Fachbeiträge
Die vier Phasen eines Veränderungsprozesses
von Hans-Werner Bormann
Organisationen befinden sich heute mehr denn je im Wandel. Diese Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass der erhoffte Nutzen für Kunden, Mitarbeiter und Inhaber gleichermaßen entsteht, ist eine große Herausforderung. Das zeigt sich auch darin, dass bei 70 Prozent aller Reorganisationsprozesse die Ziele nicht oder nur teilweise erreicht werden. Eine zentrale Ursache hierfür liegt in der Herangehensweise an Change-Projekte. Denn die Kultur eines Unternehmens spiegelt sich immer auch in den internen Strukturen, Abläufen und Prozessen wider. Diese dürfen daher bei der Planung und Durchführung von Veränderungen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden.
Inhaltsübersicht:
- Der steinige Weg zum angestrebten Ziel
- Wie können Führungskräfte reagieren?
- Die Komfortzone verlassen
- Die nötige Balance wahren
Unternehmensführer unterschätzen bei Veränderungsprojekten oft, wie viel Zeit und Energie es seitens der Mitarbeiter erfordert, sich vom Alten zu verabschieden. Oftmals verpassen die Verantwortlichen daher den Zeitpunkt, die Akzeptanz von Change-Projekten durch unterstützende Maßnahmen zu fördern – und erwarten von ihren Mitarbeitern zuweilen Verhaltensweisen, zu denen diese noch gar nicht fähig sind. Denn personale und organisationale Veränderungen sind zumeist das Resultat von langwierigen Prozessen ist, bei denen man vier unterschiedliche Phasen unterscheiden und beachten muss.
Der steinige Weg zum angestrebten Ziel
Phase 1 – Verleugnung/Ablehnung: Kaum werden die geplanten Änderungen publik, macht sich bei den Betroffenen Unruhe und Sorge breit. Gerüchte kursieren und Hoffnungen sowie Befürchtungen werden geäußert. Nur wenige Mitarbeiter können sich schon auf neue Zukunftsvisionen einlassen, sondern artikulieren Verärgerung und Wut.
Phase 2 – Widerstand: Nach dem ersten Schreck zeigen die Betroffenen oft Abwehrreaktionen – nicht nur in Form von (Arbeits-)Verweigerung, sondern zuweilen auch durch Mehrarbeit, die zu einer höheren Produktivität führt. Denn die Mitarbeiter möchten zeigen: „Die Veränderung ist nicht nötig. Es geht auch so.“ Zugleich führen sie zahlreiche Argumente ins Feld, warum die geplante Veränderung weder sinnvoll noch zielführend ist. Entsprechend wichtig ist es, den Betroffenen zu vermitteln, dass der Wandel trotzdem erforderlich und unausweichlich ist.
Phase 3 – Entdecken: Erkennen die Mitarbeiter, dass es kein Zurück mehr gibt, akzeptieren sie die Veränderung allmählich rational. Das heißt, sie trauern zwar noch um den Verlust des Alten, fragen sich aber zugleich: Was bedeutet der Wandel für mich? Welche Herausforderungen kommen auf mich zu? Kann ich sie bewältigen und, wenn ja, wie? Dies können die Betroffenen in dieser Phase zumeist noch nicht präzise einschätzen. Hier gilt es, die Betroffenen zu unterstützen und das Alte angemessen zu würdigen, damit die Mitarbeiter das Neue auch emotional akzeptieren können.
Phase 4 – Commitment: Erst nachdem die erforderliche Trauerarbeit geleistet ist, können die Betroffenen das Alte loslassen und ihre Energie auf das Neue richten. Nun sollte ihre Neugier geweckt werden: Sie müssen erforderliche Wissen und Können zum Umgang mit dem Neuen vermittelt bekommen. Ermutigung und Geduld sind dabei ebenso hilfreich wie Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch. So entwickelt sich das Neue allmählich zur Normalität, zumal erste (Lern-)Erfolge Selbstvertrauen schaffen. Die Leistung des Systems steigt allmählich über das ursprüngliche Niveau. Jetzt gilt es auch, den Prozess zu bewerten. Die Fragen: „Was lief warum gut?“ und „Was lief warum nicht so gut?“, helfen, um für künftige Veränderungsprojekte zu lernen.
Die (Projekt-)Verantwortlichen in Unternehmen unterschätzen oft, wie viel Zeit und Energie es seitens der Mitarbeiter erfordert, sich von vertrauten Strukturen und Verhaltensmustern zu verabschieden – schließlich vermitteln sie ihnen Sicherheit. Außerdem fußt auf ihnen ihr berufliches Selbstbewusstsein. Deshalb fordern die Verantwortlichen von den Mitarbeitern zuweilen ein Verhalten, zu dem diese noch nicht fähig sind. Und häufig beginnen sie selbst am eingeschlagenen Weg zu zweifeln, wenn sie spüren: Vieles dauert länger als gedacht und geplant.
Deshalb organisieren sie auch nicht die erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen für die Mitarbeiter, um sicherzustellen, dass der Veränderungsprozess so schnell wie möglich voranschreitet und die gesteckten Ziele erreicht werden.
Wie können Führungskräfte reagieren?
Wollen Führungskräfte Veränderungsprozesse auf der personalen Ebene gezielt steuern, sollten sie sich zunächst fragen: „In welcher Phase befindet sich der Mitarbeiter beziehungsweise die Mitarbeitergruppe?“ Danach müssen sie herausfinden, welche Unterstützung der Mitarbeiter beziehungsweise die Mitarbeitergruppe benötigt. Erst dann können sie sich für Interventionen entscheiden. Mögliche Reaktionen von Führungskräften in den vier Phasen der persönlichen Veränderungskurve sind:
Phase 1: Verleugnung Ablehnung
- Mitarbeiter reden lassen; zur Reflexion anregen
- durch Fragen und Erkundungen Ablehnung reduzieren
- Forum für Kritik schaffen; „Klagemauer“ einrichten
- Schockbearbeitung
- Verständnis und Mitgefühl zeigen (aber nicht gegen „die da oben“ verbünden)
- worst-case-Szenario entwickeln (Was passiert, wenn wir nichts tun?)
- Informationen geben (Was geschieht wann warum ...)
- Konfrontation (Ja, die Veränderung wird kommen. Es geht nicht so weiter wie bisher.)
- Ehrlichkeit, Offenheit
Phase 2: Widerstand
- Nachfragen, Erkunden (Was steckt hinter den Reaktionen? Zum Beispiel Angst.)
- Hypothesen bilden und äußern
- Unterstützung, Hilfe anbieten (Was können Sie selbst tun? Was kann ich für Sie tun?)
- Sicherheit geben; Angst reduzieren
- konstruktives Denken anregen (Was ist Ihr Ziel als Mitarbeiter? Ist dieses Ziel mit dem derzeitigen Verhalten erreichbar? Was brauchen Sie, um wieder Leistung zu erbringen? Was gewinnen Sie durch die Veränderung, was müssen Sie aufgeben?)
- Informationen geben (Ziel der Veränderung, Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit ...)
- Bewahrung und Veränderung würdigen (Was spricht dafür, was dagegen?)
- als letztes Mittel: Konfrontation mit Konsequenzen, Disziplinierung
Phase 3: Entdecken
- Perspektiven sowie Chancen aufzeigen
- Verbesserungspotenziale identifizieren; Entwicklungsmaßnahmen einleiten; Aufgeschlossenheit erhalten
- Mitarbeiter unterstützen und Hilfe organisieren
- Informationen geben (Statusberichte, Teilerfolge ...)
- Anerkennung für Leistungssteigerung
Phase 4: Neues Commitment (Erneuerung)
- Entwicklungs- und Leistungsziele vereinbaren
- Wissensmanagement (Erfolgsfaktoren und Fehler für andere Projekte nutzen)
- Kooperation in der Gruppe stärken
- Ansporn, unerwartetes Lob geben
- Informationen geben (Erfolge, Erfahrungen)
- Fördermaßnahmen einleiten
Die Komfortzone verlassen
Folgende Prinzipien finden bei der Modellentwicklung Anwendung:
Ohne aktive Unterstützung seitens ihrer Führung gelingt es vielen Mitarbeitern nicht, den skizzierten Veränderungsprozess zu durchlaufen. Sie bleiben in einer der drei ersten Phasen stecken. Der Grund hierfür: Mitarbeiter halten sich im Tagesgeschäft überwiegend in der Komfortzone auf – sie tun also bevorzugt das, was sie (in ihren Augen) gut können und worin sie Routine haben. Bei Veränderungen müssen sie jedoch häufig ihre Komfortzone verlassen und sich in die so genannte Stretchzone begeben – also Dinge tun, die sie (so) noch nicht getan haben, aber durchaus tun oder erlernen könnten. Eigeninitiativ machen dies die meisten Mitarbeiter nicht oder nur in einem begrenzten Umfang. Deshalb müssen Führungskräfte in Veränderungsprozessen an ihre Mitarbeiter immer wieder den Appell richten: Raus aus der Komfortzone – rein in die Stretchzone! Zugleich sollten sie aber vermeiden, dass diese in die Panikzone geraten, weil sie sich überfordert fühlen oder überfordert sind.
Abhängig davon, in welcher Zone sich die Mitarbeiter gerade befinden, sind folgende Führungsinterventionen möglich:
Komfortzone – Stretchzone: Konfrontieren, Aktionen planen, Szenarien entwickeln, Aufgaben verändern, anspruchsvollere Ziele setzen, an Entscheidungen beteiligen, am Veränderungsprozess mitwirken lassen.
Panikzone – Stretchzone: Ängste ernst nehmen, Sicherheit geben, bisherige Erfolge würdigen, Zukunftsszenarien entwickeln, Alternativen durchspielen, Perspektiven verändern.
Bei organisationalen Veränderungen gibt es neben Mitarbeitern, die die Veränderung von vornherein begrüßen oder ablehnen, stets auch solche, die ihr eher neutral gegenüber stehen: die so genannten „Fence-Sitter“, was so viel heißt wie Beobachter (am Zaun). Häufig ist die Verteilung wie folgt:
- 20 Prozent Veränderer – also Befürworter, die froh sind, wenn es endlich losgeht und sie mitmachen könne.
- 60 Prozent Fence-Sitter – also Unentschlossene, die neutral abwarten, auf welche Seite sie sich begeben.
- 20 Prozent Bewahrer – also Gegner von Veränderungen, die oft aktiv an deren Verhinderung arbeiten.
Führungskräfte fokussieren bei anstehenden Veränderungen ihre Aktivitäten zumeist auf die Bewahrer, also die Gegner der Veränderung. Sie versuchen diese zu überzeugen und zu überreden – mit den unterschiedlichsten Methoden. Zielführender wäre es, sich auf die Unentschlossenen zu konzentrieren. Sie sind die Mehrheit und am leichtesten in ihrer Haltung zu beeinflussen – zum Beispiel, indem man sie in Kontakt mit den Befürwortern bringt.
Führung bedeutet im Unternehmensalltag auch, eine angemessene Balance zwischen bewahrender und verändernder Arbeit zu wahren. Beide Formen der Arbeit sind nötig – sie hängen sogar voneinander ab. Das eine geht sozusagen ohne das andere nicht. Nur wenn Bewahrung und Veränderung im rechten Verhältnis zueinander stehen, sind die Batterien eines Unternehmens geladen. Das heißt, es kann seine Alltagaufgaben erfüllen und zugleich schreitet die Entwicklung der Organisation wie gewünscht voran.
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