Fachbeiträge
Auch LERNET musste lernen – aktuelle Anforderungen von KMU an E-Learning-Angebote
von Lutz P. Michel, Friedrich Hagedorn, Lutz Goertz, Birgit Raithel, Anja Johanning
Wer als Hersteller oder Dienstleister im E-Learning-Markt die Zeit der allgemeinen Ernüchterung und der damit einhergehenden Marktbereinigung überstanden hat, der hat seine Lektion gelernt. Etwa, dass man sich in erster Linie am potenziellen Kunden und dessen Wünschen und Möglichkeiten orientieren muss – und nicht am technisch Machbaren. Das gilt in besonderem Maße für Angebote, die sich an kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) richten. Hier spielen Pragmatismus und Kundenorientierung eine besonders große Rolle. Davon können auch die Partner des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Verbundprojekts LERNET berichten, dessen Angebote sich ausschließlich an KMU und die öffentliche Verwaltung richten.
Inhaltsübersicht:
- Der Maßanzug von der Stange sollte es sein
- Sozial und modular den Lernbedürfnissen begegnen
- Vom E-Learning zur integrierten E-Solution
- Kooperative Geschäftsmodelle für Anbieter und Nutzer
Inzwischen weiß es auch der letzte Technikanbeter:
E-Learning ist keine Killer-Applikation, genauso wenig wie E-Shopping, E-Publishing
oder irgend eine andere E-Innovation der 90er Jahre. Wer als Hersteller oder
Dienstleister im E-Learning-Markt die Zeit der allgemeinen Ernüchterung
und der damit einhergehenden Marktbereinigung überstanden hat, der hat
seine Lektion gelernt. Etwa, dass man sich in erster Linie am potenziellen Kunden
und dessen Wünschen und Möglichkeiten orientieren muss – und
nicht am technisch Machbaren. Das gilt in besonderem Maße für Angebote,
die sich an kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) richten. Hier
spielen Pragmatismus und Kundenorientierung eine besonders große Rolle.
Davon können auch die 50 Konsortialpartner des LERNET-Netzwerks
berichten, das vom Bundeswirtschaftsministerium bis Mitte 2004 mit insgesamt
15 Mio. Euro gefördert wird. Die Angebote der 11 LERNET-Projekte richten
sich ausschließlich an KMU und die öffentliche Verwaltung. Der folgende
Beitrag referiert wichtige Erkenntnisse aus den Projekten und konzentriert sich
dabei auf vier Aspekte, die weit über LERNET hinaus von Interesse sind,
zumal sie aktuelle Trends im Lernverhalten bzw. neue Entwicklungen im Bildungsmarkt
aufgreifen: Mass Costumisation, soziales Lernen, integrierte Lernlösungen
und Geschäftsmodelle für KMU.
Der Maßanzug von der Stange sollte es sein
Die geringe Verbreitung von E-Learning in kleinen und mittleren Unternehmen
(je nach Mitarbeiterzahl zählen zwischen 5 und max. 25 Prozent der Betriebe
zu den Anwendern) kann niemanden überraschen, der die derzeit am Markt
verfügbaren Angebote kennt. Meist handelt es sich um Standardprodukte,
die in der Regel den spezifischen Weiterbildungsinteressen der Unternehmen nicht
gerecht werden können. Große Konzerne leisten sich hier eine Doppelstrategie:
auf der einen Seite Standardprodukte für Querschnittsaufgaben – etwa
die EDV-Fortbildung oder das Sprachtraining – und auf der anderen Seite
maßgefertigte Produkte, meist in Kooperation mit einem E-Learning-Produzenten
entwickelt. Diese Option steht jedoch weder KMU noch der überwiegenden
Zahl der öffentlichen Verwaltungen zur Verfügung.
Wie haben die LERNET-Projekte mit ihren branchenbezogenen Angeboten dieses
Dilemma gelöst? Vor allem ging es darum, die Schere zwischen der Forderung
nach individuellen und aktualisierbaren Angeboten und dem Zwang zur kostengünstigen
Produktion zu schließen. Mass Customisation lautet das Schlüsselwort
für diesen Spagat zwischen Individualisierung und Massenproduktion.
Ein Ansatz, der in einigen LERNET-Projekten sehr intensiv verfolgt wurde, kann
als Lean Production beschrieben werden. Nachdem zunächst der Produktionsprozess
in seine zentralen Bestandteile zerlegt wurde, werden die Kosten für jeden
Arbeitsschritt und jedes Teilprodukt (etwa die Erstellung einer HTMLSeite oder
einer Flash-Animation) erfasst. Im nächsten Schritt erfolgt eine Standardisierung
der Produktionsprozesse, um eine Kostenreduktion bei gleichbleibender Qualität
zu erzielen.
Unverzichtbar für diesen Ansatz einer schlanken E-Learning-Produktion
ist die Modularisierung und Granularisierung der Lerneinheiten. Um die Wiederverwendbarkeit
von Lerninhalten sicherzustellen, ohne die eine quasi-industrielle Produktion
nicht denkbar wäre, mussten zum Teil bereits fertig produzierte E-Learning-
Kurse zerteilt und zu kleinen, austauschbaren Einheiten umgeformt werden.
Damit wird zugleich eine weitere wichtige Voraussetzung für eine wirtschaftliche
E-Learning-Produktion – und damit für KMU-freundliche Preise –
erfüllt: die Wiederverwertbarkeit einzelner Lernelemente. Diese Re-Use-Strategie
wird inzwischen in den meisten LERNET-Projekten verfolgt. Unverzichtbar für
ihr Gelingen ist die Orientierung an anerkannten Standards und Normen.
Einen Meilenstein auf dem Weg zu einer qualitativ hochwertigen und zugleich
kostengünstigen Produktion von E-Learning-Angeboten bildet zudem der Aufbau
einer so genannten Content-Sharing-Plattform. Erste Ergebnisse dieser noch jungen
Initiative, die auch Anbieter und Content-Produzenten außerhalb des LERNET-Netzwerks
einbezieht, waren auf der Learntec 2004 zu besichtigen.
Sozial und modular den Lernbedürfnissen begegnen
Ein weiteres Problem, E-Learning in KMU zu etablieren, besteht darin, dass
die Mitarbeiter mit den bisherigen Angeboten nur schwer zu motivieren sind.
Sie fühlen sich oft mit der Organisation des Lernens alleine gelassen und
können sich nur schwer mit dem vorgegebenen, meist kursförmig aufbereiteten
Lernstoff identifizieren. Das Projekt LERNET hat hierzu gezeigt: E-Learning-Angebote
für KMU sollten einen Katalog von Lerninhalten anbieten, aus dem Nutzer,
Trainer und Dozenten selbst auswählen können. Gleichzeitig benötigen
sie für Auswahl und Einsatz des richtigen Lernstoffes eine personelle Hilfestellung,
z.B. durch einen Tutor oder Bildungsberater.
Wie in Präsenzveranstaltungen ist auch in E-Learning- und Blended-Learning-Angeboten
die Persönlichkeit des Betreuers bzw. Tutors eine zentrale Komponente für
den Erfolg des Lernprozesses. Dies hat weniger mit Fachkompetenz zu tun als
vielmehr mit sozialer Kompetenz sowie dem Vertrauen, das ihm die Lerner entgegenbringen.
In den LERNET-Projekten hat sich insbesondere die zeitliche und kommunikative
Flexibilität des Tutors positiv auf die Akzeptanz von E-Learning ausgewirkt.
Überspitzt formuliert könnte man zu dem Schluss kommen: Der Tutor
ist der Kaplan des E-Learnings – er weiß immer Rat, er hat Zeit,
er kennt die Bedürfnisse.
Viele LERNET-Projekte haben von vornherein darauf geachtet, dass ihre Lernangebote
nicht nur im Rahmen eines vordefinierten Curriculums mit einer festen Reihenfolge
der Lerninhalte funktionieren. Sie haben die Lernelemente so gestaltet, dass
sie auch für sich alleine stehen können. Auf diese Weise eignen sich
die Lerninhalte neben dem curricularen Lernen auch zu einem Learning on demand,
z.B. für die schnelle Recherche zu einem bestimmten Thema während
der Arbeit.
Die LERNET-Projekte haben aber auch gezeigt, dass der Lernerfolg nur so gut
sein kann wie die Kommunikation unter den Teilnehmern und zu ihren Betreuern.
Ohne Kommunikation geht es nicht! Im Fall eines Kurses für eine höhere
Angestelltenposition in kommunalen Betrieben etwa stieg die Lernmotivation deutlich,
nachdem ein virtueller Klassenraum und ein außerplanmäßiger
zusätzlicher Präsenztag eingeführt wurde. Der Austausch mit anderen
Teilnehmern, z.B. in einer Lern-Community, wird zum Motor für das eigene
Lernen.
Vom E-Learning zur integrierten E-Solution
Netzbasierte Lernlösungen, sei es in Form einer reinen E-Learning-Anwendung
oder als Blended-Learning-Angebot, sind bereits in großer Zahl in der
betrieblichen Weiterbildung zu finden. Doch oft genug stehen Lern- und Arbeitsprozesse
unverbunden nebeneinander – ein E-Learning-Angebot wurde angeschafft,
aber nicht in den betrieblichen Alltag integriert. Entscheidend ist es daher,
E-Learning in betriebliche Innovationsstrategien einbetten zu können. Dieser
Prozess des Change Managements und der damit verbundenen Änderung der Lernkultur
muss bei vielen kleinen Unternehmen erst behutsam in Gang gesetzt werden. E-Learning
kann dabei als ein zentraler Bestandteil des Innovationsprozesses genutzt werden,
wie es zahlreiche Beispiele in Großunternehmen bereits zeigen.
Um dies auch in KMU zu erreichen, müssen den Verantwortlichen in diesen
Unternehmen gezielte Beratungs- und Informationsmöglichkeiten geboten werden.
Damit solche Angebote auch für KMU finanzierbar sind, wurden in den LERNET-Projekten
preisgünstige Lösungen entwickelt – wie etwa Avatare für
die Eingangsberatung, Evaluationstools, um die Qualität einer E-Learning-Software
zu testen, kostenlose Guided Tours und Demo-Module, Informations-Workshops sowie
teilautomatisierte E-Mail- Beratungsservices. Die – gerade in den Pilotphasen
geäußerten – Teilnehmerwünsche nach unmittelbarer Hilfe
für aktuelle Fragestellungen am Arbeitsplatz haben die Projekte aufgegriffen,
indem sie Wissensbausteine auch on demand zur Verfügung stellen.
Auf diese Weise decken die E-Solutions von LERNET eine große Bandbreite
von typischen Lernsituationen in KMU und Verwaltungen ab – vom umfassenden
Kursangebot über kurze Lernlektionen bis hin zum Learning on demand für
das arbeitsprozessorientierte Lernen.
Kooperative Geschäftsmodelle für Anbieter und Nutzer
Geschäftsmodell lautet seit einiger Zeit das Zauberwort des E-Learnings.
Denn spätestens seit dem Ende des IT- und E-Learning-Hypes ist deutlich
geworden, dass die besten Angebote und Projekte wenig nützen, wenn sie
nicht auch tatsächlich zu finanziell tragfähigen Bedingungen eingesetzt
werden können. In den LERNET-Projekten haben daher Fragen der Wirtschaftlichkeit
und Nachhaltigkeit, der Vermarktung und des Marketings eine immer wichtigere
Rolle gespielt. Auch wenn es das Markt- oder Geschäftsmodell des E-Learnings
als solches nicht gibt, so konnte doch eine Reihe von Erfolg versprechenden
Ansätzen entwickelt werden.
Das gilt etwa für eine flexible Preisgestaltung, die über variable
Abrechnungsmodelle und die baukastenartige Anpassung des Angebots an die inhaltlichen
und finanziellen Anforderungen der Kunden erreicht werden kann. Einen wichtigen
Beitrag zur differenzierten Marktöffnung leisten auch kostenlose Appetizer
im Internet, Basis-Versionen für Berufsschüler und Studenten, Premium-Angebote
für Fachleute oder Abo-Modelle für kontinuierliche Weiterbildung und
treue Kunden.
Als unverzichtbar für eine wirtschaftliche Erstellung und Bereitstellung
von E-Learning-Lösungen haben sich Allianzen von Marktpartnern erwiesen.
Diese waren im Kern bereits in der Konsortialstruktur der 11 LERNET-Projekte
angelegt. Ohne frühzeitige Kontakte mit Bildungsanbietern, strategische
Kooperationen zwischen kleinen und großen E-Learning-Produzenten und regionale
Vernetzungsstrukturen zur gemeinsamen Markterschließung sind Angebote
für KMU-Kunden nicht durchsetzbar. Gerade bei kleinen Anbietern ist eine
solche Ressourcenbündelung zentral, um die für einen Geschäftserfolg
notwendigen professionellen Marketing- und Distributionsstrukturen überhaupt
aufbauen zu können – und nicht nur als lästigen Kostenfaktor
abzutun.
Viele Projekte und Entwicklungen sind immer noch primär auf optimale Technik,
auf didaktisch ausgefeilte Modelle oder auf anspruchsvolle Inhalte ausgerichtet.
Die Frage, wer dann später dafür bezahlen soll, wird oft hinten angestellt.
Es zeigt sich immer wieder, dass die Vermarktungsfähigkeit stark davon
abhängt, ob in die Produktentwicklung frühzeitig Marktanalysen, Kundenberatung
und entsprechend angepasste Erlösmodelle aufgenommen wurden. Die LERNET-Projekte
haben sich auch diesen Fragen offensiv gestellt. Die nächsten Monate werden
zeigen, ob der erwartete Erfolg im Markt der kleinen und mittleren Unternehmen
sowie in Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung auch tatsächlich
eintritt. Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer – sie kann
ihn jedoch ankündigen.
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