unternehmensbereichen ermittelte die Studie, wie es um die Veränderungsfähigkeit der gesamten Organisation bestellt ist und welche Bedeutung die Digitalisierung in den verschiedenen Unternehmensbereichen spielt, angefangen von der Produktion über Vertrieb und Marketing, IT, Logistik bis hin zu Verwaltung und HR. Auch die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie in den einzelnen Bereichen spielte eine Rolle, ebenso wie ein Vergleich der Unternehmen untereinander.
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