Fachbeiträge

Ausgabe 7 / /2004
Fachbeitrag Grundlagen & Theorien

Das Wissen im Wissensmanagement

von Dr. Michael Beckmann und Hans-Peter Adrion

Obwohl Wissen die zentrale Größe im Wissensmanagement ist, bleibt der Begriff in der Literatur vielfach unbestimmt: Wissen soll zur Lösung von Problemen eingesetzt werden, umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch praktische Alltagsregeln, stützt sich auf Daten und Informationen und beinhaltet Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Unklar ist dabei, wie diese Bestandteile einer Wissensdefinition zusammenhängen. Einen Versuch, den Wissensbegriff genauer zu fassen, unternehmen Michael Beckmann und Hans-Peter Adrion mit der Unterscheidung zwischen theoretischem, technologischem und Praxiswissen.

 

Von Dr. Michael Beckmann und

Hans-Peter Adrion

 

Inhaltsübersicht:

 

Obwohl Wissen die zentrale Größe im Wissensmanagement

ist, bleibt der Begriff in der Literatur vielfach unbestimmt: Wissen soll zur

Lösung von Problemen eingesetzt werden, umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse

als auch praktische Alltagsregeln, stützt sich auf Daten und Informationen

und beinhaltet Erwartungen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Unklar

ist dabei, wie diese Bestandteile einer Wissensdefinition zusammenhängen.

Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, den Wissensbegriff genauer

zu fassen.

Gemeinhin unterscheidet man in der Literatur zum Wissensmanagement zwischen

Daten, Informationen und Wissen. Die Zusammenhänge zwischen diesen Ebenen

werden häufig als Anreicherungsprozess dargestellt: Zeichen werden durch

Syntaxregeln zu Daten, welche in einem gewissen Kontext interpretierbar sind

und damit für den Empfänger eine Information darstellen. Die Vernetzung

von Informationen ermöglicht deren Nutzung in einem bestimmten Handlungsfeld,

welches als Wissen bezeichnet werden kann. In einer Veröffentlichung heißt

es beispielsweise: „Wissen ist bedeutungsgerecht bewertete Information“

[1], wobei unklar bleibt, wann eine Information bedeutungsgerecht bewertet wird.

Da ist die Definition von Probst et al. schon präziser: „Wissen bezeichnet

die Gesamtheit der Kenntnisse und Fähigkeiten, die Individuen zur Lösung

von Problemen einsetzen. Dies umfasst sowohl theoretische Erkenntnisse als auch

praktische Alltagsregeln und Handlungsanweisungen. Wissen stützt sich auf

Daten und Informationen, ist im Gegensatz zu diesen jedoch immer an Personen

gebunden. Es wird von Individuen konstruiert und repräsentiert deren Erwartungen

über Ursache-Wirkungszusammenhänge.“ [2]

 

 

 

Doch wie hängen die einzelnen Elemente dieser Wissensdefinition zusammen?

Von wem wird welche Art von Wissen in welchem Kontext geschaffen oder angewendet?

Um dies genauer zu fassen, versuchen wir hier eine weitere Annäherung,

indem wir zwischen drei Arten von Wissen unterscheiden: theoretisches Wissen,

technologisches Wissen und Praxiswissen.

 

Das theoretische Wissen

 

Theoretisches Wissen beruht auf realwissenschaftlichen Theorien. Diese zeichnen

sich durch drei Eigenschaften aus: ihren hypothetisch-deduktiven bzw. axiomatisch-deduktiven

Charakter, ihren nomologischen Geltungsanspruch und ihre empirische Überprüfbarkeit,

genauer: ihre grundsätzliche empirische Falsifizierbarkeit. Eine Theorie

ist also eine Menge von allgemeinen Sätzen (d.h. deren Geltung nicht durch

raum-zeitliche Bedingungen beschränkt ist), die im Idealfall systematisch

durch deduktive Ableitungsbeziehungen miteinander verbunden sind und die grundsätzlich

an der Erfahrung scheitern können. Theorien eignen sich aufgrund ihrer

Struktur zur Erklärung bestimmter Sachverhalte: Man leitet aus der Theorie

und bestimmten Randbedingungen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts ab,

d.h. man erklärt ihn durch Rückgriff auf den in der Theorie behaupteten

Kausalzusammenhang. Desgleichen lassen sich aus einer Theorie Erwartungen hinsichtlich

des Auftretens eines bestimmten Sachverhalts folgern, sofern die in der Theorie

behaupteten Randbedingungen vorliegen.

 

 

 

In der Forschung wird dieser deduktive Argumentationszusammenhang benutzt,

um Theorien oder Hypothesen zu überprüfen. Das Schema ist dabei immer

dasselbe: Aus der zu testenden Hypothese und geeigneten Randbedingungen werden

Prognosen abgeleitet. Tritt das Vorausgesagte nicht ein, ist die Hypothese (relativ

zur anerkannten Basis) widerlegt. So genannte Fakten gewinnen ihre Bedeutung

erst, indem sie im Lichte von Theorien interpretiert werden. Je nach Art der

Theorie können Fakten daher in einem anderen Licht erscheinen. Es gibt

demnach keine objektiven oder theorieneutralen Fakten.

 

Das technologische Wissen

 

Technologisches Wissen beruht ebenfalls auf realwissenschaftlichen Theorien.

Es beinhaltet deren konsequentes Anwenden bei gegebenen Zielen, indem die in

ihnen behaupteten Anfangsbedingungen realisiert werden. Formal lässt sich

dieser Sachverhalt wie folgt verdeutlichen:

 

  • Wenn X, dann Y (Hypothese oder Theorie).
  • Y ist gegeben (das Ziel).
  • X ist herzustellen, soll Y realisiert werden.

 

Um X herzustellen, sind meist weitere Theorien erforderlich, so dass sich folgende

deduktive Argumentationsstruktur ergibt:

 

  • Wenn X, dann Y (Hypothese oder Theorie).
  • Wenn Z, dann X.
  • Daraus folgt: Y.

 

 

Indem die Anfangsbedingungen der Theorie „Wenn X, dann Y“ durch

Z realisiert werden, gelingt es, Y herzustellen. Technologisches Wissen beruht

demnach auf der Kenntnis, wie die Anfangsbedingungen einer allgemeinen Theorie

hergestellt werden können, um ein gegebenes Ziel zu realisieren.

 

 

Ein einfaches Beispiel aus der Ökonomie soll diesen Sachverhalt illustrieren:

Wenn sich die Kaufkraft erhöht, steigt die Güternachfrage. Wenn die

Steuern gesenkt werden, erhöht sich die Kaufkraft. Soll also die Güternachfrage

erhöht werden, müssen demnach die Steuern gesenkt werden.

 

Das Praxiswissen

 

 

Im Gegensatz zum theoretischen und technologischen Wissen beruht Praxiswissen

auf empirischen Generalisierungen. Statt deduktiv wird hier induktiv vorgegangen.

Indem ein bestimmter Erfahrungszusammenhang sich immer wieder aufs Neue bestätigt,

verallgemeinert man die wiederholt gemachten Erfahrungen. Lernen vollzieht sich

in diesem Kontext häufig durch Diskriminierungen: Man stellt fest, dass

eine generelle Regel nicht auf alle Fälle zutrifft, sondern vielleicht

nur auf eine bestimmte Klasse von Fällen und schränkt entsprechend

ihren Geltungsbereich ein. Das schließt nicht aus, dass solche empirischen

Generalisierungen in einen deduktiven Begründungszusammenhang gestellt

werden können, um z.B. bestimmte Maßnahmen zu rechtfertigen.

 

 

Ein Beispiel aus der Praxis soll auch diesen Sachverhalt verdeutlichen: Immer

wenn Eis auf dem Dach ist, läuft Wasser ins Haus. Um zu verhindern, dass

sich Eis auf dem Dach bildet, ist es erforderlich, den Schnee vom Dach zu entfernen.

Die dahinter stehenden nomologischen Informationen (physikalischen Gesetze)

werden dabei ausgeblendet; oft sind sie dem Einzelnen auch gar nicht bekannt.

 

 

In der Praxis werden derartige Zusammenhänge nur selten vollständig

expliziert. Man spricht dann von Erklärungsskizzen oder unvollständigen

Begründungszusammenhängen. Erklärungsskizzen können zur

Lösung von Problemen herangezogen werden und sind in der Praxis weit verbreitet.

 

 

 

Zurück zu unserem Beispiel: Wenn Wasser gefriert, dehnt es sich aus. Wenn

sich Eis unter den Dachschindeln bildet, werden diese angehoben. Wenn die Dachschindeln

angehoben werden, läuft Wasser ins Haus. Will man das verhindern, muss

man folglich dafür sorgen, dass kein Wasser unter den Dachschindeln gefrieren

kann, z.B. indem man den Schnee vom Dach entfernt.

 

 

Derartige Erklärungsskizzen haben die Struktur von Alltagstheorien. Sie

beruhen im Wesentlichen auf generalisierten Erfahrungen, können aber auch

gesetzesartige Aussagen enthalten.

 

 

Während im Überprüfungszusammenhang von Theorien X gegeben ist

und Y gesucht wird, verhält es sich in der Praxis oft umgekehrt: Y (ein

bestimmtes Ziel) ist gegeben und X wird gesucht. Wenn X nicht bekannt ist, kann

man versuchen, X durch Probieren herzustellen. Gelingt dies und bewährt

sich das Herstellen von Y durch X in wiederholten Anwendungsfällen, so

lässt sich daraus eine generelle Regel ableiten: Soll Y hergestellt werden,

empfiehlt es sich, X zu realisieren. Praxiswissen besteht nicht selten aus solchen

Erfahrungsregeln.

 

 

Fazit

 

Theoretisches Wissen ist ein Charakteristikum der (Grundlagen-) Forschung,

technologisches Wissen ein Merkmal der Ingenieurswissenschaften oder angewandten

Wissenschaften, während Praxiswissen ein Kennzeichen der Produktionsprozesse

in der Industrie oder – wo das besonders deutlich wird – des Handwerks

ist. Wie gezeigt wurde, spielen beim Lösen von Problemen theoretische Erkenntnisse,

technologische Anwendungen und empirische Generalisierungen eine wesentliche

Rolle. In der Praxis handelt es sich dabei vielfach um Erklärungsskizzen.

Durch das Festhalten solcher Erklärungsskizzen von Best-Practice-Lösungen

und gut fundierten Erfahrungsregeln entsteht ein Fundus an paradigmatischen

Problemlösungen, die für Unternehmen von besonderer Wichtigkeit sind.

Sie zu erfassen, ist daher eine zentrale Aufgabe des Wissensmanagements.

 

 

 

Literatur:

 

 

 

 

[1] Reinmann-Rothmeier, G./Mandl, H./Erlach, C./Neubauer, A.: Wissensmanagement

lernen. Weinheim, Basel 2001.

[2] Probst,G./Raub, S./Romhardt, K.: Wissen managen. Wie Unternehmen ihre wertvolle

Ressource optimal nutzen. 4. überarb. Aufl. Wiesbaden 2003.

 

 

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