Fachbeiträge
Das Wissen im Wissensmanagement
von Dr. Michael Beckmann und Hans-Peter Adrion
Obwohl Wissen die zentrale Größe im Wissensmanagement ist, bleibt der Begriff in der Literatur vielfach unbestimmt: Wissen soll zur Lösung von Problemen eingesetzt werden, umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln, stützt sich auf Daten und Informationen und beinhaltet Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Unklar ist dabei, wie diese Bestandteile einer Wissensdefinition zusammenhängen. Einen Versuch, den Wissensbegriff genauer zu fassen, unternehmen Michael Beckmann und Hans-Peter Adrion mit der Unterscheidung zwischen theoretischem, technologischem und Praxiswissen.
Von Dr. Michael Beckmann und
Inhaltsübersicht:
Obwohl Wissen die zentrale Größe im Wissensmanagement
ist, bleibt der Begriff in der Literatur vielfach unbestimmt: Wissen soll zur
Lösung von Problemen eingesetzt werden, umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse
als auch praktische Alltagsregeln, stützt sich auf Daten und Informationen
und beinhaltet Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Unklar
ist dabei, wie diese Bestandteile einer Wissensdefinition zusammenhängen.
Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, den Wissensbegriff genauer
zu fassen.
Gemeinhin unterscheidet man in der Literatur zum Wissensmanagement zwischen
Daten, Informationen und Wissen. Die Zusammenhänge zwischen diesen Ebenen
werden häufig als Anreicherungsprozess dargestellt: Zeichen werden durch
Syntaxregeln zu Daten, welche in einem gewissen Kontext interpretierbar sind
und damit für den Empfänger eine Information darstellen. Die Vernetzung
von Informationen ermöglicht deren Nutzung in einem bestimmten Handlungsfeld,
welches als Wissen bezeichnet werden kann. In einer Veröffentlichung heißt
es beispielsweise: „Wissen ist bedeutungsgerecht bewertete Information“
[1], wobei unklar bleibt, wann eine Information bedeutungsgerecht bewertet wird.
Da ist die Definition von Probst et al. schon präziser: „Wissen bezeichnet
die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung
von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch
praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf
Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen
gebunden. Es wird von Individuen konstruiert und repräsentiert deren Erwartungen
über Ursache-Wirkungszusammenhänge.“ [2]
Doch wie hängen die einzelnen Elemente dieser Wissensdefinition zusammen?
Von wem wird welche Art von Wissen in welchem Kontext geschaffen oder angewendet?
Um dies genauer zu fassen, versuchen wir hier eine weitere Annäherung,
indem wir zwischen drei Arten von Wissen unterscheiden: theoretisches Wissen,
technologisches Wissen und Praxiswissen.
Das theoretische Wissen
Theoretisches Wissen beruht auf realwissenschaftlichen Theorien. Diese zeichnen
sich durch drei Eigenschaften aus: ihren hypothetisch-deduktiven bzw. axiomatisch-deduktiven
Charakter, ihren nomologischen Geltungsanspruch und ihre empirische Überprüfbarkeit,
genauer: ihre grundsätzliche empirische Falsifizierbarkeit. Eine Theorie
ist also eine Menge von allgemeinen Sätzen (d.h. deren Geltung nicht durch
raum-zeitliche Bedingungen beschränkt ist), die im Idealfall systematisch
durch deduktive Ableitungsbeziehungen miteinander verbunden sind und die grundsätzlich
an der Erfahrung scheitern können. Theorien eignen sich aufgrund ihrer
Struktur zur Erklärung bestimmter Sachverhalte: Man leitet aus der Theorie
und bestimmten Randbedingungen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts ab,
d.h. man erklärt ihn durch Rückgriff auf den in der Theorie behaupteten
Kausalzusammenhang. Desgleichen lassen sich aus einer Theorie Erwartungen hinsichtlich
des Auftretens eines bestimmten Sachverhalts folgern, sofern die in der Theorie
behaupteten Randbedingungen vorliegen.
In der Forschung wird dieser deduktive Argumentationszusammenhang benutzt,
um Theorien oder Hypothesen zu überprüfen. Das Schema ist dabei immer
dasselbe: Aus der zu testenden Hypothese und geeigneten Randbedingungen werden
Prognosen abgeleitet. Tritt das Vorausgesagte nicht ein, ist die Hypothese (relativ
zur anerkannten Basis) widerlegt. So genannte Fakten gewinnen ihre Bedeutung
erst, indem sie im Lichte von Theorien interpretiert werden. Je nach Art der
Theorie können Fakten daher in einem anderen Licht erscheinen. Es gibt
demnach keine objektiven oder theorieneutralen Fakten.
Das technologische Wissen
Technologisches Wissen beruht ebenfalls auf realwissenschaftlichen Theorien.
Es beinhaltet deren konsequentes Anwenden bei gegebenen Zielen, indem die in
ihnen behaupteten Anfangsbedingungen realisiert werden. Formal lässt sich
dieser Sachverhalt wie folgt verdeutlichen:
- Wenn X, dann Y (Hypothese oder Theorie).
- Y ist gegeben (das Ziel).
- X ist herzustellen, soll Y realisiert werden.
Um X herzustellen, sind meist weitere Theorien erforderlich, so dass sich folgende
deduktive Argumentationsstruktur ergibt:
- Wenn X, dann Y (Hypothese oder Theorie).
- Wenn Z, dann X.
- Daraus folgt: Y.
Indem die Anfangsbedingungen der Theorie „Wenn X, dann Y“ durch
Z realisiert werden, gelingt es, Y herzustellen. Technologisches Wissen beruht
demnach auf der Kenntnis, wie die Anfangsbedingungen einer allgemeinen Theorie
hergestellt werden können, um ein gegebenes Ziel zu realisieren.
Ein einfaches Beispiel aus der Ökonomie soll diesen Sachverhalt illustrieren:
Wenn sich die Kaufkraft erhöht, steigt die Güternachfrage. Wenn die
Steuern gesenkt werden, erhöht sich die Kaufkraft. Soll also die Güternachfrage
erhöht werden, müssen demnach die Steuern gesenkt werden.
Das Praxiswissen
Im Gegensatz zum theoretischen und technologischen Wissen beruht Praxiswissen
auf empirischen Generalisierungen. Statt deduktiv wird hier induktiv vorgegangen.
Indem ein bestimmter Erfahrungszusammenhang sich immer wieder aufs Neue bestätigt,
verallgemeinert man die wiederholt gemachten Erfahrungen. Lernen vollzieht sich
in diesem Kontext häufig durch Diskriminierungen: Man stellt fest, dass
eine generelle Regel nicht auf alle Fälle zutrifft, sondern vielleicht
nur auf eine bestimmte Klasse von Fällen und schränkt entsprechend
ihren Geltungsbereich ein. Das schließt nicht aus, dass solche empirischen
Generalisierungen in einen deduktiven Begründungszusammenhang gestellt
werden können, um z.B. bestimmte Maßnahmen zu rechtfertigen.
Ein Beispiel aus der Praxis soll auch diesen Sachverhalt verdeutlichen: Immer
wenn Eis auf dem Dach ist, läuft Wasser ins Haus. Um zu verhindern, dass
sich Eis auf dem Dach bildet, ist es erforderlich, den Schnee vom Dach zu entfernen.
Die dahinter stehenden nomologischen Informationen (physikalischen Gesetze)
werden dabei ausgeblendet; oft sind sie dem Einzelnen auch gar nicht bekannt.
In der Praxis werden derartige Zusammenhänge nur selten vollständig
expliziert. Man spricht dann von Erklärungsskizzen oder unvollständigen
Begründungszusammenhängen. Erklärungsskizzen können zur
Lösung von Problemen herangezogen werden und sind in der Praxis weit verbreitet.
Zurück zu unserem Beispiel: Wenn Wasser gefriert, dehnt es sich aus. Wenn
sich Eis unter den Dachschindeln bildet, werden diese angehoben. Wenn die Dachschindeln
angehoben werden, läuft Wasser ins Haus. Will man das verhindern, muss
man folglich dafür sorgen, dass kein Wasser unter den Dachschindeln gefrieren
kann, z.B. indem man den Schnee vom Dach entfernt.
Derartige Erklärungsskizzen haben die Struktur von Alltagstheorien. Sie
beruhen im Wesentlichen auf generalisierten Erfahrungen, können aber auch
gesetzesartige Aussagen enthalten.
Während im Überprüfungszusammenhang von Theorien X gegeben ist
und Y gesucht wird, verhält es sich in der Praxis oft umgekehrt: Y (ein
bestimmtes Ziel) ist gegeben und X wird gesucht. Wenn X nicht bekannt ist, kann
man versuchen, X durch Probieren herzustellen. Gelingt dies und bewährt
sich das Herstellen von Y durch X in wiederholten Anwendungsfällen, so
lässt sich daraus eine generelle Regel ableiten: Soll Y hergestellt werden,
empfiehlt es sich, X zu realisieren. Praxiswissen besteht nicht selten aus solchen
Erfahrungsregeln.
Fazit
Theoretisches Wissen ist ein Charakteristikum der (Grundlagen-) Forschung,
technologisches Wissen ein Merkmal der Ingenieurswissenschaften oder angewandten
Wissenschaften, während Praxiswissen ein Kennzeichen der Produktionsprozesse
in der Industrie oder – wo das besonders deutlich wird – des Handwerks
ist. Wie gezeigt wurde, spielen beim Lösen von Problemen theoretische Erkenntnisse,
technologische Anwendungen und empirische Generalisierungen eine wesentliche
Rolle. In der Praxis handelt es sich dabei vielfach um Erklärungsskizzen.
Durch das Festhalten solcher Erklärungsskizzen von Best-Practice-Lösungen
und gut fundierten Erfahrungsregeln entsteht ein Fundus an paradigmatischen
Problemlösungen, die für Unternehmen von besonderer Wichtigkeit sind.
Sie zu erfassen, ist daher eine zentrale Aufgabe des Wissensmanagements.
Literatur:
[1] Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H./Erlach, C./Neubauer, A.: Wissensmanagement
lernen. Weinheim, Basel 2001.
[2] Probst,G./Raub, S./Romhardt, K.: Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvolle
Ressource optimal nutzen. 4. überarb. Aufl. Wiesbaden 2003.
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