Fachbeiträge
Change: Unterwegs zu einer neuen Führungskultur – ein Praxisbericht
von Lukas Leist
IT-Dienstleister müssen für ihre Kunden Top-Leistungen erbringen, um am Markt zu bestehen. Dafür brauchen sie hochqualifizierte und -engagierte Mitarbeiter – sowie eine entsprechende (Führungs-)Kultur. Deshalb startete die ORBIT Gesellschaft für Applikations- und Informationssysteme mbH ein umfangreiches Change-Projekt und erntet heute die Früchte.
Inhaltsübersicht:
- Kulturelles Change-Projekt gestartet
- Führungsmaximen werden formuliert
- Führungskräfte entwickeln neues Selbstverständnis
- Mitarbeiter wählen ihre Führungskräfte
- Mitarbeiter bewerten die Qualität von Führung
- Neue Vision formuliert: „Unverkennbar ORBIT“
- Die Veränderung lohnt sich und geht weiter …
Für die IT-Branche gilt: Die Kundenwünsche und -bedürfnisse ändern sich so rasant, wie die technische Entwicklung voraneilt. Für IT-Dienstleister reicht es deshalb nicht, fachlich fit zu sein; sie müssen auch schnell und flexibel auf Veränderungen in ihrem Umfeld und bei ihren Kunden reagieren, wenn sie langfristig erfolgreich sein möchten.
Deshalb reifte vor fünf Jahren bei der damaligen Geschäftsführung des IT-Systemhauses ORBIT die Erkenntnis: Die Struktur und Kultur unseres Unternehmens muss sich verändern. Denn dieses möchte für seine Kunden nicht nur ein IT-Dienstleister sein, der aufgrund seiner Fachkompetenz „alle relevanten Facetten ihrer IT“ abdeckt, sondern auch ein Partner, mit dem diese gerne langfristig zusammenarbeiten. Dazu sind neben hoher Qualität und Zuverlässigkeit, auch eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit und Innovationskraft notwendig.
Diese Faktoren sahen die beiden damaligen Geschäftsführer beim Systemhaus ORBIT, das zur Detecon International GmbH, einem Unternehmen der Deutschen Telekom Gruppe und der T-Systems International GmbH, gehört, nicht ausreichend entwickelt. Seine Kultur war noch stark von einem Abteilungs- und Bereichsdenken geprägt, obwohl die kundenrelevanten Leistungen meist in einer bereichsübergreifenden Zusammenarbeit erbracht wurden.
Kulturelles Change-Projekt gestartet
Typisch für die Führungskultur 2012 war, dass so manche Führungskraft ihre zentrale Aufgabe noch darin sah, selbst intensiv mitzuarbeiten, für Rücksprachen der zentrale Ansprechpartner zu sein und die Leistungen der Mitarbeiter zu kontrollieren und zu bewerten. Noch nicht etabliert war hingegen ein modernes Management, das primär auf die Rahmenbedingungen der Arbeit achtet und Arbeitshindernisse für die Mitarbeiter beseitigt. Zudem waren die Abläufe und Zuständigkeiten vielfach unklar und die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und ihren Führungskräften nicht selten widersprüchlich.
Dies hatte Einfluss auf die Fluktuation der Mitarbeiter: Die hochqualifizierten und selbstbewussten Spezialisten hatten weder das Gefühl „wir können unser Potenzial entfalten“, noch „wir und unsere Leistung werden gewertschätzt“. Entsprechend schlecht waren auch die Bewertungen im Arbeitgeber-Bewertungsportal kununu.
In dieser Situation entschieden die beiden damaligen Geschäftsführer, ein Change-Projekt zu starten – mit dem Ziel, eine Führungskultur zu schaffen, die dem modernen, innovativen IT-Dienstleister ORBIT entspricht. Als externen Unterstützer wählten sie das Institut für Sales & Managementberatung (ifsm) mit Sitz in Urbar bei Koblenz, weil dieses Institut bereits Erfahrung mit ähnlichen Projekten hatte. Hinzu kam: Das von ifsm propagierte Konzept der „minimalen Führung“ entsprach den Vorstellungen der ORBIT-Geschäftsführer von der künftigen Führungskultur bei ORBIT. Dieses Führungskonzept zielt laut ifsm-Geschäftsführer Klaus Kissel darauf ab, mehr Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene zu verlagern und die Kompetenz der Mitarbeiter systematisch zu steigern – „was mittelfristig zu einer Entlastung der Führungskräfte führt, und zwar in dem Maße, wie ihre Mitarbeiter eigenständig neue Aufgaben übernehmen und Herausforderungen meistern können.“
Zu einer solchen Führungskultur gibt es, so ein Credo von Kissel, für Dienstleistungsunternehmen, die komplexe, kundenspezifische Leistungen erbringen, keine Alternative: „Nur so können die Unternehmen das Potenzial ihrer Mitarbeiter aktivieren und die Mitarbeiter auch emotional an sich binden. Und nur so können sie eine Aufwärtsspirale in Gang setzen, bei der die Kompetenz der Mitarbeiter und der Organisation kontinuierlich steigt.“
Führungsmaximen werden formuliert
Zu Beginn des Projekts interviewten ifsm-Berater ausgewählte ORBIT-Führungskräfte und -Mitarbeiter, um sich ein Bild von der Ist-Situation zu verschaffen. Die Ergebnisse der Interviews bestätigten weitgehend die Erkenntnisse der ORBIT-Geschäftsführer. Zudem zeigte sich: Auch die Mitarbeiter wünschten sich einen Wandel der Führungskultur und mehr Handlungs- und Gestaltungsfreiräume bei ihrer Arbeit.
Was dies konkret bedeutet, definierten Führungskräfte und Mitarbeiter 2013 in einem Workshop zum Werte- und Führungsverständnis. Außerdem wurden Erfolgsfaktoren formuliert, an denen sich Führung orientieren soll. Entschieden wurde: Der Fokus der Führungsarbeit soll darauf liegen, für die Mitarbeiter die Freiräume zu schaffen, die zur Entfaltung ihres Potenzials sowie zum eigenständigen Arbeiten erforderlich sind. Darüber hinaus sollen die Führungskräfte die Kompetenzentwicklung ihrer Mitarbeiter unterstützen. Als Erfolgsfaktoren für das Wachstum einer solchen Führungskultur gelten: eine hohe Transparenz und Beteiligung der Mitarbeiter sowie regelmäßige Feedbackgespräche der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern.
An diesen Faktoren sollte auch die Qualität der Führung künftig gemessen werden. Um dies zu gewährleisten, wurden die Führungsfokus-Leitlinien und die dazu passenden Erfolgsfaktoren den damals 120 Mitarbeitern mitgeteilt. Parallel dazu wurden den Führungskräften – inklusive der Geschäftsführung – das entsprechende Verständnis und die erforderlichen Skills vermittelt, um die Mitarbeiter gemäß den formulierten Erfolgsfaktoren zu führen.
Führungskräfte entwickeln neues Selbstverständnis
Als Instrument hierzu diente die Kulturzwiebel des Organisationsanthropologen Geert Hofstede, dem zufolge es letztlich die gemeinsamen Grundannahmen, Werte und Normen sind, die das (Führungs-)Handeln in einer Organisation prägen. Also müssen sich Unternehmen, die ihre (Führungs-)Kultur nachhaltig verändern möchten, auch intensiv mit dem Thema „Werte“ befassen.
Laut Aussagen des heutigen Geschäftsführers der ORBIT Gesellschaft für Applikations- und Informationssysteme mbH Andreas Baumann betrat das Unternehmen damit Neuland, da es zuvor bei ORBIT keine Führungskräfte-Weiterbildung gab. Diese Weiterbildung ist laut Kissel jedoch eine zentrale sowie unverzichtbare Säule des Prinzips der minimalen Führung, denn: „Die Führungskräfte müssen sich ebenso wie ihre Mitarbeiter als Lernende begreifen und sich regelmäßig fragen, wie sie ihre Wirksamkeit in der Organisation, also ihre Performance steigern können.“
„Am Anfang waren Führungskräfte und Mitarbeiter skeptisch – kein Wunder denn sie hatten ja jahrelang negative Erfahrungen gesammelt und in den Teeküchen geteilt“, erinnert sich Klaus Kissel. Letztendlich konnte diese Skepsis aber überwunden werden, „unter anderem weil die Geschäftsführung das neue Verhalten vorbildhaft vorlebte“.
Um das gewünschte Führungsverständnis und -verhalten in der Organisation zu verankern, finden bei ORBIT seit 2014 jährlich Seminare für Führungskräfte statt, in denen das Führen von Mitarbeiter- und Feedback-Gesprächen trainiert wird. Auch neue Führungskräfte werden entsprechend geschult. Bei sogenannten Supervisionssitzungen reflektieren die Geschäftsführung und die Bereichsleiter zudem mit Klaus Kissel regelmäßig die Führungsstruktur und -kultur im Unternehmen; außerdem definieren sie Fokusprojekte, die den langfristigen ORBIT-Zielen dienen.
Mitarbeiter wählen ihre Führungskräfte
Im zweiten Jahr des Projektes zeigte sich: Nicht nur die nur die Werte und Rituale sowie das Verhalten müssen angepasst werden, sondern auch die Strukturen und die Organisationsform sind überholt. Starke Veränderungen an der Aufbauorganisation von Unternehmen führen jedoch in der Regel zu Stress und Widerstand. Somit bestand die Gefahr, dass beim Versuch eine neue, schlanke Führungsstruktur – unter starker Beteiligung der Mitarbeiter – aufzubauen, gerade gewonnenes Vertrauen wieder zu zerstören.
Die letztendlich gewählte Lösung war einfach und für viele Mitarbeiter und Führungskräfte revolutionär. Gemeinsam mit einer Projektgruppe entschied die Geschäftsleitung, dass es bei ORBIT künftig nur noch drei Führungsebenen geben soll: die Geschäftsführung, die Bereichsleitung und die Leitung der Competence-Center. Und; Bei der Besetzung der Competence-Center-Leitung sollen die Mitarbeiter stark beteiligt sein.
Zuvor wählte die Geschäftsleitung die Führungskräfte alleine aus, wobei die Kriterien „fachliche Kompetenz“ und „Anzahl der Dienstjahre“ entscheidend waren. Diese Kriterien sind immer noch wichtig. Doch wer von den Bewerbern eine Führungsposition erhält, wird nun in geheimer Wahl bestimmt und zwar durch ein Gremium, das sich zusammensetzt aus Mitarbeitern, Betriebsrat und Geschäftsleitung. Dies war laut Kissel ein starkes Signal seitens der Unternehmensleitung an die Mitarbeiter: „Wir wollen eine andere Art von Führung etablieren, und dazu sind wir auf eure Mitsprache und euer Engagement angewiesen.“
Mitarbeiter bewerten die Qualität von Führung
Zugleich arbeitet das Unternehmen durch Teamentwicklungsmaßnahmen daran, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation zu stärken. So treffen sich zum Beispiel beim „Bier um halb vier“ Mitarbeiter aller Unternehmensbereiche freitags nachmittags bei einem Kaltgetränk zu einem Gedanken- und Meinungsaustausch – auch um sich persönlich besser kennenzulernen.
Um den Entwicklungsprozess voranzutreiben und zu evaluieren, wurde 2016 mit ifsm-Unterstützung ein IT-gestütztes Führungsfeedback durchgeführt. Hier konnten die Mitarbeiter ein Votum abgeben, wie sie die Führung – gemessen an den Führungsfokussätzen – einstufen. Dabei zeigte sich: Verglichen mit der Befragung zu Beginn des Projekts hat sich die Beziehung zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitern verändert. Sie ist heute viel stärker als früher geprägt von Vertrauen und einem partnerschaftlichen Miteinander. Die Ergebnisse der Befragung wurden erneut publik gemacht. Zudem trafen sich ifsm-Berater mit den Führungskräften zu Coaching-Gesprächen über das Mitarbeiter-Feedback. Im Bedarfsfall wurde dabei geklärt, wie konstatierte Mängel beseitigt werden können.
Neue Vision formuliert: „Unverkennbar ORBIT“
2016 entwickelte ORBIT zudem intern die neue Vision „Unverkennbar ORBIT“. Diese Vision bezieht sich auf die Dimensionen „Kunde“, „Positionierung“, „Führung“, „Unternehmenskultur“, „Personalentwicklung“ und „Fokussierung“. Dahinter verbirgt sich laut Geschäftsführer Baumann folgendes Ziel beziehungsweise folgender Selbstanspruch: „Für unsere Kunden soll auf allen Ebenen der Zusammenarbeit mit ORBIT erfahrbar sein, dass wir anders sind als die meisten IT-Dienstleister. Die Kunden sollen ebenso wie die Mitarbeiter im alltäglichen Miteinander die Werte und Überzeugungen spüren, für die ORBIT steht – und zwar an vielen scheinbaren Kleinigkeiten, die letztlich jedoch den großen Unterschied ausmachen.“
Dies setzt voraus, dass sich die ORBIT-Mitarbeiter regelmäßig vor Augen führen „Wofür stehen wir?“ und „Was ist uns deshalb bei unserer Arbeit, im Miteinander und im Kundenkontakt wichtig?“ Um dieses Bewusstsein zu schärfen, übernahmen einige Mitarbeiter freiwillig die Funktion der Visionsbotschafter: Als Mittler zwischen den Mitarbeitern fördern sie die Kommunikation über die verschiedenen Facetten und Implikationen der Vision. Mit den Botschaftern wird aktuell daran gearbeitet, die Vision des Unternehmens im Arbeitsalltag und im Kundenkontakt noch stärker erfahrbar zu machen.
Diese Weiterarbeit an den kulturverändernden Themen und Projekten ist Andreas Baumann sehr wichtig, obwohl er zugleich konstatiert: „Die Kultur von ORBIT hat sich seit 2012 bereits sehr verändert. Sie entspricht heute der eines modernen Dienstleisters, mit dem sich die Mitarbeiter stark identifizieren.“ Entsprechend gering ist die Mitarbeiterfluktuation. Aufgrund der vielen positiven Bewertungen durch Arbeitnehmer und Bewerber wurde ORBIT vom Arbeitgeber-Bewertungsportal kununu das Gütesiegel „Top-Company“ verliehen.
Die Veränderung lohnt sich und geht weiter …
Auch die ORBIT-Kunden spüren offensichtlich: Bei ORBIT hat sich viel verändert. Kein Zufall ist es für Andreas Baumann, dass sich der Umsatz des IT-Dienstleisters seit 2012 fast verdreifacht und die Mitarbeiterzahl mehr als verdoppelt hat. Er erachtet „die konsequente und nachhaltige Entwicklung eines neuen Werte- und Führungsverständnisses als zentrale Ursache für unseren wirtschaftlichen Erfolg: Was wir an Beratungshonoraren investiert haben, hat sich um ein Vielfaches amortisiert.“
Dies darf jedoch, so sein Credo, kein Anlass sein, stillzustehen und sich selbstzufrieden auszuruhen.
„Das enorme Wachstum unseres Unternehmens stellt uns gerade vor große neue Herausforderungen. Wir müssen schauen, dass die Organisation und die Strukturen mitwachsen und immer wieder angepasst werden. Deshalb werden wir auch künftig, nicht nur in die Entwicklung der fachlichen Kompetenz, sondern auch in die kulturelle Entwicklung unseres Unternehmens investieren. Denn wir wollen für unsere Kunden und unsere Mitarbeiter weiterhin „Unverkennbar ORBIT“ sein.“
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